SPD-Netzpolitiker stecken Linie zur Vorratsdatenspeicherung ab

Der SPD-Gesprächskreis "Netzpolitik und Digitale Gesellschaft" hat einen Musterantrag zur Protokollierung von Nutzerspuren erstellt. IP-Adressen sollen demnach gespeichert werden, Standortdaten nicht.

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Die Sozialdemokraten befürworten die Speicherung von IP-Adressen auf Vorrat. Der Gesprächskreis "Netzpolitik und Digitale Gesellschaft" beim SPD-Parteivorstand hat einen "Musterantrag" vorgelegt, demzufolge IP-Adressen gespeichert werden dürfen. "Die Beauskunftung von Anschlussinhabern anhand einer IP-Adresse kann als milderes und weniger eingriffsintensives Mittel zur Aufklärung von Straftaten genutzt werden", heißt es in dem Papier. Ein Abruf der Internet-Verbindungsdaten sollte jedoch nur innerhalb einer "angemessenen" Frist erfolgen dürfen.

Die Sammlung von IP-Adressen durch Webseiten-Betreiber oder Zugangsanbieter ist seit Jahren heftig umstritten. Das Berliner Amtsgericht urteilte 2007 auf Antrag des im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) aktiven Juristen Patrick Breyer, dass die Kennungen nicht über das Ende eines konkreten Nutzungsvorgangs hinaus aufbewahrt werden dürfen. Andernfalls könne das Surf- und Suchverhalten von Internetnutzern detailliert nachvollzogen werden, befanden die Richter. Mit den Netzkennungen sahen sie es "durch die Zusammenführung der personenbezogenen Daten mit Hilfe Dritter ohne großen Aufwand in den meisten Fällen möglich", Surfer zu identifizieren. Es sei von einer klaren "Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung" auszugehen.

Die SPD-Netzpolitiker Henning Tillmann, Alvar Freude und Jan Mönikes halten in einer Erläuterung (PDF-Datei) des Antrags dagegen, dass es bei Internet-Delikten besonders wichtig sei, eine Zuordnung von der IP-Adresse zu einem Netzanschluss herzustellen. Diese IP-Speicherung sei "jahrelang üblich und ein wichtiges Instrument bei der Ermittlung von Straftätern" gewesen. Der Eingriff in die Privatsphäre der Bürger falle dagegen "relativ gering" aus, "da nur nach einer konkreten Tat ein Rückschluss auf den Täter möglich ist". Die "gefürchtete Totalüberwachung" bleibe ausgeschlossen.

E-Mail-Verbindungsdaten sowie Standortdaten aus dem Mobilfunk sollen laut Antrag außen vor bleiben. Vor allem die Speicherung von Funkzellen bei der Nutzung von Handys ermögliche die Erstellung umfassender Bewegungsprofile, lautet die Begründung. Generell dürfe der Abruf von Verbindungsdaten nur bei Verdacht auf schwerste Straftaten erfolgen. Auskünfte für Ordnungswidrigkeiten und zivilrechtliche Zwecke wie die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen müssten ausgeschlossen werden. Über einen Zugang zu den Nutzerspuren habe in jedem Fall ein Richter zu entscheiden. Zudem seien die Bestimmungen zum technischen Datenschutz gemäß der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts auszubauen.

Die von der FDP im Streit mit dem Koalitionspartner auf Bundesebene befürwortete Aufzeichnung von Verbindungs- und Standortdaten in einem konkreten Verdachtsfall auf Zuruf von Strafverfolgern hin lehnt das Papier ab. Dabei handle es sich um einen "Wolf im Schafspelz", schreibt Tillmann. Mit einem solchen "Quick Freeze"-Verfahren bestehe die Gefahr, dass sehr viel mehr gespeichert und weitergegeben werde als anlassbezogen erforderlich, erläuterte Freude im Vorfeld. Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung wollen die SPD-Netzexperten grundlegend überarbeitet wissen. Die Umsetzung sei den Mitgliedsstaaten zu überlassen, die maximale Speicherfrist von 24 auf sechs Monate abzusenken.

Insgesamt soll der Antrag, der einer Initiative der SPD-Fraktion in der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" des Bundestags ähnelt, zu einer "differenzierten" Betrachtung der Vorratsdatenspeicherung führen. Er ist offenbar auch beim nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger auf Wohlwollen gestoßen. Ein Gespräch am Dienstag mit dem ebenfalls der SPD angehörenden Regierungsvertreter und Abgesandten des Landeskriminalamts (LKA) sei "äußerst positiv" verlaufen, schreibt Tillmann in einer ins Netz entfleuchten E-Mail an Mitstreiter. Knackpunkt sei der Ausschluss der Ortungsdaten, aber auch hier werde es bei Jäger wohl ein Nachdenken geben. Die Depesche hält weiter fest, dass die Gesprächspartner überrascht gewesen seien, nicht Leuten vom "AK Vorrat" gegenüberzusitzen. Die Vereinigung von Bürgerrechtlern und Datenschützern lehnt jede Form der Vorratsdatenspeicherung aufgrund ihres tief in die Freiheitsrechte einschneidenden Charakters ab.

In Internetkreisen wird der Plan bereits kontrovers diskutiert. Blogger wie Fefe sprechen sich gegen den Kompromissvorschlag der SPD aus und stempeln diese als "Verräterpartei" ab. Auch der IT-Fachanwalt Thomas Stadler sieht den Ansatz der Sozialdemokraten für eine "Vorratsdatenspeicherung light" skeptisch. IP-Adressen spielen ihm zufolge im Bereich der Schwerstkriminalität praktisch keine Rolle. Dort stünden den Ermittlern schon eine Fülle von Befugnissen zum Abhören der Telekommunikation zur Verfügung. Die Sammlung der Netzkennungen sei daher "nur im Bereich der Massenkriminalität sinnvoll". Da der Vorschlag dennoch beträchtlich in Grundrechte eingreife, könne er kaum als "differenziert" betrachtet werden.

Siehe dazu auch den Kommentar von Thomas Stadler:

und die Replik von Alvar Freude:

(vbr)