Arbeitnehmer dürfen Arbeitgeber öffentlich anprangern

Öffentliche Kritik am Arbeitgeber ist kein Kündigungsgrund, sondern eine freie Meinungsäußerung. Das hat der Europäische Gerichtshof jetzt entschieden.

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Von
  • Marzena Sicking

Als Arbeitnehmer ist man seinem Arbeitgeber gegenüber grundsätzlich zur Loyalität verpflichtet. Wer sich gegen "sein" Unternehmen bei Kunden oder öffentlich äußert, riskiert eine Abmahnung, manchmal sogar seinen Job. In besonderen Fällen genießt der Arbeitnehmer allerdings auch einen "Informantenschutz". Das hat der Europäische Gerichtshof in einem aktuellen Urteil bestätigt.

Verhandelt wurde der Fall der Altenpflegerin Brigitte H. Sie hatte sich nicht nur kritisch geäußert, sondern ihren Arbeitgeber, den Klinikkonzern Vivantes, wegen schweren Betruges angezeigt. Ihr Vorwurf: Bedürftige und Angehörige erhielten wegen Personalmangels keine angemessene Gegenleistung für die von ihnen getragenen Kosten. Daraufhin wurde ihr gekündigt.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellte nun in seinem Urteil fest, dass die Kündigung gegen Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Freiheit der Meinungsäußerung) verstoßen hat. Der Frau wurden insgesamt 15.000 Euro Entschädigung zugesprochen.

Tatsächlich hatte die Frau gegen ihre Kündigung mit der Begründung geklagt, diese verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Vor dem Bundesarbeitsgericht und dem Bundesverfassungsgericht war sie damit aber gescheitert. Nach dem aktuellen Urteil strebt sie nun ein Wiederaufnahmeverfahren ihres Arbeitsrechtsprozesses an.

Das Gericht bestätigte in seinem Urteil, dass das Handeln der Frau zweifelsohne eine rufschädigende Wirkung für den Arbeitgeber nach sich gezogen habe. "Das öffentliche Interesse an Informationen über Mängel in der institutionellen Altenpflege in einem staatlichen Unternehmen ist so wichtig, dass es gegenüber dem Interesse dieses Unternehmens am Schutz seines Rufes und seiner Geschäftsinteressen überwiegt", heißt es aber in der Urteilbegründung.

Das es sich hier nicht nur um den Versuch gehandelt hat, dem Arbeitgeber einfach nur "wissentlich und leichtfertig" zu schaden, schien geklärt: zuvor hatte auch der Medizinische Kontrolldienst der Krankenkassen die Zustände in dem Altenpflegeheim als mangelhaft bewertet. Auch hatten die Mitarbeiter die Klinikleitung zuvor mehrfach auf die Probleme hingewiesen.

Mit dem – noch nicht rechtskräftigen – Urteil wurde Klarheit geschaffen, in welchen Fällen Arbeitnehmer, die Missstände beim Arbeitgeber öffentlich anprangern, vor einer Kündigung geschützt sind.

Aber Vorsicht: Wer wissentlich falsche Beschuldigungen gegen seinen Arbeitgeber in die Welt setzt bzw. über die Firma öffentlich lästert und so deren Ruf schädigt, ist vor einer Abmahnung oder einer Kündigung keinesfalls sicher. (Marzena Sicking) / (map)