EU-Parlament fordert Vorgehen gegen Trivialpatente

Die EU-Abgeordneten haben einen Bericht zur künftigen europäischen Innovationsstrategie verabschiedet, der sich unter anderem für ein Umsteuern in der Patentpolitik, offene Standards sowie Open Access einsetzt.

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Die EU-Abgeordneten haben am heutigen Donnerstag einen Bericht zur Innovationspolitik verabschiedet, der sich unter anderem für ein Umsteuern in der Patentpolitik, offene Standards sowie die Förderung des wissenschaftlichen Publikationsmodells Open Access einsetzt. "Notwendig ist eine neue europäische Patentstrategie, die den Schutz von Urheberrechten garantiert und dafür sorgt, dass innovative Kenntnisse nicht monopolisiert werden", heißt es in der Begründung zu dem Report mit dem Titel "Kenntnisse in die Praxis umsetzen: Eine breit angelegte Innovationsstrategie für die EU". Insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen müsse die Möglichkeit eingeräumt werden, auch auf patentiertes Know-how zurückzugreifen. Gleichzeitig sollen sie bei der Anmeldung eigener gewerblicher Schutzrechte unterstützt werden.

Unter Innovationen versteht der Bericht, den der Industrieausschuss federführend unter der Ägide des polnischen Sozialisten Adam Gierek ausgearbeitet hat, "neuartige Lösungsmöglichkeiten für Probleme, die bei der Herstellung oder Verwendung von Produkten beziehungsweise der Erbringung von Dienstleistungen auftreten." Ein europäisches Paradox bestehe darin, dass die Bereitschaft der Wirtschaft, vorhandenes Fachwissen als Basis für Innovationen zu nutzen, trotz der entwickelten Spitzenleistungszentren in der EU sehr gering sei. Dies will der Report durch Vorschläge für den Abbau von Barrieren für den Wissensfluss und für den Transfer von Know-how zwischen Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft ändern. Gleichzeitig sollen "Scheininnovationen", bei denen es sich zumeist lediglich um neue Verpackungen und irreführende Werbeaktionen handelt, "vollständig unterbunden werden".

Die Parlamentarier fordern die EU-Kommission auf, die selbst einen umstrittenen Vorstoß zur "Vertiefung" des Patentsystems gestartet hat, "in Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten alternative und komplementäre Mittel und Wege zu den Maßnahmen zum Rechtsschutz von Patenten auszuarbeiten". Auch eine Expertengruppe unter Beteiligung der Wirtschaft soll eingesetzt werden. Erfinder und im Entstehen begriffene neue Schöpfungsmodelle etwa aus dem Bereich Open Source wollen die Abgeordneten "vor Erpressung und Rechtsmissbrauch schützen". Im Rahmen der Arbeit am neuen Gemeinschaftspatent sollen Kommission und EU-Rat außerdem ein Verfahren vorschlagen, "mit dem Trivialpatente und so genannte Sperrpatente verhindert werden können".

Weiter appellieren die Abgeordneten an Kommission und Rat, "die einheitlichen Anforderungen an die Patentierfähigkeit an die Erfordernisse der einzelnen Branchen" anzupassen. Damit gehen sie auf den Streit über Softwarepatente ein, wo sie sich vor zwei Jahren bereits einer Ausweitung der Vergabepraxis des Europäischen Patentamtes (EPA) widersetzten. In der Begründung heißt es, dass die bestehenden Kriterien für die Patentfähigkeit, die aus dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) resultieren, überprüft werden müssen. Dabei sei gegebenenfalls eine Präzisierung oder Erweiterung vorzunehmen, "um unterschiedliche juristische Auslegungsmöglichkeiten zu vermeiden." Dies erfolge gegenwärtig bei der Einführung und Verwendung von nicht definierten Begriffen wie dem des "technischen Beitrags". Weiter macht sich der Bericht dafür stark, das Verfahren zur Patentvergabe möglicherweise durch einen zweistufigen Prozess der Anerkennung von Schutzansprüchen zu vereinfachen und zu beschleunigen.

Das Plenum enfernte aus dem endgültigen Bericht die Forderung des Industrieausschusses, die hinter dem EPA stehende Europäische Patentorganisation (EPO) "in Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten in die Gemeinschaft zu integrieren". Damit sollten "die Bedenken in Bezug auf eine demokratische Kontrolle und eine kohärente Patentrechtpolitik der Gemeinschaft zerstreut werden". Die Liberalen hatten an diesem Punkt auf Anraten ihrer Expertin für Immaterialgüterrechte, der britischen Patentanwältin Sharon Bowles, gemeinsam mit der Volkspartei eine Einzelabstimmung gefordert. Dabei votierten 297 Parlamentarier gegen und 246 für die Passage, die nicht ohne Sprengkraft für das europäische Patentsystem geblieben wäre. Keine Mehrheit fanden zudem Änderungsanträge der Grünen, mit denen der "Lobbytätigkeit der Verwaltung" der EPO im Parlament ein Ende bereitet werden sollte.

Andererseits brechen die Abgeordneten eine Lanze für offene Standards und stellen klar, dass diese von einer gemeinnützigen Einrichtung angenommen und in einem offenen Entscheidungsfindungsverfahren aktualisiert werden müssten. Entsprechende Spezifikationen seien entweder kostenlos oder gegen ein nominelles Entgelt zur Verfügung zu stellen und das geistige Eigentum etwa in Form bestehender gewerblicher Schutzrechte am Standard oder Teilen davon "unwiderruflich unentgeltlich zugänglich" zu machen. Ferner fordern die Abgeordneten, das lebenslange Lernen und Arbeiten über digitale Medien etwa durch E-Learning und E-Working zu erleichtern. Gierek erklärte bei der Abstimmung, dass die Initiative auf die Verwirklichung der Lissabon-Agenda ziele, mit der Europa weltweit zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum heranwachsen soll.

Mittelstandsvereinigungen reagierten überwiegend positiv auf den Gierek-Report. "Die Parlamentarier nehmen die Forderungen der mittelständischen Wirtschaft nach einem schlankeren Patentsystem ernst", erklärte André Rebentisch von der Vereinigung patentfrei.de gegenüber heise online. Auch der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) begrüßte den eingeschlagenen Kurs sowie die Unterstützung offener Standards, hätte gegenüber dem EPA aber eine härtere Linie bevorzugt. In einem Brief hatte der Verband die Abgeordneten zuvor darauf hingewiesen, dass die Münchner Patentbehörde nicht als Profit-Center betrieben werden dürfe und unter stärkere demokratische Kontrolle zu bringen sei. (Stefan Krempl) / (vbr)