„Wir sind alle nur Maschinen“

Josh Bongard lässt sich von der Evolution inspirieren, um intelligente, autonome Roboter zu bauen. Die Maschine ist dem Menschen näher, als viele glauben wollen, sagt er.

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Josh Bongard, 37, gilt als einer der führenden jungen Köpfe der neuen KI-Forschung. Diese interdisziplinäre Denkschule betont vor allem, dass Intelligenz sich nicht losgelöst von den physischen Eigenschaften des Körpers verstehen lässt. Seit 2006 lehrt Bongard Informatik an der University of Vermont.

Technology Review: Professor Bongard, was ist Intelligenz?

Josh Bongard:
Ich glaube, dass man, um diese Frage beantworten zu können, nicht nur den Geist, sondern auch den Körper betrachten muss. Sowohl Tiere als auch Roboter verwenden ihren Körper, um mit der Welt zu interagieren – stark vereinfacht geben sie der Welt einen Schubs und schauen dann, wie die Welt zurückschubst. Diese Interaktion liefert den Rohstoff für Lernprozesse. Und daraus entsteht Intelligenz. Der Schlüssel dafür ist Anpassung: Die Fähigkeit, ein Problem zu lösen, auch wenn sich die Regeln zwischendurch ändern. Wir versuchen also zunächst einmal, Roboter zu erschaffen, die sich anpassen können.

TR: Im Unterschied zu Industrierobotern, die unter genau definierten Umgebungen arbeiten?

Bongard:
Ja, das ist richtig. Wir wollen, dass unsere Roboter auch im Freien arbeiten können, in Häusern oder Büros.

TR: Was sollten diese Roboter tun?

Bongard:
Industrieroboter helfen uns, große Mengen an Gegenständen billig herzustellen. Wenn Sie sich aber außerhalb der Fabrikhallen umsehen, stellen Sie fest, dass dort noch Handarbeit vorherrscht – etwa beim Straßenbau. Weil die Welt da draußen sich ständig ändert, bräuchte man Roboter, die sich an diese wechselnden Umstände anpassen können. Nehmen Sie zum Beispiel eine Baustelle. Auch wenn der Roboter eine sehr simple Aufgabe hat – transportiere Steine von A nach B –, muss er auf Menschen reagieren, die sich auf der Baustelle bewegen, oder aufhören, wenn es regnet.

TR: Die autonomen Roboter, die jetzt schon draußen operieren können, sind in ihren Fähigkeiten noch ziemlich beschränkt, oder?

Bongard:
Absolut. Robotiker haben einen viel stärkeren Hang zur Träumerei als andere Wissenschaftler oder Ingenieure. Sie haben oftmals eine sehr optimistische Einschätzung von den technischen Fähigkeiten ihrer Maschinen. Es gibt eine Lücke zwischen dem, was Roboter tatsächlich tun können, und was wir uns von ihnen wünschen. Aber diese Lücke wird kleiner.

TR: Haben Sie dafür Beispiele?

Bongard:
Sehen Sie sich den Roomba-Staubsauger von iRobot an. Eine sehr bescheidene kleine Maschine, aber sie macht ihren Job ganz gut. Interessant ist die Umgebung, in der diese Maschine arbeitet. Größtenteils bleibt sie immer gleich. Aber es gibt kleine Kinder, die durch die Zimmer laufen, oder Haustiere – manchmal gibt es mehr Schmutz und manchmal weniger. Roboter werden mehr und mehr von diesen semistrukturierten Umgebungen, wie wir das nennen, erobern.

TR: Haben Sie eine Idee, wie man noch bessere Roboter bauen kann?

Bongard:
Möglicherweise. Wir haben uns von der Biologie inspirieren lassen – vor allem vom Konzept der Evolution. Die Evolution hat eine große Zahl von adaptiven Maschinen hervorgebracht – biologische Organismen. Statt direkt zu versuchen, adaptive Maschinen zu bauen, entwickeln wir ein evolutionäres System, in dem sich eine solche Maschine von selbst entwickeln kann.

TR: Was bedeutet das?

Bongard:
Wir wollen dem evolutionären System sagen, was der Roboter tun soll – zum Beispiel: „Nimm dieses Objekt und trage es dort rüber.“ Aber wir wollen dem System nicht sagen, wie dieses Problem konkret gelöst werden soll. Wir sagen also nicht: „Benutze Motor Nummer drei, um den linken Arm auszufahren.“

TR: Das heißt, Sie wollen Ihre Roboter nicht direkt programmieren?

Bongard:
Das ist unser Ziel. Denn wenn man das tut, kann sich die Maschine nicht von selbst anpassen. Wenn wir dem Roboter sagen, wie genau er seine Aufgabe lösen soll, kann er das nicht mehr, wenn sich die Bedingungen verändern. Wenn der Ball nicht mehr in der linken hinteren Ecke des Raumes liegt, sondern in der rechten, muss man normalerweise das Programm ändern, obwohl die Aufgabe im Grunde genommen immer noch dieselbe ist.

TR: Die Idee ist an sich nicht neu, oder?

Bongard:
Nein, ist sie nicht.

TR: Kann es sein, dass viele Ingenieure davor zurückscheuen, so vorzugehen, weil sie Angst haben, die Kontrolle abzugeben?

Bongard:
Ich denke, es gibt einen fundamentalen Widerspruch zwischen Technologie und Autonomie: Wenn man eine autonome Maschine erschaffen will, muss man in Kauf nehmen, dass ihr Verhalten so komplex wird, dass man es nicht mehr versteht. Das ist, wie Sie richtig sagen, für Ingenieure etwas sehr Problematisches. Es gibt aber einen neuen Trend in unserer Wissenschaft, der dem entgegenwirkt. Bei der sogenannten „Machine Science“ geht es darum, dass der Computer nicht nur eine Lösung für ein vorgegebenes Problem entwickelt, sondern auch eine Lösung, die für einen Menschen nachvollziehbar ist.

Schöpfer mit Geschöpf: Der vierbeinige Roboter, den Josh Bongard hier in den Händen hält, hat eigenstän-dig gelernt zu gehen. Entfernt man eines der Beine, lernt der Roboter, sich an die neuen Bedingungen anzupassen.

(Bild: University of Vermont)

TR: Wie weit sind Sie selbst bisher gekommen?

Bongard:
Vor einigen Jahren haben wir einen Roboter gebaut, der vier Beine hat. Dieser Roboter hat evolutionäre Strategien genutzt, um zu lernen, wie man läuft. Wir haben nur die Vorgabe gemacht: Bewege dich von Punkt A nach Punkt B. Dann haben wir die Bedingungen verändert, indem wir dem Roboter eines seiner Beine abgenommen haben. Der Roboter wusste nicht, was passiert war – er wusste nur, dass sich etwas verändert hatte und dass er sich an diese Veränderung anpassen musste, um seine Aufgabe zu erfüllen. Also entwickelte er eine neue Steuerung, die ihn befähigte, mit drei Beinen zu gehen.

TR: Diesen Roboter haben Sie nicht nur simuliert, sondern auch wirklich gebaut?

Bongard:
Natürlich. Die Konstruktion eines solchen Roboters geschieht in drei Stufen. Zunächst simulieren wir verschiedene Maschinen im Computer, wo die unterschiedlichen Entwürfe miteinander konkurrieren. Der Entwurf, der sich schließlich in diesem Entwicklungsprozess als der beste herausstellt, wird von uns tatsächlich gebaut. Aber auch diese Maschine entwickelt sich kontinuierlich weiter.

TR: Wie lange brauchte der Roboter denn, um sich an das fehlende Bein zu gewöhnen?

Bongard:
Wir haben diese Arbeit vor einigen Jahren durchgeführt. Damals hat der Roboter etwa eine halbe Stunde gebraucht, um sich anzupassen. Mit moderneren Computern sollte das, denke ich, in ein paar Minuten zu schaffen sein. Die einzige Begrenzung dabei ist die zur Verfügung stehende Rechenleistung.

Bongard: Im Januar haben wir einen Aufsatz veröffentlicht, in dem wir einen Roboter beschreiben, der seinen Körper verändern kann. Mit den allermeisten Robotern, die es heutzutage gibt, kann man so etwas nicht machen: Sie bestehen aus Metall und Kunststoff, und wenn sie einmal gebaut sind, dann war es das auch. Aber die Materialwissenschaften haben interessante Fortschritte gemacht, sodass wir auch über Roboter nachdenken können, deren Körper sich weiterentwickeln kann. Wir haben also Roboter simuliert, die so ähnlich aussehen wie Schlangen und die sich zu einem Ziel hinbewegen sollen. Zu Anfang lernen diese Roboter, über den Boden zu gleiten – dann entwickeln einige von ihnen ganz langsam so etwas wie Beine.

TR: Warum tun sie das?

Bongard:
Das ist eine der großen Fragen in der Biologie. Eine Menge Tiere tun genau das – ihr Körper verändert während der Metamorphose seine Form: Aus Kaulquappen werden Frösche. Warum tun sie das? Unsere Forschung hat gezeigt, dass die Veränderung der Körperform einen evolutionären Vorteil bietet. Nehmen Sie die Schlange: Ihr Schwerpunkt ist sehr tief, sodass sie nicht umkippen kann. Aber sie ist nicht sehr schnell. Wenn sie Beine entwickelt, wird sie schneller. Aber sie muss das Gleichgewicht halten. Die Evolution hat also das Problem der Bewegung in zwei einfachere Probleme aufgespalten: das der Bewegung und das der Balance.

TR: Faszinierend. Aber was können Sie daraus lernen?

Bongard:
Unsere Lektion ist: Statt komplizierte Roboter zu bauen, mit Beinen, Armen und Sensoren, sollten wir mit ganz einfachen Robotern anfangen. Wenn diese Roboter lernen, was sie tun sollen, entwickeln sie die notwendigen Gliedmaßen von selbst.

TR: Das wird sich für viele Menschen ziemlich gruselig anhören.

Bongard:
Sicher. Wenn Sie sich einige unserer Videos von den Simulationen anschauen, dann sieht das wirklich recht unheimlich aus. Aber wir sind Ingenieure – wir sind daran interessiert, nützliche Maschinen zu entwerfen.

TR: Läuft der Lernprozess, den Sie beschrieben haben, auch in die andere Richtung? Soll heißen: Lernen die Biologen auch von der Robotik?

Bongard:
Ich würde nicht sagen, dass wir als Robotiker den Biologen neue Antworten auf ihre Fragen liefern können. Aber wir entwickeln Hypothesen, auf die ein Biologe vielleicht nicht unbedingt von selbst kommt. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich und viele meiner Kollegen untersuchen Verhaltensweisen und Fähigkeiten wie Gehen, Laufen, das Klassifizieren und Erkennen von Objekten und so weiter bei Robotern. Das hat den Vorteil, dass wir das Gehirn unserer Roboter analysieren können. Wir können sehen, was dort vorgeht, wenn die Roboter eine Aufgabe lösen. Und oftmals sind diese Gehirne verblüffend einfach aufgebaut – sie bestehen vielleicht aus ein paar Dutzend Zeilen Programmcode. Wir sagen den Biologen also: Die Verhaltensweisen, die ihr in der Natur beobachten könnt, sind möglicherweise das Resultat von ebenso einfacher biologischer Hardware.

TR: Das heißt, in Ihren Augen sind Lebewesen nichts weiter als einfache biologische Maschinen?

Bongard:
Was heißt einfach? Wenn Sie sich die Geschichte der Robotik ansehen, dann hat bei Weitem nicht alles funktioniert, was die Robotiker versucht haben. Oft haben wir viel zu komplexe Systeme gebaut – dann haben wir alles, was wir an Rechenleistung zur Verfügung hatten, eingesetzt und gehofft, dass der Roboter funktioniert. Und normalerweise tat er das nicht. Wenn etwas funktioniert hat, dann, weil es einfach war. Es sieht also so aus, als sei Verhalten sehr viel einfacher, als wir bisher gedacht haben.

TR: Wie reagiert die Öffentlichkeit, wenn Sie so etwas sagen? Ich kann mir vorstellen, dass nicht alle solche Thesen gern hören, oder?

Bongard:
Da haben Sie recht. In der Geschichte der Wissenschaft ist es schon immer darum gegangen, den Menschen aus dem Zentrum des Universums zu entfernen. Darwin hat diesbezüglich bisher das letzte Kapitel geschrieben. Die Robotik bringt uns nun dahin, zu erkennen, dass wir Menschen – gemeinsam mit allen anderen Tieren – einfache biologische Maschinen sind. Das gefällt vielen Menschen nicht. Was daran liegen könnte, dass Roboter sowieso als ein bisschen unheimlich gelten.

TR: Wie denken Sie persönlich darüber?

Bongard:
Ich denke, dass es keinen Grund gibt, enttäuscht oder beschämt zu sein, falls sich herausstellt, dass wir einfache biologische Maschinen sind. All die Errungenschaften der Menschheit werden dadurch nicht entwertet. Und auch wenn wir möglicherweise individuell ganz simple Maschinen sind, dann gilt das auf keinen Fall für unsere Interaktion mit der Welt, mit Tieren und mit anderen Menschen. Diese Interaktion ist sehr komplex und reichhaltig. Ich denke, das gilt für alle Lebewesen. Das ist doch ein ermutigender Gedanke.

TR: Schon die erste Generation von Industrierobotern hat den Leuten Angst gemacht, weil sie befürchteten, ihre Arbeit zu verlieren. Wäre diese Angst jetzt nicht noch berechtigter?

Bongard:
Das ist eine gute Frage. Es gibt viele ethische Fragen im Zusammenhang mit dem Einsatz von Robotern – und die Frage der Arbeitsplätze ist ganz sicher eine davon. Aber in den achtziger Jahren gab es dieselben Befürchtungen im Zusammenhang mit PCs. Tatsächlich hat die Einführung von Computern kurzfristig Jobs gekostet. Rund 30 Jahre später entpuppt sich die Informationstechnologie aber als größter Sektor unserer Wirtschaft. Computer haben also das Arbeitsleben drastisch verändert, einige Berufe überflüssig gemacht, andere von Grund auf geändert, aber auch viele neue Jobs geschaffen. Ich denke, dasselbe kann man auch über die Industrierobotik sagen. Und es wird auch für die Einführung intelligenter Roboter gelten: Am Ende werden sie mehr Jobs erzeugen, als sie zerstören. (wst)