Piratenpartei: ein "neues Betriebssystem" für Deutschlands Politik

Vor der Hauptstadtpresse erläuterten Spitzenpiraten ihre Idee eines Politikwechsels. Der Bundesvorsitzende Nerz, zuletzt aufgrund nicht abgestimmter Aussagen piratenintern in der Kritik, definierte seine Funktion innerhalb der Partei sehr zurückhaltend.

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Von
  • Johannes Haupt

Die Piratenpartei möchte nach ihrem Wahlerfolg in Berlin und den guten bundesweiten Umfragewerten schnell parteipolitisches Profil gewinnen und sich vom Image der "Netzpartei" lösen. Der Bundesvorsitzende Sebastian Nerz erklärte am Mittwochmittag vor der Bundespressekonferenz in Berlin, die Piraten seien eine "sozialliberale Bürgerpartei". Die Partei lasse sich nicht in das nach Ansicht Nerz' historisch überkommene Links-Rechts-Schema einordnen. So sei die Sozialpolitik wohl eher links einzuordnen, die Einstellung zu Grundrechten aber eher mittig. Die Partei wolle für mehr Offenheit und Bürgerbeteiligung in der Politik eintreten.

Die politische Geschäftsführerin Marina Weisband nannte Bildung und Transparenz als Kernthemen der Piratenpartei. Auch Freiheit habe sich die Partei auf die Fahnen geschrieben: Das Internet sei hier nicht mehr als ein Instrument dafür, die Menschen bei ihrer freien Entfaltung zu unterstützen. Die Freiheit dürfe erst bei Handlungen aufhören, die andere in ihrer Freiheit einschränkten. Die Partei habe nicht bloß ein Programm anzubieten, sondern ein neues "Betriebssystem" für politische Arbeit. Dazu zähle auch die kollaborative Ausarbeitung von Positionen, um das noch recht lückenhafte Parteiprogramm rechtzeitig zur Bundestagswahl 2013 auszufüllen.

Auf die fast schon obligatorische Frage nach der Frauenquote bei der Piratenpartei entgegnete Weisband, "aus irgendwelchen Gründen haben Frauen weniger Interesse an politischen Parteien". Hinzu käme die Herkunft der Piraten aus einem (IT-)Umfeld, in dem Frauen stark unterrepräsentiert sind. Piratinnen hätten es allerdings auch ohne Quote keinesfalls schwer, in der Partei Gehör zu finden – Weisband ist sogar der Meinung, ihr Geschlecht habe sich bei der Wahl in den Bundesvorstand als Vorteil erwiesen.

Der Bundesvorsitzende Nerz vermied es, Position zu konkreten politischen Fragestellungen zu beziehen. So sagte er angesprochen auf den jüngst verabschiedeten Euro-Rettungsschirm, natürlich habe er als politischer Mensch und Bundesvorsitzender eine Meinung dazu. Weil seine Positionen in den Medien mit denen der Partei gleichgesetzt würden, werde er sich zu diesen und ähnlichen Fragen nicht persönlich äußern. Auch sonst interpretiert Nerz sein Amt nach eigenen Angaben eher zurückhaltend. Bei knappen Mehrheiten wolle er eher öffentlich klarstellen, die Partei sei zerstritten, als mit starker Hand eine Position durchzusetzen.

Auch zu Koalitionsaussagen wollte sich Nerz diesmal auch auf mehrfache Nachfrage hin nicht hinreißen lassen. Zwar schloss er Koalitionen mit extremistischen Parteien aus; dazu zählten nationalistische Kräfte, aber auch linke Parteien mit einem totalitären Staatsbild. Auf kommunaler Ebene gibt es bereits einige Fraktionsgemeinschaften von Piraten und Linkspartei. Auch stellte Nerz klar, Parteien wie die CSU hätten in den letzten Jahren eine Politik gemacht, die den eigenen Vorstellungen diametral entgegenstehe.

Konkrete Koalitionsaussagen werde es aber nicht geben, vielmehr wollen die Piraten im Nachgang von Wahlen eruieren, ob und mit wem sie in Regierungsverantwortung ihrer Themen am ehesten durchsetzen können. Nerz war jüngst parteiintern in die Kritik geraten, weil er in einem heute.de-Interview ohne Rücksprache eine rot-grün-orange Koalition auf Bundesebene befürwortete. Der Bundesvorsitzende rede "am laufenden Band Unsinn", hieß es daraufhin aus den Reihen der Berliner Piratenfraktion.

[Update 17:00 Uhr: Wie die Berliner Piratenfraktion soeben auf einer Sondersitzung beschloss, möchte die Partei in der Bundeshauptstadt Gesprächsbereitschaft in alle Richtungen signalisieren. Die beiden bisherigen Koalitionspartner SPD und Linke haben im neuen Senat keine Mehrheit mehr. Am Mittag waren die Verhandlungen zwischen SPD und Grünen über die Bildung einer rot-grünen Koalition schon nach einer halben Stunde gescheitert, Zankpunkt war die Stadtautobahn A100.

Ein Antrag des Abgeordneten Christopher Lauer, dediziert auf eine rot-rot-orange Koalition hinzuarbeiten, wurde mit Null zu Acht Stimmen abgelehnt. Beobachter rechnen in Berlin nach dem Scheitern der rot-grünen Verhandlungen nun mit einer großen Koalition aus SPD und CDU, die im Senat eine deutliche Mehrheit hätte. In einer früheren Version dieser Aktualisierung hieß es, die Berliner Piratenfraktion habe sich auf rot-rot-orange Koalitionsverhandlungen verständigt. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.] (jh)