Sicherheitsdebatte nach Oslo: Zwischen Forderung nach Netzüberwachung und Plädoyer für Zurückhaltung

Konservative Politiker rufen nach den Anschlägen in Norwegen weiter nach Stärkung der inneren Sicherheit, u.a. mittels Internet-Überwachung. Die Opposition warnt vor Überwachungsphantasien, die Bundesregierung plädiert für Zurückhaltung.

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Konservative Politiker rufen nach den Anschlägen in Norwegen weiter nach schärferen Maßnahmen zur Stärkung der inneren Sicherheit und haben dabei vor allem das Internet im Visier. Manfred Weber, Vize-Chef der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament, fordert eine Offensive gegen radikale Online-Angebote. "Extremistische Webseiten müssen europaweit gebannt werden", sagte der CSU-Politiker der "Rheinischen Post". Er plädiert dabei für einen Ansatz von "Löschen und Sperren", spricht sich also auch erneut für den Aufbau einer Infrastruktur für Web-Blockaden aus. Im Kampf gegen Kinderpornographie hatten sich die EU-Gremien jüngst erst darauf geeinigt, Sperren nur als optionales Mittel der Mitgliedsstaaten zuzulassen und die Entfernung inkriminierter Seiten vorzuschreiben.

Weber kritisiert, dass die Politik bislang ihre Aufmerksamkeit zu sehr auf die Überwachung islamistischer Webseiten gelegt habe, um eine Anwerbung von Terroristen im Internet zu verhindern. Das Massaker in Norwegen zeige jedoch, dass künftig auch gegen Terrorgefahren aus der eigenen Gesellschaft schärfer vorgegangen werden müsse. Auch der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl, legte nach seinem Plädoyer für eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung zur Ermittlung terroristischer Strukturen nach und sprach sich für eine stärkere Netzüberwachung aus. Hinter dem Verbrechen in Norwegen stehe nur scheinbar ein Einzeltäter, erklärte der CSU-Politiker im Deutschlandfunk. In Wahrheit sei die Tat im Internet geboren worden. Online würden permanent Straftaten wie Volksverhetzung begangen. Dagegen würde zuwenig Aufklärung betrieben.

Der Rest der politischen Landschaft hierzulande drängt dagegen auf Zurückhaltung beziehungsweise zu einem größeren Engagement gegen Rechtsextremismus. Grünen-Chefin Claudia Roth sagte der "Frankfurter Rundschau", im Lichte der Attentate solle die Bundesregierung gegen Rechtsradikale mobil machen und "nicht alten Überwachungsphantasien" wie der Vorratsdatenspeicherung hinterherlaufen. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, betonte im Deutschlandfunk ebenfalls: "Wir sollten die Scharmützel lassen vor dem Hintergrund eines Jahrhundertverbrechens." Erforderlich seien vielmehr Augenmaß und Verstand, meinte Wiefelspütz. Deutschland sei zwar "europarechtlich verpflichtet", die verdachtsunabhängige Protokollierung von Nutzerspuren wieder einzuführen, und er stehe zu einer solchen Regelung. Das Thema habe jedoch mit dem Massenmord in Norwegen "nichts, aber auch gar nichts zu tun".

Der FDP-Netzpolitiker Jimmy Schulz unterstrich, dass das Blutbad auch mit der Vorratsdatenspeicherung nicht hätte verhindert werden können, weil der Täter sein Vorgehen seit Jahren alleine minutiös geplant habe. Die Anhäufung weiterer Datenberge mache "unser Land nicht sicherer, im Gegenteil, sie nimmt uns ein großes Stück unserer Freiheit in Deutschland". Das norwegische Parlament hatte im Frühjahr die Einführung einer sechsmonatigen Vorratsdatenspeicherung beschlossen.

Die FDP kämpft auch in Brüssel gegen die EU-Richtlinie zur Protokollierung von Nutzerspuren und wirbt stattdessen für den "Quick Freeze"-Ansatz, bei dem Verbindungs- und Standortdaten nur im konkreten Verdachtsfall aufbewahrt werden. EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström hat dieses Modell laut einem Bericht der "Neuen Osnabrücker Zeitung" aber als unzureichend zurückgewiesen. Zur Begründung brachte die Schwedin vor, dass damit einige schwere Straftaten nicht untersucht oder erfolgreich verfolgt werden könnten. Auf Vorrat gespeicherte Daten würden zudem zunehmend wichtiger bei der Bekämpfung von Cyber- und Internetkriminalität. Der FDP-Rechtsexperte Marco Buschmann hält dagegen: "Frau Malmström gehen die Argumente aus. Sie trägt nur noch vor, dass mehr Daten besser seien als weniger." Der oberste Grundsatz der digitalen Privatsphäre sei jedoch die Datensparsamkeit.

Die Bundesregierung sieht momentan keinen Grund für schärfere Sicherheitsmaßnahmen. Die traurigen Vorgänge sollten keinen Anlass für alt-neue Debatten über die Vorratsdatenspeicherung geben, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Tat und Täter hätten nach derzeitigem Kenntnisstand keine Bezüge zu Deutschland. Das Justizministerium ließ verlauten: "Jetzt ist Zeit für Mitgefühl und Reflexion." Auf Widerspruch selbst in Ermittlerkreisen stieß parallel der Vorschlag des Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut, eine Datei für "auffällige" Personen einzurichten. Es sei nicht möglich, betonte der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, mit technischen Mitteln entschlossene Einzeltäter frühzeitig aufzuspüren: "Wir müssen akzeptieren, dass das Ausrasten einzelner Verrückter nicht zu verhindern ist". (jk)