28C3: Hacker sollen Exporteure von Überwachungstechnik überwachen

Es sei an der Zeit, den "cyber-industriellen Komplex" mit den eigenen Waffen zu schlagen und Exporteure von Überwachungstechnik stärker zu exponieren, erklärte der Medienforscher Evgeny Morozov zum Start des 28. Chaos Communication Congress.

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Der Medienwissenschaftler Evgeny Morozov forderte auf dem 28C3, die Exporteure von Überwachungstechnik stärker zu überwachen.

(Bild: Stefan Krempl)

Es sei an der Zeit, den "cyber-industriellen Komplex" mit den eigenen Waffen zu schlagen und Exporteure von Überwachungstechnik stärker zu exponieren, appellierte der Medienwissenschaftler Evgeny Morozov beim Start des 28. Chaos Communication Congress (28C3) am Dienstag an die zahlreich versammelte Hackergemeinde in Berlin. Breite Sanktionen schadeten allen Nutzern, enge seien oft ineffektiv, erklärte der aus Weißrussland stammende und derzeit in den USA forschende Experte auf dem Jahrestreffen des Chaos Computer Clubs (CCC). Es sei für Aktivisten daher besser, nicht auf den Staat zu setzen, sondern die Überwachung der Überwacher zu verstärken.

So sei es beispielsweise sinnvoll, spezielle Informationsdienste für die Lobbying-Szene zu nutzen und so etwa herauszufinden, welche Stellen gerade mit welchen Leuten in der Branche besetzt würden. Wenn entsprechende Angaben zusammen mit Aufklärung über die Verkäufe einschlägiger Firmen in Blogs oder Wikis an eine breitere Öffentlichkeit gerieten, könnten etwa Investoren vergrault werden, meinte Morozov. Er selbst etwa sei über die von Wikileaks veröffentlichten "Spyfiles" auf das Unternehmen Polaris Wireless aufmerksam geworden, das Technik zur Echzeit-Überwachung von Versammlungen im Mittleren Osten anhand von Mobilfunkdaten verkaufe und bislang anders als vergleichbare Firmen wie Blue Coat, Allot oder NetApp unter dem Radar der Öffentlichkeit geflogen sei.

Dass sich eine "neue Industrie" der Massenüberwachung verschrieben hat, macht mit den jüngsten Wikileaks-Enthüllungen in der netzpolitisch interessierten Nutzergemeinde die Runde. Morozov warnt seit Längerem davor, dass Regierungen und Konzerne mit allen Mitteln weiter Kontrolle ausüben und die Netzinfrastrukturen beherrschen wollen. In Berlin verwies der Forscher darauf, dass neben autoritären Staaten wie Syrien, Libyen oder Iran derzeit vor allem die ehemaligen Staaten der Sowjetunion sich eifrig im Westen erstellte Überwachungstechnik beschafften. Darüber hinaus lasse China die Muskeln spielen. So habe zum Beispiel der Ausrüster Huawei bereits Niederlassungen in zahlreichen afrikanischen Staaten. Darüber hinaus erhalte eine kalifornische Universität Forschungsförderung in Millionenhöhe aus dem Reich der Mitte, um Systeme zur Videoüberwachung mit Fähigkeiten zum Einbau von Metadaten und Labels semantisch auf eine neue Stufe zu heben.

Entsprechende Software gelange über Vertriebspartner und Länder wie Saudi-Arabien oder Bahrain immer wieder auch in die Hände von Diktatoren, führte Morozov aus. Er warnte daher davor, unter dem Aufhänger der Verbesserung der Überwachungsmöglichkeiten von Strafverfolgern gleichsam einen "perfekten Trojaner" zu entwickeln. Früher oder später käme eine solche Computerwanze oder vergleichbare Technik auf jeden Fall in falsche Hände. Es gebe zur Bekämpfung von Cybercrime ausreichende Möglichkeiten, der Einbau neuer Sicherheitssollbruchstellen und Hintertüren in IT-Systeme sei nicht nötig.

Öffentlicher Druck, der über Crowdsourcing und das Wissen der Massen verstärkt werden könne, führt dem Wissenschaftler zufolge zu beachtlichen Ergebnissen. So habe selbst Huawei jüngst erklären müssen, seine Geschäftsaktivitäten im Iran zurückzufahren. Morozov brachte auch die Option ins Spiel, dass Hacker aus der Ferne einen "Kill Switch" für Überwachungstechnik selbst betätigen und diese lahmlegen könnten. In diesem Fall hielt er es aber für bedenklich, die "Waffen" des cyber-industriellen Komplexes umzudrehen.

Frank Rieger hatte im Namen des CCC die Datenreisenden vor Ort und an den Streams mit der Ansage begrüßt, dass "das, was wir hier machen, entscheidend ist". Hacker versuchten zu verstehen, was sie tun und wie Technologien funktionierten. Ein wichtiger Faktor des Kongresses sei aber auch der "Spaß" am Gerät. Morozov nahm diesen Aspekt mit Befremden auf und erhielt für seine kritischen Worte abschließend reichlich Applaus. (ola)