Krieg und Frieden

Die Streitigkeiten um die – wirklichen oder vermeintlichen – Nachahmer von iPhone und iPad beschäftigen inzwischen Gerichte rund um den Globus. Da Apple viel zu verlieren hat, wird in der Smartphone-Branche nicht so bald der Frieden einkehren.

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Von
  • Christoph Dernbach

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich kann die Meldungen über Patenstreitereien rund um das iPhone und iPad nicht mehr hören. Warum riskiert es Apple, nicht nur im Heise-Forum als Prozesshansel und innovationsfeindlicher Großkonzern dazustehen? Haben die Ansprüche überhaupt Substanz? Und wird sich nach dem Tod von Apple-Mitbegründer Steve Jobs etwas an dem harten Kurs des Apple-Managements ändern?

Um zu verstehen, wie die Manager in Cupertino ticken, lohnt ein kurzer Blick zurück: Den ersten Kanonenschuss im Patentkrieg feuerte Apple vor gut 20 Monaten ab. Im März 2010 verklagte der iPhone-Hersteller seinen Wettbewerber HTC und warf ihm vor, gegen 20 Apple-Patente zu verstoßen. Es war mir wie vielen anderen Beobachtern damals schon klar, dass Apple mit dem Vorstoß gegen HTC eigentlich den Android-Koordinator Google ins Visier genommen hatte. Und nach der Veröffentlichung der Steve-Jobs-Biografie von Walter Isaacson können wir diese Erkenntnis auch schwarz auf weiß nachlesen: "Unsere Klageschrift legt dar, dass Google verdammt noch mal das iPhone geklaut und uns im großen Stil abgezockt hat", sagte Steve Jobs dem Biografen eine Woche vor Einreichung der Klage gegen HTC. Einmal in Rage gekommen, ließ Jobs sich nicht mehr stoppen: "Wenn es sein muss, werde ich bis das an mein Lebensende und mit jedem Penny der 40 Milliarden Dollar von Apple, die auf der Bank liegen, richtigstellen. Ich werde Android zerstören, denn es ist ein geklautes Produkt. Ich bin bereit, dafür einen thermonuklearen Krieg anzufangen."

Im US-Patent 7,479,949 wird Steve Jobs an der ersten Stelle von insgesamt 25 Erfindern aufgeführt. Das Papier beschreibt unter anderem, wie ein Bewegungssensor in dem Gerät verwendet werden kann, um die Bildschirmausrichtung zu verändern.

Seitdem versucht Apple auf verschiedenen Ebenen, den Herstellern von Android-Smartphones und Tablet Computern das Leben schwer zu machen. Es fällt inzwischen selbst professionellen Beobachtern schwer, in der Serie von Patenklagen, Auseinandersetzungen um Geschmacksmuster und Streitereien vor der US-Handelsbehörde ITC den Überblick zu behalten. Ich versuche mich mal als Punktrichter: Apple hat zwar in dem Dauerstreit einige Etappensiege erzielen können, kann sich mit seiner Interpretation der Rechtslage aber längst nicht überall durchsetzen.

Schauen wir uns drei Fälle näher an, die stellvertretend für die vielen Prozesse in aller Welt stehen: Düsseldorf (Samsung), Mannheim (Motorola) und Australien (Samsung). Das Landgericht Düsseldorf verhängte Ende August 2011 eine einstweilige Verfügung, mit welcher der Verkauf von Samsungs Galaxy Tab 10.1 untersagt wurde. In diesem Streit ging es übrigens nicht um die zentralen Smartphone-Patente von Apple, sondern um das in einem Geschmacksmuster geschützte Design der iPad-Hardware. In diesem Verfahren liegt Apple bislang vorne. Doch in der Sache ist der iPad-Anbieter nur wenig weiter gekommen: Die Südkoreaner geben nämlich nicht klein bei und bringen ein neues Galaxy Tab 10.1N auf den Markt, bei dem der Bildschirmrahmen und die Position der Lautsprecher geändert wurden. Samsung scheint in Deutschland ausprobieren zu wollen, wie dicht man sich dem Original-Design von Apple nähern kann, ohne rechtliche Probleme zu bekommen.

In Düsseldorf ist für Apple also nicht alles Sonnenschein. Und in Mannheim sehe ich sogar richtig dunkle Gewitterwolken auf Apple zukommen. Vor dem Landgericht Mannheim läuft das Verfahren, das von Motorola angestrengt wurde. Dort werden im Februar 2012 die Richter entscheiden, ob der Einsatz von Apples Onlinedienst iCloud auf Mobilgeräten gegen zwei Patente von Motorola Mobility verstößt. Dabei geht es um das Verfahren zur "Synchronisierung von Nachrichteninformation unter einer Gruppe von Empfängern". Im Worst Case für Apple wird das Landgericht Mannheim weitreichende Verkaufsbeschränkungen für die iOS-Geräte auferlegen, die den iCloud-Service nutzen.

Im US-Patent 7,663,607 hat Apple das technische Fundament von Multi-Touch beschrieben, nämlich den Bildschirm in ein Gitterraster einzuteilen, damit mehrere Berührungspunkte auf dem Display erkannt werden können.

Das Mannheimer Verfahren zeigt mir, welche offene Flanke Apple im Smartphone-Krieg hat: Zwar konnte Steve Jobs zur Vorstellung des iPhone im Januar 2007 noch sagen: „Boy, haben wir das patentieren lassen.“ Doch diese Patente betreffen vor allem die Oberfläche und das Look & Feel des Gerätes. Auf dem Gebiet der Mobilfunk-Technik steht Apple aber quasi blank da. Ende der neunziger Jahre, als Firmen wie Motorola, Nokia, Samsung, Siemens und Nortel sich ihre Forschungs- und Entwicklungsergebnisse zur dritten und vierten Mobilfunkgeneration bei den Patentämtern schützen ließen, kämpfte Apple nach der Rückkehr von Steve Jobs noch ums Überleben als PC-Hersteller. Die ersten Entwicklungen, die dann zum iPhone und iPad führten, starteten bei Apple erst im Jahr 2004. Deshalb ersteigerte Apple im Juni 2011 von Nortel (in einem Konsortium mit Microsoft, Sony, RIM) für 4,5 Milliarden Dollar ein dickes Paket von rund 6000 Mobilfunk-Patenten, um auf dieser Seite weniger angreifbar zu sein.

Noch wichtiger als die beiden erwähnten Verfahren in Deutschland ist für die Apple-Führungsspitze der endgültige Ausgang des Patentprozesses gegen Samsung in Australien. Der Federal Court of Australia, das höchste Gericht des Landes, hatte Apple mit einer einstweiligen Verfügung gegen das Galaxy Tab 10.1 quasi in die Lage versetzt, den Vertrieb von jedem neuen Android-Gerät untersagen zu lassen. Im Gegensatz zu dem Design-Verfahren in Düsseldorf geht es hier nicht um vergleichsweise banale äußerliche Details wie runde oder kantige Ecken oder die Frage, wie ein Display mit dem Gehäuse verbunden ist. In Australien stehen zwei zentrale Apple-Schutzschriften zur Diskussion, die sich als "Killer-Patente" gegen Android und andere Smartphone-Systeme erweisen könnten.

Im australischen Patent 2009233675, das dem US-Patent No. 7,479,949 entspricht, steht Steve Jobs an der ersten Stelle der 25 Erfinder. Auf 362 Seiten wird vor allem die Heuristik von Multi-Touch beschrieben, also die Methode, wie man bestimmte Fingerbewegungen auf dem Bildschirm zu deuten hat. Außerdem kann man dort sehen, wie ein Bewegungssensor in dem Gerät verwendet werden kann, um die Bildschirmausrichtung (Portrait, Landscape) zu verändern. Einige Experten bezweifeln, ob dieses US-Patent 7,479,949 die rechtlichen Auseinandersetzungen unbeschadet überlebt oder von den Gerichten als "zu allgemein gefasst" verworfen wird.

Deutlich technischer ausgerichtet ist das australische Patent 2009233675, das dem US-Patent No. 7,663,607 entspricht. In dieser am 6. Mai 2004 eingereichten Schutzschrift haben die Apple-Mitarbeiter Steve Hotelling, Joshua Strickon und Brian Huppi das technische Fundament von Multi-Touch beschrieben, nämlich den Bildschirm in ein Gitterraster einzuteilen, damit mehrere Berührungspunkte auf dem Display erkannt werden können. Sollte Apple dieses Patent in Australien und anderen Regionen erfolgreich gegen seine Wettbewerber in Stellung bringen können, käme Android in große Schwierigkeiten. Daher sind im Auftrag der Apple-Konkurrenten wie Samsung, HTC oder Motorola ebenfalls Horden von Anwälten unterwegs, um beispielsweise herauszufinden, ob Geräte wie das Touchscreen-Handy Neonode N1, das im Juli 2004 auf den Markt kam, das Apple-Patent 7,663,607 wertlos machen könnte.

Das US-Patentamt hat dem US-Amerikaner Terrance Lenahan im Jahr 2000 ein Patent auf das Toasten von Brot ausgesprochen und sich damit lächerlich gemacht.

Von dem Patentkrieg werden also zunächst vor allem große Wirtschaftskanzleien profitieren. Doch Apple-Chef Tim Cook versteht die rechtliche Auseinandersetzung gegen Android nicht als Wirtschaftsförderung für gigantische Anwaltskanzleien wie Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, die Apple unter anderem in Düsseldorf vertritt. Cook hat vor allem den Aktienkurs von Apple im Blick – und als CEO eines börsennotierten Unternehmens vermutlich auch wenig Spielraum, im Patentstreit großzügig zu sein. Ein AAPL-Kurs von über 350 Dollar setzt voraus, dass Apple sich auf gutem Wachstumskurs befindet. Die iOS-Geräte machen inzwischen rund zwei Drittel des Gesamtumsatzes von Apple aus. Daher werden die Aktionäre darauf bestehen, dass die Unternehmensführung streng darauf achtet, dass durch Patente geschütztes geistiges Eigentum von Apple nicht ungerechtfertigt bei Produkten der Konkurrenz auftaucht. Apple wird aus dem Patentkampf jedoch nur als Sieger vom Platz gehen, wenn diese Patente tatsächlich gültig sind und vor den Gerichten bestehen. Die Tatsache allein, dass das US Patent and Trademark Office ein Patent anerkannt hat, sagt dabei nicht viel. Sonst hätte vermutlich der US-Amerikaner Terrance Lenahan, Inhaber des im Jahr 2000 erteilten Patents einer "Bread refreshing method", mit den Lizenzzahlungen von Toaster-Herstellern ein Vermögen gemacht. Auf seine tolle Idee, Brot mit einem glühend heißen Heizelement wieder knusprig zu machen, waren zuvor aber schon andere gekommen.

Apple sollte sich meiner Meinung nach nicht auf dem Niveau dieses Toast-Erfinders bewegen. Ich habe zwar Verständnis dafür, wenn sich Unternehmen – egal ob Apple, Samsung, Motorola oder Google – ihre Innovationen auch mit einem Patent schützen lassen, die mit großem Aufwand erarbeitet wurden. Sie haben natürlich das Recht, diesen Schutz auch vor Gericht zu verteidigen. Aber Apple sollte der Versuchung widerstehen, banale Dinge mit Hilfe von Patenten und Geschmacksmustern der Konkurrenz vorzuenthalten. Tim Cook sollte das Geld besser in Innovationen wie Siri stecken. (se)