Elektronische Gesundheitskarten auf dem Weg

Die technischen Konzepte für prozessorbestückte elektronische Gesundheitskarten, die in Deutschland und der Schweiz eingeführt werden sollen, unterscheiden sich im Kern nur unwesentlich voneinander.

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Von
  • Detlef Borchers

In Deutschland und in der Schweiz sollen elektronische Gesundheitskarten eingeführt werden. In beiden Ländern geht dieser Schritt mit der Ausgabe einer lebenslang gültigen Versicherungsnummer einher, die als ID-Nummer auf den prozessorbestückten Karten im Zusammenspiel mit der digitalen Signatur nach Ansicht von Fachleuten einen entscheidenden Umbruch einleitet.

Im Kern unterscheiden sich die technischen Konzepte für beide Länder nur unwesentlich. Beide Gesundheitskarten weisen einen Speicherbereich für die administrativen Daten auf, einen für die Notfalldaten nach der europäischen Notfalldatenverordnung sowie für das eRezept. Darüber hinaus gibt es bei beiden einen Bereich für freiwillige Daten, in dem das Patientendossier (die Patientenakte) und die Arzneimitteldokumentation gespeichert werden – die letztere besteht aus Kopien oder Auszügen der auf zentralen Servern liegenden Originaldokumente.

Zusätzlich soll die Schweizer Karte auch als Payment-Karte fungieren, mit der man etwa den Kaffee im Krankenhaus bezahlen kann. Außerdem enthält sie Software für ein e-Reservierungssystem zum Koordinieren der Artztbesuche. Auffällige Unterschiede bestehen rein äußerlich: die schweizerische Karte trägt kein Foto und soll stattdessen mittels eines biometrischen Fingerabdrucks personalisiert werden; die deutsche Karte wird das Konterfei des Versicherten zeigen.

In Deutschland wird die Gesundheitskarte in einer Reihe von größeren Feldtests ab Dezember 2005 gestartet, die den "Charakter einer probeweisen Einführung mit Option auf Nachbesserungen" haben, wie Referatsleiter Stefan Bales vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) erklärte. In der Schweiz gibt es einen Feldtest im Ballungsraum Lugano im Kanton Tessin. Dort wird seit dem 8. November 2004 die Carta Sanitaria über einen Zeitraum von 18 Monaten mit 2500 Versicherten, 40 Apotheken, 33 Ärzten und 7 Spitälern getestet. Danach könnte der landesweite Rollout im Jahre 2006 einsetzen, erklärte der zuständige Kantonsarzt Inganzio Cassini auf einer von Euroforum veranstalteten Tagung zur Gesundheitskarte in Zürich, die "Aktuelle Entwicklungstendenzen und Projekte im Gesundheitswesen in D und CH" zum Thema hatte. Zu diesem Rollout werden im Sommer 2005 alle Anbieter medizinischer Telematik am selben Tag mit den Ausschreibungsunterlagen versorgt, damit das Projekt Ende 2005 mit einer Entscheidung des schweizerischen Bundesrats gestartet werden kann.

Etwas anders sieht es in Deutschland aus. Hier wird die so genannte Lösungsarchitektur, die genaue Beschreibung der Schnittstellen und benötigten Geräte, zur CeBIT in Hannover der zuständigen Bundesministerin Ulla Schmidt überreicht. Danach sollen die verschiedenen Hersteller und ihre der Lösungsarchitektur entsprechenden technischen Konzepte miteinander in den Wettbewerb treten. Dies erklärte Norbert Paland, Leiter der Projektgruppe Telematik im BMGS, auf dem Berliner eHealth-Symposium, das vom Industrieverband Bitkom und der Deutschen Messe AG veranstaltet wurde. Im Rahmen dieser Veranstaltung hatte Bitkom-Vizepräsident Jörg Menno Harms vor einer Sparversion der Gesundheitskarte gewarnt.

Auf beiden Veranstaltungen kam die fröhliche Ungeduld der Praktiker zum Ausdruck, die aus den verschiedenen Projekten berichteten. Neben dem Tessiner Projekt wurde in Zürich die italienische Carta Regionale dei servizi der Region Lombardei vorgestellt, wo 9 Millionen Versicherte mit einer Gesundheitskarte ausgestattet sind. In Berlin präsentierte man die Gesundheitskarte Schleswig Holstein, die in der Modellregion Flensburg von 120 Versicherten, 28 Apotheken, 59 Praxen und 2 Kliniken getestet wird. Vertreter aller Projekte wiesen auf die Ausstrahlung hin – so hätten die Erfahrungen der Flensburger zugleich Modellcharakter für Projekte in Dänemark, Schweden und Norwegen. Auch die Schweizer beobachten das Vorgehen im Ausland. Eine Prozessorkarte, die jenseits der Landesgrenzen bloß noch als europäischer Versicherungsausweis (der bei allen Karten auf der Rückseite aufgebracht ist) zu nutzen wäre, könne keine Lösung sein, so Kantonalarzt Cassini in Zürich.

Neben den Praktikern kamen auch die Theoretiker zu Wort, sobald Fragen des Datenschutzes und der Datensicherheit angesprochen wurden. Bruno Baeriswyl, Datenschutzbeauftragter des Kantons Zürich, richtete einen heftigen Angriff gegen das Schweizer Vorhaben, das er als Schritt in den Überwachungsstaat geißelte. Besonders unerträglich fand Baeriswyl Überlegungen zum Micropayment, mit dem die Gesundheitskarte auch zur Zahlung bei Migros, der größten Handelskette in der Schweiz, benutzt werden könnte. In Berlin wiederum ereiferte sich Norbert Paland über Behauptungen zu angeblichen Sicherheitslücken im deutschen Projekt. "Es ist völliger Unsinn, wenn es heißt, dass die Lösungsarchitektur geknackt wurde. Die Lösungsarchitektur ist jetzt noch in der Entwicklungsphase, sie kann also gar nicht geknackt werden."

Beide Veranstaltungen machten deutlich, dass die Gesundheitskarten noch einen weiten Weg vor sich haben. Ganz am Ende muss dann der europäische Bürger entscheiden, ob er die telematischen Prozesse in vollem Umfang nutzt oder nur den administrativen Pflichtteil akzeptiert.

(Detlef Borchers) / (psz)