Das Julian-Assange-Buch: Der Wahrheit eine Sackgasse

Die unautorisierte Autobiographie des Wikileaks-Gründers und seine ausführliche Stellungnahme hinterlässt den Eindruck, dass ein Buchprojekt von allen Beteiligten mit Energie gegen die Wand gefahren wurde. Ausblicke auf die Zukunft von Wikileaks fehlen.

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Von
  • Detlef Borchers

Nach erster Lektüre der "Unautorisierten Autobiographie" von Wikileaks-Gründer Julian Assange und seiner ausführlichen Stellungnahme ergibt sich der Eindruck, dass eine umfangreiches Buchprojekt von allen Beteiligten mit großer Energie gegen die Wand gefahren wurde. Die Frage bleibt, ob die Idee von Wikileaks die neue Belastungsprobe überdauern kann.

"Julian Assange: The Unauthorised Autobiography" ist vom Äußeren her ein Buch, dass seit Donnerstag vom schottischen Verlag Canongate in den Buchläden Großbritanniens verkauft wird. Sein Inhalt entpuppt sich als eine Art hastig zusammengeschraubter Notdruck: Um auf den gewünschten Buchumfang zu kommen, gibt es rund 100 Seiten Anhang mit bekannten US-Botschaftsdepeschen. Er soll offenbar dafür entschädigen, dass die von Assange ins Unreine erzählte Lebensgeschichte im Herbst 2010 abrupt endet. Anstelle von Reflexionen über die Depeschen endet die Erzählung mit einer Hasstirade auf Journalisten, die umso seltsamer anmutet, als Assange sich offiziell Journalist und Aktivist nennt. Auch sonst ist die Erzählung voller Lücken. Daniel Domscheit-Berg, den Assange im Jahre 2008 auf der Jahrestagung des netzwerk recherche als seinen wichtigsten Mitarbeiter und alter Ego bezeichnete, kommt nicht vor. Ein Ausblick, wie es mit Wikileaks weitergehen kann, fehlt.

Der Leser wird auch über die Anfänge von Wikileaks ziemlich im Unklaren gelassen: Assange beschließt, "die Regierungen in einem Säurebad bis auf die Knochen zu entblößen" und hat vom Start weg eine unglaubliche Menge an Material zu bearbeiten. Woher es gekommen ist, wird nur in Andeutungen erklärt: Assange mokiert sich über die Journalistin Michaela Wrong, deren Buch über Korruption und Whistleblowing in Kenia ("Jetzt sind wir dran") als Raubkopie von Wikileaks verbreitet wird. Ihren Vorwurf, dass Wikileaks das Copyright verletzt, sieht er als kleinbürgerlichen Einwand und entgegnet, dass ihr Baby dank Wikileaks der Sohn des kenianischen Volkes sei. Das außerordentlich unfertige Buch mag als Zeitdokument für die Wikileaks-Gemeinde eine Bedeutung haben und ist passagenweise als Fortsetzungsroman geeignet.

Der Verlag Canongate wirbt damit, dass Assange erstmals seine Sicht der Vorfälle in Schweden veröffentlicht, wo ihn die Behörden in Untersuchungshaft befragen wollen. Auch diese Passagen befremden: Assange bezeichnet sich als "chauvinist pig", eine der ihn beschuldigenden Frauen als "a bit neurotic" und erklärt die Klage als Rachefeldzug, weil er nicht mehr angerufen habe. Außerdem deutet Assange an, womöglich in eine von Geheimdiensten aufgestellte Falle getappt zu sein. Im Nachhinein entpuppt sich diese Schilderung als Schlüsselszene: In der Stellungnahme zum nicht autorisiert veröffentlichten Buch betont Assange, dass er durch die Verhandlungen über seine Auslieferung an Schweden – über die noch nicht entschieden wurde – keine Zeit hatte, die erste Fassung des Buches zu bearbeiten. Gleichzeitig bezichtigt er seine Anwälte, entgegen den Absprachen für diese Verhandlungen so hohe Honorare in Rechnung gestellt zu haben, dass diese seine eingesammelten Vorschüsse für das Buch überstiegen, die von den Anwälten gesperrt worden seien. Außerdem habe ihn eine geheime Untersuchung einer Grand Jury abgelenkt, die gegen ihn im US-Staat Virginia läuft. Diese Untersuchung, die in einem juristischen Gutachten (PDF-Datei) für den US-Kongress als wenig aussichtsreich dargestellt wird, wird von Assange als Grund dafür angeführt, warum er sich gegen die Auslieferung nach Schweden wehrt.

Mit seinen Prozessen beschäftigt, wollte Assange die Buchproduktion auf das Jahr 2012 verschieben. Dies aber hätte für den kleinen Verlag Canongate nach Darstellung des Guardian den Ruin bedeutet. Canongate habe 250.000 britische Pfund an Assange und 100.000 Pfund an seinen Ghostwriter Andrew O'Hagan gezahlt. Der Verlag sei durch den Ausstieg des ungleich größeren US-Verlages Knopf gezwungen gewesen, diese Summen so schnell wie möglich mit einem hastig produzierten Buch wieder einzuspielen. Aus dem avisierten Weltbestseller, der Assange mindestens 1,2 Millionen Pfund ohne die Filmrechte hätte bringen können, wurde so ein Buch, das niemandem wirklichen Gewinn bringt, auch wenn der Verlag seine Ausgaben sicher leicht amortisieren dürfte und dann Assange ein zusätzliches Honorar zahlen wird. Der Leser aber, der nach Signalen sucht, was Wikileaks ausmacht und was das Projekt für die Zukunft der Whistleblower bedeuten kann, hat 20 Pfund in eine Sackgasse investiert. (jk)