Fokus: Technikspielzeug

Spielen ist mehr als nur ein vergnüglicher Zeitvertreib. Das passende Material kann den Erfindergeist von Kindern und Jugendlichen beflügeln, Lust aufs Experimentieren wecken und so vielleicht auch der Anschub für eine spätere Berufswahl sein.

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Von
  • Nike Heinen

Spielen ist mehr als nur ein vergnüglicher Zeitvertreib. Das passende Material kann den Erfindergeist von Kindern und Jugendlichen beflügeln, Lust aufs Experimentieren wecken und so vielleicht auch der Anschub für eine spätere Berufswahl sein.

Oscar sitzt, den Schraubenzieher fest in der kleinen Hand, vor einem Gehäuse voller Drähte. Er stochert konzentriert an der grünen Platine herum, dort, wo rote Kupferdrähte blitzen. Für diesen Videorekorder kommt zwar ganz offensichtlich jede Hilfe zu spät. Der Monteur ist trotzdem unverdrossen: „Ich aperier das“, sagt er. Mit vier Jahren ist „reparieren“ ein Zungenbrecher. Dafür geht Schraubenzieherhalten schon sehr gut. Und deswegen darf das, wer möchte, in diesem Hamburger Kindergarten auch jeder tun. Hier im Christophorus-Kindergarten gibt es viele leidenschaftliche „Aperierer“. Kaum steht die Kiste mit den ausgemusterten Geräten auf dem Tisch, haben die Erzieher eigentlich gar nichts mehr zu tun. Alle Kinder werkeln nur noch konzentriert vor sich hin. „Das ist ein Alter, in dem man Begeisterung für Technik nicht erst wecken muss“, sagt Kindergärtnerin Alice Balonon. „Sie ist einfach da. Bei den Mädchen wie bei den Jungs, ohne Unterschied.“

Wenn die Kinder die ausgemusterten Alltagsgeräte genug inspiziert haben, dann können sie die Eindrücke aus der großen Welt am nächsten Tag in der kleinen bunten nachbauen: Mit Lego lässt sich gut erklären, wie etwas funktioniert. Dort gibt es zum Beispiel auch Zahnräder – wie bei dem alten Wecker in der Schrottkiste. Es gibt gut ausgewuchtete und bedenklich wacklige Statik. Und ganz nebenbei lernen die kleinen Hände, wenn sie Steinchen auf Steinchen drücken, auch noch, ein bisschen präziser zu funktionieren.

Mit seinen Technikangeboten fürs Vorschulalter – neben der Kiste mit alten Geräten gibt es auch zahlreiche fertige Bausätze – spielt der Christophorus-Kindergarten in Hamburg-Hummelsbüttel im Moment noch eine Vorreiterrolle. Ginge es nach den Wünschen von Bildungsforschern und der Industrie, dann wäre diese Ausnahme bald die Regel. Dass in Deutschland Ingenieure fehlen, weiß inzwischen auch die letzte Kunstlehrerin. Ebenso viel zitiert ist inzwischen die vermutliche Lösung für dieses Dilemma: vom Kindergarten bis zum Abitur gezielt technisches Interesse bestärken.

Und was wäre mehr dazu angetan, die Ingenieurswissenschaften von ihrem faden Image zu befreien, als die fröhlich bunten Steinchen von Lego? Der dänische Spielzeugriese hat die Marktlücke längst erkannt. Ein bedeutender Teil des Sortiments wird mittlerweile gezielt für die technische Bildung in Kindergärten und Schulen konzipiert. Der Katalog des sogenannten „Education“-Sortiments beginnt mit Vorschul-Bausätzen für einfache Maschinen aus Lego Duplo mit Achsen, Rädern oder Wellen und endet mit den „Tetrix“-Roboter-Baukästen für Oberstufen-Informatik, bei denen die Schüler in die Feinheiten der Servomotoren-Steuerung eingeführt werden.

Auch Konkurrent Fischertechnik, ursprünglich ein Baukastensystem, um Lehrlinge der Fischerwerke mit Grundbegriffen des Maschinenbaus auszustatten, hat den Unterricht an Schulen und Hochschulen als Absatzmarkt ins Auge gefasst. Einzig die Experimentierkästen von Kosmos sind zurzeit noch reine Privatsache – allerdings eine, der ehrgeizige Bildungseltern immer weiter steigende Absätze bescheren.

Hamburg steht Modell dafür, wie vor allem Lego die deutsche Bildungslandschaft verändern könnte. Im Gegensatz zu ande-ren Bundesländern sind die Bildungstöpfe bei den betuchten Hanseaten noch ganz gut gefüllt. Gerade erst hat die Firma LPE aus dem badischen Eberbach, die deutsche Lizenznehmerin der Lego-Education-Linie, die Hamburger Stadtteilschulen nahezu komplett mit Lego-Lernrobotern ausgestattet. Diese Schulen sind bei der letzten Schulreform vor einem Jahr aus Haupt- und Realschulen hervorgegangen – und werden nun noch eine gymnasiale Oberstufe mit in ihr Bildungsprogramm nehmen.

Bei diesem Herkulesprojekt sollen die „Mindstorms“-Roboter von Lego helfen: Denn an ihnen kann man nicht nur die Grundlagen des Programmierens unterrichten. Für sie gibt es auch eine ganze Palette von Mini-Messanlagen zu kaufen, die Projekte in Physik, Chemie und sogar Biologie möglich macht – etwa Versuche mit Stromkreisen, pH-Wert-Messungen oder Feldversuche zur Wasserqualität (siehe Artikel Seite 70). Und die optischen Anklänge ans eigene Kinderzimmer sind – so die Hoffnung der Pädagogen – vielleicht endlich auch für jene Schüler ein Anreiz, etwas zu lernen, die sonst in den mathematisch-naturwissenschaftlichen (MINT) Fächern mit dem Gähnen kämpfen.

Mindstorms gibt es seit Ende der 90er-Jahre. Aber erst seit 2006, als das aktuelle Modell NXT herauskam, feiert Lego einen regelrechten Triumphzug in deutschen Schulen. Das neueste Modell NXT 2.0 lässt sich wahlweise zu einem humanoiden Greif- und Laufroboter zusammenbauen, zu einem multifunktionellen Kettenfahrzeug oder auch zu einer Spinne mit Messsonden an den Kabelbeinen. Uwe Debacher, Fachleiter für Naturwissenschaften an der Stadtteilschule Richard-Linde-Weg im sozial eher schwierigen Hamburg-Lohbrügge, ist davon so begeistert, dass er zu Beginn dieses Schuljahres die Anschaffung eines ganzen Lego-Unterrichtsraums organisierte. Rund 30000 Euro brachte der Lehrer für Informatik und Chemie aus unterschiedlichen öffentlichen und privaten Töpfen zusammen für Hamburgs erstes sogenanntes „Lego Education Innovation Center“.

Dieses Klassenzimmer kommt komplett von Lego, normale Schulmöbel, die allerdings in den Legofarben prangen – Rot, Grün...

Die Fokus-Artikel aus Technology Review 12/2011 im Einzelnen:

  • Bildung: Tüftelkurse sollen Kinder zum Forschen ermuntern
  • Medienwechsel: Realer Spielzeugkosmos und virtuelle Welten verschmelzen
  • Spezial-apps: Zusatzbauteile machen Legoroboter wissenschaftstauglich
  • Produkte: Vom Ottomotor bis zur Bakterienfarm – Technikspielzeug für Bastler im Test
  • Modellbahn: Der Eisenbahnclub am M.I.T. als Keimzelle der Hackerbewegung

(kd)