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Was war. Was wird.

Ja, in Nächten wie diesen, da ist alles möglich. Sardonisches Gelächter entweicht Hal Fabers Kehle: Selbst der Dialog mit Nerds, wenn Sicherheits-Paranoiker plötzlich die Szene entdecken.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** A Night Like This: Von fernen, fernen Gipfeln klingen leise Melodien. So groß ist das Getöse um den Ausstieg Großbritanniens aus der EU, dass sie nicht mehr hörbar sind, die leisen Klänge. Während die Briten ihren Kampftee schlürfen, sei doch noch einmal an den IT-Gipfel der Bundesregierung erinnert, auf dem der Bitkom-Vorsitzende Kempf sagte, dass ELSTER und ELENA Ausrutscher waren, die nur passieren konnten, weil man nicht mit denen geredet habe, die heute im Netz leben. "Müssen wir nicht den ein oder anderen Nerd-Dialog öffnen?", um vom Wissen der Leute zu profitieren, die beim Worte Datenautobahn Lachkrämpfe kriegen, fragte Kempf sein Publikum. Ach ja, Nächte wie diese: Da hatten die Nerds längst Tränen in den Augen von der Diskussion um die Anschnallpflicht, die Innenminister Hans-Peter Friedrich auf dem Gipfel bewegte. Für sich genommen nichts Neues, denn seit der Einführung des elektronischen Personalausweises erhält jeder Bundesbürger mit dem Kärtchen ein Heftchen, in dem an seine staatsbürgerliche Pflicht erinnert wird, Virenscanner und Firewall stets auf dem neuesten Stand zu halten. Was jetzt noch fehlt, ist das Tagfahrlicht im Browser und dieser europaweit funktionierende Notrufknopf, mit dem man rund um die Uhr Hilfe bekommt. OK, ein kleiner Button im Stil einer Gegensprechanlage, mit der der nächste Nerd im Umkreis zum Skypen über ein Computerproblem gerufen wird, wär auch was Feines. Wir müssen eben den einen oder anderen Nerd-Dialog öffnen, auch wenn die Gegenseite schwer verständlich etwas von geschlossenen Schlössern erzählt, die oben im Browser das Vertrauen der Bürger in den Staat dokumentieren.

*** Die schnelle Suche nach Gesichtern in den Sammlungen bescholtener Bürger ist seit Alphonse Bertillon ein wichtiges Hilfsmittel der Kriminalistik. Nun hat Google seine Gesichtserkennung eingeführt, eine Qualitätsentwicklung des deutschen Informatikers Hartmut Neven, Schüler des großen Valentino Braitenberg. Entsprechend fallen die Kommentare im Forum aus, was sich wahlweise Big Brother, die Stasi und US-Geheimdienste über die forensischen Daten bei dieser optionalen Funktion doch freuen können. Böses Google, schlimmes Facebook? Diese simplen Zuweisungen sollen doch bitte nicht über die große Freude hinwegsehen, dass Deutschland bei der Gesichtserkennung eine führende Rolle spielt und auf dem IT-Gipfel stehend anderen zeigt, wie leistungsfähig seine Informatik ist! Man denke nur an das Projekt EasyPass, in dem die Gesichtserkennung von L1-Identity eingesetzt wird, quasi eine Bochumer Erfolgsgeschichte. Oder wie wäre es mit der Firma DotNetFabrik, deren Software DoublePics in der Bildersuche bei kinderpornografischen Inhalten eine wichtige Rolle spielt. Nicht zu vergessen die DigitEV, deren Erkennungs-Software VizXview bei kinderpornografischem Videomaterial zum Einsatz kommt. Oder wie wäre es mit der Dresdener Firma Cognitec, deren Erkennungs-Software im Polizeiinformationssytem INPOL sucht. Deutsche Wertarbeit, ganz abseits aller Quatschereien von Sozialen Netzwerken und germanischen Clouds.

*** Oh, es hat noch andere Gipfel in dieser Woche gegeben. Nehmen wir nur das Kraxeln auf den Gipfel der Verlogenheit bei der SPD, die sich auf ihrem Parteitag erneut für die verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung entschieden hat. Das kann man machen, wenn man mit der Sparfüchsin eine "große" Koalition eingehen will. Unredlich ist es aber, das Quick-Freeze-Verfahren der Koalitionskonkurrenz als Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze zu denunzieren, wenn man das gesamte Volk unter einen Anfangsverdacht stellt. Ist ja nur für drei Monate? Wer hinkt heran, bei den nunmehr Ceska-Morden genannten Taten von 2000 bis 2006 die Wunderwaffe Vorratsdatenspeicherung zu ziehen? Eine Polizei, die auf dem rechten Auge so blind ist, dass die Ermittler eine rechtsradikale Tat gar nicht in Betracht ziehen, wird auch mit ein paar Terabytes großen Datenberg der letzten 10 Jahre nichts finden können, außer dass man immer wieder V-Leute des Verfassungsschutzes kontaktierte. Wenn dann die Argumente für eine Totalüberwachung ausgehen, der Schwachsinn von personenbezogenen IP-Adressen aufhört, dann ist es an der Zeit mit "der EU" zu rasseln, die jetzt angeblich Strafzahlungen in die Wege leiten will. Wenn die Bundesjustizministerin Recht hat, gibt es solche für den Dezember angedrohten Sanktionen nicht.

*** In deutschen Buchhandlungen ist in dieser Woche eine hübsches Lesepröbchen aufgetaucht, ein paar Seiten aus Tim Weiners demnächst erscheinenden Buches über die wahre Geschichte des FBI. Im Mittelpunkt der Geschichte natürlich die Erzählung über den FBI-Diktator Edgar Hoover, der nicht nur seine Homosexualität unterdrückte, sondern die Demokratie auflösen wollte. 1950 zum Start des Kalten Krieges prophezeite Hoover Selbstmordanschläge mit Flugzeugen, die Atombomben an Bord hatten sowie Sprengstoff-Aktionen aus dem kommunistischen Untergrund durch Leute "die bereit sind, sich selbst zu opfern". Seine fortgesetzten Warnungen führten zum Gesetz über innere Sicherheit, der Aussetzung verfassungsmäßiger Schutzrechte, der Sicherungsverwahrung subversiver Elemente auf unbestimmte Zeit und der Verhaftung von US-Bürgern aus politischen Gründen. Die Selbstmordattentäter kamen 51 Jahre später. Das Vergangene ist nie tot, es ist nicht einmal vergangen, schrieb William Faulkner. In einer Nacht wie dieser, in der der Mond die Nacht über der norddeutschen Tiefebene stahlblau leuchten lässt, bleibt nur die Hoffnung, aus der ewige Reboot-Schleife untoter Sicherheitsparanoiker endlich ausbrechen zu können.

Was wird.

Hurra, hurra, wir bekommen ein neues Kompetenzzentrum zur Bekämpfung der Internetkriminalität. Als erstes darf es sich mit Kompetenz anreichern, wie die bestellte Software zur Quellen-TKÜ wirklich auszusehen hat. Ob zu einer "Leistungsbeschreibung" ein ordentlicher Code Review gehört? Noch schöner ist es freilich, dass wir auf EU-Ebene eine "Initiative zur Freiheit im Internet" bekommen, mit Karl Theodor zu Guttenberg, 80 Datenträgern und Neelie Kroes. Das Programm der Initiative: Das Internet muss endlich ein rechtsfreier Raum sein, in dem Texte ohne die autoritären Neider von Guttenplag zusammengeklickt werden können. Keine Schnüffelsoftware für Diktatoren! Kein Schnüffeln hinter Doktoren!

Zwischen 100.000 und 150.000 US-Dollar sollten es schon sein, wenn man am Dienstag vorhat, den Gründungsvertrag von Apple zu erwerben. Als Steve Jobs und Steve Wozniak ihre Firma gründeten, war ein Dritter dabei, der als Schlichter zwischen den beiden fungierte und dafür 10 Prozent der Firmenanteile bekommen sollte, während die beiden Steves es bei 45 Prozent beließen. Wenige Tage nach Abschluss des Vertrages bekam Ron Wayne kalte Füße und ließ sich sich ausbezahlen, insgesamt 2300 Dollar. Ähnlich wie Tim Paterson mit seinem Quick and Dirty DOS muss sich Wayne bis heute die Fantastilliarden vorrechnen lassen, die ihm entgangen sind. Auch an der Auktion verdient er nichts, da er die Papiere für 500 Dollar an einen Händler verkaufte. Wenn die Auktion läuft, wird man ihn wohl in seinem Lieblings-Casino in Las Vegas sehen können, wo er zwei Mal die Woche spielt und auf den Jackpot seines Lebens wartet. Geschichte kennt keine Moral.

Bekanntlich ist das Websperren-Gesetz beerdigt worden. Doch manche Tote sind richtige Untote. "Bei unerwünschten Teilnehmern wird von innen an den Sargdeckel geklopft", heißt es in der Traueranzeigen, "Am'n Bani", einem der letzten radikalen Betriebsratsarbeiter. Andere steigen als Zombies aus den Gräbern und wanken hungrig in die nächste Stadt. Die Zugangserschwernisse gehören dazu, diesmal ganz ohne "Schützt die Kinder!". Am Donnerstag wollen 15 Bundesländer den neuen Glücksspielstaatsvertrag unterzeichnen, mit dem 20 Lizenzen für Internet-Glücksspiele an Firmen vergeben werden, die dafür eine neue Spieleinsatzsteuer bezahlen. Die rund 360.000 Spielsüchtigen in Deutschland werden in einer Spielsuchtdatei gespeichert und bekommen eine hübsch designte Zugangssperre zu sehen. 15 Bundesländer sind kein Schreibfehler: Schleswig-Holstein fehlt, das zusätzlich Sportwetten, Online-Casinospiele und insbesondere Online-Poker erlauben will. Natürlich nur für die, die "Schleswig-Holstein meerumschlungen" singen können. Alle anderen werden technisch ausgeschlossen, es gilt das umgekehrte Hamburg-Prinzip. Hamburg, Hamburg, da war doch was? Genau: Das erste deutsche Online-Casino lebte nur kurz – und kontrollierte die Hanseaten mit einem automatischen Datenabgleich mit dem Melderegister. (jk)