Handy-Krise überschattet Abschied von Siemens-Chef Pierer

Klaus Kleinfeld tritt nach Einschätzung seines Vorgängers Heinrich von Pierer zwar den schönsten Job in der deutschen Wirtschaft an, aber auch keinen leichten.

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Von
  • Axel Höpner
  • dpa

Die Krise im Handygeschäft hat den Abschied des Siemens-Chefs Heinrich von Pierer überschattet. "Es wäre naiv, anzunehmen, dass man besenrein übergeben kann", sagte der 64-Jährige am Donnerstag an seinem letzten Arbeitstag in der Hauptversammlung in München. Der Vorstand bemühe sich schon seit geraumer Zeit um die Sanierung der Handysparte. Man könne aber nicht mit der Brechstange vorgehen, nur um pünktlich zum Wechsel an der Spitze eine Lösung zu präsentieren. So wird Nachfolger Klaus Kleinfeld -- in Absprache mit dem neuen Aufsichtsratsvorsitzenden Heinrich von Pierer -- über die Zukunft der Handys entscheiden müssen.

Für die Mobilfunkgeräte hatte Pierer immer ein besonderes Faible. Auf Hauptversammlungen und Pressekonferenzen hielt er die neuesten Modelle in die Höhe und warb um Käufer. Doch spätestens seit dem vergangenen Sommer steckt der Geschäftsbereich tief in der Krise. Während bei den Konkurrenten das Geschäft im Weihnachtsquartal dank der hohen Nachfrage nach Foto-, Klapp- und UMTS-Handys boomte, musste Siemens einen Absatzeinbruch von 15,2 auf 13,5 Millionen Geräte hinnehmen. Zum Vergleich: Marktführer Nokia verkaufte im selben Zeitraum 66 Millionen Handys.

Vielleicht noch schlimmer: Der durchschnittliche Verkaufspreis sank bei Siemens von 98 auf 86 Euro pro Gerät, während Konkurrenten leicht über 100 Euro kommen. Als Folge machte Siemens im Quartal mit Handys ein sattes Minus von 143 Millionen Euro. Der Verlust war damit nochmal so hoch wie im Vorquartal, als Sonderbelastungen durch eine Software-Panne anfielen.

Die aktuelle 65er-Handy-Serie sei zwar technisch gut, aber etwas spät gekommen, sagte Pierer nach Ursachen befragt. "Da waren die Regale schon mit anderen Produkten gefüllt." Zudem habe natürlich die Software-Panne das Image belastet. Siemens hatte die ersten 65er-Modelle wegen eines zu lauten Warntons zurückgerufen. Viele Experten bezweifeln, ob auch andere Hersteller so übereifrig reagiert hätten. Auch Pierer sagt, dass sich das Problem im Nachhinein als eher unbedeutend herausgestellt habe.

Er sei überzeugt davon, dass sich das Handygeschäft sanieren lasse, meint ein hochrangiger Siemens-Manager. "Das ist einfach." Allerdings werde man als weltweite Nummer vier wohl nie die Margen erzielen können, die Marktführer Nokia und Aufsteiger Samsung verdienen. Für einen Konzern wie Siemens, der den Anspruch hat, in allen Geschäften möglichst die Nummer eins oder zwei weltweit zu sein, sind das keine guten Aussichten. So dürfte neben der Sanierung vor allem die Suche nach einem Partner für Siemens weiter eine Option sein. Eine Schließung ist dagegen unwahrscheinlich. "Wir haben eine gute Entwicklungsmannschaft, exzellente Werke und einen guten Markennamen. Diesen Wert gilt es zu erhalten", sagte Pierer.

In einem breit aufgestellten Konzern wie Siemens gibt es immer offene Baustellen. Heutige Ertragsbringer wie die Energieerzeugung und die Medizintechnik mussten in der Vergangenheit ebenfalls Krisen durchstehen. So konnte Pierer nach zwölf Jahren an der Spitze trotz der Handy-Probleme sagen: "Ich gehe mit einem guten Gefühl."

Klaus Kleinfeld hat hingegen ein letztes Mal bei Siemens nur die zweite Geige gespielt. Vor der Siemens-Hauptversammlung tigerte der 47-jährige Opernfan, Mitglied im Board der Metropolitan Opera, heute durch die Münchner Olympiahalle und plauderte mit Aktionären. "Ich bin relativ entspannt, für mich ist es heute einfach", sagte er. Denn bis zum Ende des Aktionärstreffens war noch Heinrich von Pierer Vorstandsvorsitzender. Kleinfelds Rolle beschränkte sich darauf, aufzustehen, als ihn der scheidende Aufsichtsratschef Karl-Hermann Baumann vorstellte. Auch auf Bitte der Aktionäre wollte sich Kleinfeld, dem eine gewisse Anspannung durchaus anzumerken war, nicht auf dem Podium äußern. An diesem Tag sollte zum letzten Mal Pierer den Takt vorgeben.

Kleinfeld tritt nach Pierers Einschätzung zwar den schönsten Job in der deutschen Wirtschaft an, aber auch keinen leichten. Die Situation sei vor allem im Arbeitsgebiet Information und Kommunikation sehr schwierig, sagte Kleinfeld am Rande der Hauptversammlung. "Das ist eine große Baustelle." Dabei gehe es nicht nur allein um die Sanierung des Handygeschäfts, auch im Festnetzbereich sei die Lage nicht einfach.

Viele trauen dem meist demonstrativ gut gelaunten, kommunikativen und zuweilen impulsiven Manager zu, die großen Fußstapfen füllen zu können, die Pierer nach zwölf Jahren im Amt hinterlassen wird. Das "manager magazin" feierte ihn schon einmal vorab als "Wunderknabe". Im Konzern werden diese Vorschusslorbeeren nicht gerne gesehen. "Dafür ist es eigentlich zu früh, man nimmt ihm die Luft, zu atmen". Umso höher Kleinfeld jetzt gehoben werde, desto tiefer könne er fallen, wenn es mal nicht so läuft.

In seiner Karriere hat der leidenschaftliche Sportler, der sich im vergangenen Jahr beim New-York-Marathon wacker schlug, ein hohes Tempo vorgelegt. Der gebürtige Bremer und studierte Betriebswirtschaftler trat seinen Dienst bei Siemens 1987 als Referent im Betriebsbereich an. Schnell stieg er auf und wurde unter anderem 1995 Leiter der Siemens-Unternehmensberatung. Zudem entwickelte er das strategische Unternehmensprogramm "top plus" zur Ertragsverbesserung. 1998 wechselte der Manager in den Bereich Medizintechnik, in dem er zwei Jahre später Bereichsvorstand wurde.

Ein wichtiger Karrieresprung war 2001 Kleinfelds Wechsel in die USA. Unter seiner Führung schaffte das US-Geschäft die Ertragswende. Seither gilt er manchen als Prototyp des alerten, aber eiskalt kalkulierenden Managers nach amerikanischem Vorbild. Arbeitnehmervertreter befürchten, dass Kleinfeld in Sachen Stellenverlagerung und Streichung von Jobs rücksichtsloser auftreten könnte als Pierer. Ein Siemens-Vorstandsmitglied warnte am Donnerstag aber vor diesem Klischee. "Diese Amerika-Geschichte wird überschätzt." Kleinfeld sei nur vergleichsweise kurz in den USA gewesen. Zudem habe Siemens eine globale Firmenkultur, die überall gelte.

Kleinfeld freut sich auf die neue Herausforderung. Er habe sich "viele schöne Sachen" vorgenommen, sagte er heute. Die Hauptaufgabe sei dabei einfach zu formulieren. "Wir müssen einfach eine gute Performance hinlegen." (Axel Höpner, dpa) / (anw)