Parlamentskoordinator gegen Vorratspeicherung von Internetverbindungsdaten
Der Berichterstatter für die geplante Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung hat sich gegen eine Aufbewahrung von Nutzerspuren im Internet und für eine dreimonatige Speicherfrist von Telefondaten ausgesprochen.
Alexander Alvaro, Berichterstatter für die heftig umstrittene EU-Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten im EU-Parlament, hat am heutigen Donnerstag in Brüssel seine Änderungsvorschläge an dem stark kontrovers diskutierten Gesetzesvorschlag vorgestellt. Die EU-Kommission will über die Direktive mit Rückendeckung aus dem EU-Rat eine massive pauschale Überwachung der elektronischen Kommunikationsspuren der 450 Millionen EU-Bürger im Rahmen ihrer Antiterrorbemühungen einführen.
Die Pläne der beiden Brüsseler Institutionen gehen dem Parlamentskoordinator allerdings deutlich zu weit. So hat der FDP-Politiker nun empfohlen, Daten aus dem Telefonbereich drei Monate aufzubewahren. Verbindungsdaten zum Nutzerverhalten im Internet sowie Standortdaten im Mobilfunk sollen überhaupt nicht zwangsweise gespeichert werden. Alvaro folgt hiermit den starken Bedenken von Providern und Datenschützern gegen die geplante pauschale Beschnüffelung der Surfer und die Erstellung von Bewegungsprofilen. Die Richtlinie soll nach seinen Vorstellungen nach fünf Jahren außer Kraft treten, wenn sie nicht offiziell bis dahin erneut bestätigt wird. Die Datenabfrage durch "kompetente" Sicherheitsbehörden will Alvaro zudem an einen engen Katalog schwerer Straftaten wie Terrorismus, organisierte Kriminalität oder Kinderpornographie knüpfen und strengen Regeln binden.
Prinzipiell geht es bei den Plänen von Rat und Kommission um die Speicherung der Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, SMS, E-Mailen, Surfen oder Filesharing anfallen. Mit Hilfe der Datenberge sollen Profile vom Kommunikationsverhalten und von den Bewegungen Verdächtiger erstellt werden. Telefondaten sollen laut der Kommission von den Betreibern zwölf, Internetdaten sechs Monate gespeichert werden. Angesichts der deutlich von diesen Vorgaben abweichenden Vorstellungen Alvaros, die am kommenden Montag im federführenden Ausschuss für Bürgerrechte, Justiz und Inneres abgestimmt werden sollen, dürfte eine Einigung zwischen den Brüsseler Institutionen schwer werden. Die Änderungsanträge des Liberalen weichen auch stark von den Mindestanforderungen ab, welche die britische Ratspräsidentschaft vergangene Woche aufgestellt hatte. Sie gehen auch über die Vorschläge hinaus, welche die Berichterstatterin des mitberatenden Industrieausschusses, Angelika Niebler, Anfang der Woche ins Spiel gebracht hatte.
Mit dem Zeitplan der Briten und der Kommission, die Vorratsdatenspeicherung noch in diesem Jahr unter Dach und Fach zu bringen, kann sich Alvaro ebenfalls nicht anfreunden. "Das ist eine Geschwindigkeit, die so noch nicht da war", empört sich der Koordinator. Er hält es aber trotzdem noch für möglich, Mitte Dezember die 1. Lesung im Parlament anzusetzen. Sollten die Mitgliedsstaaten aber ihrer Drohung nachkommen und bei einem ihnen nicht genehmen Ausgang der Abstimmung mit einem eigenen Rahmenbeschluss die Vorratsdatenspeicherung herbeiführen, haben dem FDP-Politiker zufolge bereits mehrere Abgeordnete Klagen gegen dieses Vorgehen vor dem Europäischen Gerichtshof angekündigt.
Auch in anderen Kreisen wächst in Brüssel derweil der Widerstand gegen die Einführung von Speicherverpflichtungen. So haben Bürgerrechtsorganisationen wie Statewatch, das Institut für Bürgerrechte & Polizei (CILIP) oder das Schweizer Komitee gegen Schnüffelstaat, die bereits wiederholt die Einführung der pauschalen Überwachung der Telekommunikation abgelehnt haben, am gestrigen Mittwoch dort das European Civil Liberties Network (ECLN) als neuen Dachverband ins Leben gerufen. Er soll helfen, die Grundrechte sowie persönliche und politische Freiheiten aufrecht zu erhalten. Vorgenommen haben sich die Mitglieder zudem, allgemein für die Stärkung der demokratischen Kultur in Europa einzutreten. Das ECLN will damit auch die Arbeit von anderen europaweit agierenden Organisationen wie der "European Digital Rights"-Initiative unterstützen.
Hierzulande hagelt es zusätzlich weiter Proteste: "Bereits angesichts der zahlreichen ungeklärten Fragen der Datenspeicherung im Internetsektor macht der aktuelle Richtlinienvorschlag keinen Sinn," glaubt Oliver Süme, Vorstand Recht und Regulierung beim Verband der Deutschen Internetwirtschaft eco. Unabhängig von der politischen Diskussion um die Verhältnismäßigkeit und datenschutzrechtlichen Zulässigkeit der begehrten Speicherung sei bislang noch nicht einmal eine ernsthafte fachliche Diskussion gestartet worden, bei welchen Daten es überhaupt technisch Sinn mache, sie für längere Perioden aufzubewahren. Süme verweist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass etwa bei der Speicherung des Datenverkehrs in öffentlichen Bereichen wie Internetcafés und kostenfrei verfügbaren öffentlich zugänglichen Netzen "keinerlei Problembewusstsein" bestehe. Die Einführung der vorgesehenen Archivierungspflichten gefährde wegen der damit verbundenen immensen Kosten die Geschäftsgrundlage insbesondere vieler kleiner und mittelständischer Unternehmen, fürchtet Süme. Die Wunschliste der Kommission würde allein bei den Providern zu einem mindestens 1.000 mal höheren Speicheraufkommen führen.
Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen, siehe auch:
- Drei Monate sollen reichen
- Druck auf EU-Parlament wegen Speicherung von Telefon- und Internetdaten
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- Terrorabwehr vs. Grundgesetz, Wie viel Überwachung verträgt der freiheitliche Rechtsstaat?, c't 17/05, S. 62
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(Stefan Krempl) / (jk)