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Was war. Was wird.

Der elektrische Kolumnist Hal Faber schärft an diesem Sonntag vor der Woche, in der politische Besucher aus sieben Ländern kommen, den Blick aus einem Mindestabstand von zehn Kilometern ganz ohne zündende Schlusspointe.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

"I'm Chefin from G8 And I've already known To live near Holy Damm Behind a Sicherheitszaun."

*** Ja, wenn wir alle Sicherheitszaun in the morning trällern und die topaktuellen Nachrichten vom Zaun lesen, dann kann man aus der norddeutschen Tiefebene nur rüberradeln und feststellen: Meck-Pomm rockt. Eine Parodie wie dieser Sicherheitszaun-Song, erschienen in einer Wirtschaftszeitung wie der Financial Times Deutschland, sagt eigentlich alles über den albernen Gipfel auf der anderen Seite des "komplexen technischen Sperrwerks", an dem vorerst niemand demonstrieren darf. Zehn Kilometer Abstand muss schon sein bei dieser empfindlichen Sperrtechnik und der wahnsinnigen Gefahr, dass protestierende Bürger "in emotionalisierende Nähe eines politischen Besuchers" gelangen, wie es das Greifswalder Gericht formuliert hat. Noch alberner und damit der Sache angemessener liest sich der Vorschlag von Theo Waigel, den Gipfel auf dem Gipfel stattfinden zu lassen, während der Volksdichter Enzensberger mit seinem "Vorschlag zur Güte", eine Südseeinsel zu nehmen, die Sache entschieden zu ernst nimmt.

*** Denn Südseeinseln und Polderländer saufen im kommenden Klimawandel ab, wie jedes Kind mittlerweile weiß. So etwas will man den Politikern nun doch nicht wünschen, oder? Während die Schengen-Busse in Norddeutschland patrouillieren und die Bahnschaffner anlassbezogen nebenberuflich als Blockwarte arbeiten, erzieht der Präventivstaat mit solchen Bildern seine Untertanen zu Duckmäusern. Wer Politiker auf fremde Inseln und hohe Berge wegwünscht, vergisst schnell, dass sie abgewählt werden können. Jedenfalls in den meisten G8-Staaten. Wobei das mit den freien Wahlen bei uns in einer Verfassung steht, die schnellstens der Lebenswirklichkeit angepasst werden muss. Nur schade für Schäuble, dass das nicht so fix geht wie eben einmal das Abschalten der Handynetze rund um Heiligendamm.

*** Lebenswirklichkeit ist wirklich ein gutes Stichwort für den Schwenk in die IT. Man nehme nur die nicht gehaltenen Versprechungen vom letzten Gipfel der 8 Ratlosen, in Afrika Schluss zu machen mit dem Elend. Auf dem nicht armen Kontinent könnte man mit dem OLPC-Laptop eine Menge mehr machen als nur Tetris zu spielen und Linux zu erkunden.

*** Zur Lebenswirklichkeit gehört auch, dass man die Vergangenheit nicht verklärt mit dummen Erzählungen von damals. Will Steve Jobs zeigen, wie vergreist er ist, wenn er allen Ernstes erzählt, das Gates den Mut gehabt habe, die erste Software-Firma zu gründen? Wie wäre es mit Applied Data Research, Pansophic und Whitlow Computer Systems, die in den 60er Jahren als reine Software-Firmen starteten? Dabei setzten auch diese Firmen, genau wie Bill Gates, nicht unbedingt feine Methoden ein, um sich auf dem Markt durchzusetzen. Erinnert sei an die Software SyncSort von Duane Whitlow. Whitlow schaffte es, ein Softwarepatent auf undokumentierte Befehle in IBMs Betriebssystem zu bekommen, die IBM daran hinderten, diese Befehle aufzurufen oder gar zu entfernen. Nur sein Programm SyncSort durfte exklusiv diese Befehle nutzen. Aber was schreibe ich, das sind ja uralte Kamellen, diese Patente. Viel schöner und zeitgemäßer ist die Debatte um das Recht auf eine bestimmte Zahlenkombination wie das berühmte 09 F9, das sogar die Süddeutsche Zeitung in mannigfaltiger Form vorgeführt hat, wie hier bereits bekakelt. Mit dem Recht auf die eigene Zahl ist der neue Schlüssel in der Welt. Da sage einer noch, das Hacker keinen Stil haben. Hände weg von 5D A0 78 77 58 7E 90 0C F3 00! Mein Bauch gehört mir!

*** Als elektrischer Kolumnist habe ich mich vorige Woche über die Nominierung des elektrischen Reporters bei den Grimme-Preisen lustig gemacht. Nichts gegen den Reporter und seine mitunter sehenswerten Reportagen, aber dass ein Jury-Mitglied eines Preises für denselben vorgeschlagen werden kann, hat schon eine besondere Qualität. Nun toppt die Jury das seltsame Verfahren mit einer noch seltsameren Erklärung, in der es heißt: "Im Unterschied zu anderen Medienpreisen, bei denen fachkundige Beobachter und Kritiker in einer Jury nicht unbedingt selbst Akteure sind, ist eine solche Überschneidung beim Medium Internet nicht auszuschließen." Das muss ja höllisch kompliziert sein, dieses Internet. Sicherlich wird die Posse weitergehen. Chips dazu gibt es in einer mediterran geprägten Garten- und Strandlandschaft

*** Während ich diese Zeilen schinde, tagt die Venedig-Kommission des Europarates und versucht, eine gemeinsame Entschließung zu formulieren. Auf der Tagesordnung steht die Forderung nach einer "Demokratischen Kontrolle der Sicherheitsdienste und Videoüberwachung". Wer überwacht die Überwacher, könnte man fragen, doch scheint das Problem ähnlich konsequent zerbröselt zu werden wie der Klimaschutz in Holy Damm. Dabei steht eine ganze Menge auf dem Spiel. Neben den Überwachern und Sicherheitschützern gibt es die Unterwacher, die nicht weniger gefährlich sind. Forscher fordern für Maschinen bereits das Recht auf Vergessen, das Menschen so gerne für sich in Anspruch nehmen.

*** Für ältere Leser jenseits der 60 ist der Tod von Benno Ohnesorg nicht zu vergessen. Mit ihm radikalisierte sich das, was man heute Studentenbewegung nennt. Wer weiß denn noch, dass es, ganz im Sinne von Theo Waigel, damals den Vorschlag gab, alle in Deutschland studierenden Iraner zum Schah-Besuch auf einer Nordseeinsel zu internieren? Inzwischen leben wir – noch – in einer bunten, toleranten Republik. Nur eines ist von den längst vergangenen Zeiten geblieben: ein Revolverblatt, passend zur Dienstpistole des Polizisten Kurras. Damals hetzte die Zeitung gegen die Studenten, heute gegen traumatisierte Opfer einer verfehlten US-Politik. Aber das war Benno Ohnesorg auch, ein Opfer einer verkorksten US-Politik, für die Öl wichtiger als Demokratie war. Der beliebte Web 2.0-Begriff Ajax hat eine historische Dimension.

Was wird.

Heiligendamm ist überall. Was die G8 in ein paar pseudogriechisch weißgekalkten Hotel-Hütten der Kempinski-Kette veranstaltet, kann die Gematik im weißen Schloss Bensberg der Althoffer locker toppen. Für ein Update Gesundheitskarte wird es langsam Zeit, weil die ersten eRezepte auf die Karte wandern. Die spannende Frage nach den Nebenwirkungen für alle noch arbeitenden Steuerzahler, die sich ab und an mal krankschreiben lassen und ein Päuschen nehmen, wird nun beantwortet: Wie wird man eigentlich die Rezepte los, die der Doc zwinkernd unterkrakelt? Einfach Wegschmeißen ist nicht mehr, wenn das Papier alle ist. Und eine /dev/null-Taste haben sie am eKiosk einfach vergessen.

Nichts fürchtet der gemeine Journalist mehr als den Juristen. Dass diese Spezies nur in Begriffen wie Abmahnung und Administrativenteignung denken kann, geschenkt, geschenkt. Die juristische Prosa ist indes eine ernste Konkurrenz für jeden Journalisten, der am Schluss die zündende Pointe setzen will. In diesem Punkte gestehe ich für heute die totale Niederlage ein und übergebe mit dem Boo der Woche an eine Verhandlung, die am kommenden Dienstag in Berlin stattfinden wird:

"Seit aber die weltweite Kommunikation – die ja zu begrüßen ist – es ermöglicht, jegliches kleinstes Erlebnis aus seinem Leben der Öffentlichkeit kundzutun, scheinen für Personen wie den Beklagten Persönlichkeitsrechte Dritter überhaupt nicht mehr zu zählen. Es wird einfach alles berichtet, was einem in den Kram passt. Vor einer solchen Praxis ist nur noch die Rechtsprechung der Kammer und anderer deutscher Gerichte, die den Persönlichkeitsrechten Dritter, hier dem Kläger, das notwendige Gehör verschaffen."

Hört, hört, hört.

(Hal Faber) / (anw)