Medienforscher plädiert für Praxistest der Kulturflatrate

Der Berliner Wissenschaftler Volker Grassmuck meint, nach zehn Jahren theoretischer Debatte über eine "Tauschlizenz" zur Legalisierung von Filesharing sei die Zeit reif für ein Pilotprojekt zum Erproben der Verteilungsmechanismen.

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Der Berliner Medienwissenschaftler Volker Grassmuck hält nach zehn Jahren theoretischer Debatte über eine Kulturflatrate zur vollständigen Legalisierung von Filesharing die Zeit reif für ein Pilotprojekt. Gefragt sei endlich ein praktischer Nachweis der Umsetzbarkeit des umstrittenen Konzeptes, schreibt der Forscher in seinem über 60 Seiten langen Vorschlag (PDF-Datei). Bei dem "allseits freiwilligen" Testlauf sollten "alle haarigen Fragen von Gesetzesänderung, Zahlungsverpflichtungen, Skalierbarkeit und globaler Anschlussfähigkeit" zunächst ausgeklammert werden. Hauptziel solle es stattdessen sein, zentrale Fragen der Verteilung der eingenommen Gebühren zu überprüfen. Ob die Einführung eines solchen alternativen Vergütungssystems überhaupt nötig oder geboten ist, lässt der Vorstoß außen vor.

Bei der Kulturflatrate, die Grassmuck lieber nach brasilianischem Vorbild als "Tauschlizenz" bezeichnet wissen möchte, geht es um eine gesetzliche Erlaubnis zum privaten, nicht-kommerziellen Nutzen von Peer-to-Peer-Netzwerken (P2P). Für die Einschränkung ihres ausschließlichen Verwertungsanspruchs sollen Rechteinhaber mit einer pauschalen Vergütung entschädigt werden. Gängige Modelle schlagen eine Zusatzgebühr auf breitbandige Internetzugänge in Höhe von 5 Euro monatlich vor, was sich hierzulande zu einem Gesamtbetrag von rund 1,5 Milliarden Euro pro Jahr addieren würde. Unterschiedliche Vorschläge gibt es zur Aufteilung dieses Topfes. Das herkömmliche Modell der Kulturflatrate sieht eine Auszahlung im Verhältnis zur Popularität und zu den Downloadzahlen der getauschten Werke über eine Vergütungsgesellschaft vor. Der Chaos Computer Club (CCC) hat dagegen jüngst im Rahmen seines Konzepts der "Kulturwertmark" eine individuelle Vergabe des Monateinsatzes per Mikrowährung etwa nach dem "flattr"-Modell ins Spiel gebracht.

Um die Vor- und Nachteile dieser Vergütungssysteme oder weiterer Alternativen wie die Ausschüttung über eine neu einzurichtende Stiftung zu testen und Erfahrungen mit dem Ansatz an sich zu sammeln, empfiehlt Grassmuck einen Probelauf gemäß der Internet-Philosophie von "rough consensus and running code". Nach einer Projektlaufzeit "von vielleicht drei oder vier Monaten" solle ein Abschlussbericht Empfehlungen für das weitere Vorgehen geben. Auf Seiten der Urheber und Kreativen zeigt sich der Wissenschaftler in diesem Rahmen zuversichtlich, "dass wir Musiker, Filmemacher, Autoren, Game-Designer, Verlage und Labels und vielleicht auch Verbände gewinnen können, die sich beteiligen". Diese müssten dann für den begrenzten Zeitraum nicht mehr als Metadaten zur Identifizierung ihrer Werke, eine Kontonummer und eine rechtsverbindliche Zusage liefern, nicht gegen die Tauschbörsennutzer zu klagen. Dies käme einem "befristeten Waffenstillstand" gleich.

Zu verlieren hätten diese Autoren nichts, schreibt Grassmuck: "Wir gehen davon aus, das ihre Werke eh frei zirkulieren und sich daran durch das Pilotprojekt auch nichts Wesentliches ändern wird." Ferner könnten sie aber erstmals Einnahmen aus der Vergütungspauschale erzielen, auch wenn diese "eher von symbolischem Ausmaß" sein würden. Zudem erhielten sie und die Öffentlichkeit Erkenntnisse darüber, "ob eine Tauschlizenz der richtige Weg sein kann". Bereitschaft zum freiwilligen Einzahlen auf der anderen Seite sieht der Experte vor allem bei Mitgliedern der Verbraucherschutzverbände, dem CCC und anderen Internet-Lobbygesellschaften wie der Digitalen Gesellschaft. Darunter würden sich sicher auch einzelne Aktivisten finden, die sich aktiv an der Konzeption und Durchführung des Tests beteiligten. Die 5 Euro monatlich könnten – wie der Eintritt für ein gutes Konzert – als "fairer Betrag" zur Unterstützung der Urheber angesehen werden.

Als klärungsbedürftig bezeichnet der "Request for Comments" unter anderem, wie Grenzen zwischen kommerziell und nicht erwerbsmäßig sowie privat und öffentlich zu ziehen seien. Offen sei auch, ob die Vergütung nur an Urheber und aufführende Künstler oder auch an Verwerter ausgeschüttet werden solle. Ferner seien Datenschutz und Verfahren zur Verhinderung vor Betrug vorzusehen. Für sinnvoll hält es Grassmuck auch, sich Gedanken für eine transparentere "Verwertungsgesellschaft 2.0" sowie die einfache Registrierung und Erkennung von Werken zu machen. Auszuloten seien zudem Verfahren zur Popularitätsmessung etwa durch Entwicklung spezieller Plug-ins für Browser sowie zur Einsetzung einer "P2P-Kulturförderung". (jk)