Diagnose aus der Datenhalde

Das Fahnden nach Ursachen oder Anzeichen von Erkrankungen kostet oft Jahre und Millionen. Per "Data Mining" kann alles schneller und billiger werden – meint Google-Gründer Sergey Brin.

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Von
  • Sascha Karberg
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Das Fahnden nach Ursachen oder Anzeichen von Erkrankungen kostet oft Jahre und Millionen. Per "Data Mining" kann alles schneller und billiger werden – meint Google-Gründer Sergey Brin.

Mit der Mistgabel gelegentlich vom Hof gejagt zu werden – so hatte sich Alan Shuldiner die Suche nach Anzeichen komplexer Erkrankungen nicht vorgestellt.

Doch es hat seinen Grund, dass sich der Forscher der Universität Maryland immer wieder frühmorgens aus dem Bett quält und mutig die eigenbrötlerischen und tief religiösen Amish auf ihren Bauernhöfen im US-Bundesstaat Pennsylvania besucht. Mit Untersuchungen an den Nachfahren süddeutscher Auswanderer, die seit fast dreihundert Jahren nur untereinander heiraten, kann er besonders gut sogenannte Biomarker finden, mit denen sich Krankheiten wie Diabetes, Übergewicht, Alzheimer oder Parkinson frühzeitig diagnostizieren lassen könnten. Und deshalb nimmt Shuldiner die zuweilen unwirsche Reaktion seiner Testpersonen in Kauf.

Seit jeher gelten Studien an möglichst ähnlichen Menschengruppen als die beste Methode, krankheitsbedingte Unterschiede ausfindig zu machen und für die Diagnostik wertvolle Biomarker zu finden.

Sergey Brin jedoch, der Gründer von Google, sieht das ganz anders. Im US-Magazin "Wired" prangerte er die bisherige biomedizinische Biomarkerforschung als zu engstirnig, zu langsam und zu teuer an. Brin fordert, auf der Suche nach den Nadeln im Heuhaufen den ganzen Heuhaufen zu durchforsten, also möglichst viele gesunde Menschen mit möglichst vielen Kranken zu vergleichen, auch wenn sie sich nicht so stark ähneln wie die Amish People. Der Suchmaschinenexperte will nicht nur Daten von wenigen hundert oder maximal tausend Probanden, sondern von Zehntausenden oder gar Hunderttausenden Menschen erfassen. Nur so seien jene Biomarker aufspürbar, die Forschern wie Shuldiner bislang entgangen sind, die wegen fehlender Computer-Power nur kleine Teile des Heuhaufens durchsuchen konnten.

Brin will mit schierer Rechenkapazität in den gigantischen Datenmengen Muster und Zusammenhänge und somit neue Biomarker finden. Der Google-Gründer hofft vor allem, neue Hinweise auf die Ursachen von Parkinson zu entdecken sowie Biomarker zur frühzeitigen Diagnose der Krankheit oder besser noch Tipps zur Vorbeugung. Und das aus naheliegenden Gründen. Denn der 38-jährige Brin weiß, dass er selbst eine Genmutation in sich trägt, welche die Wahrscheinlichkeit, an Parkinson zu erkranken, erheblich erhöht. Seine Mutter und Tante sind bereits erkrankt, ob und wann es auch ihn treffen wird, ist offen.

Noch haben Forscher keinen Biomarker gefunden, der Brin frühzeitig anzeigen könnte, ob sich bei ihm die berüchtigte Schüttellähmung bereits anbahnt. Bislang kann Parkinson erst diagnostiziert werden, wenn bereits 80 Prozent der Hirnzellen abgestorben sind, die den Botenstoff Dopamin produzieren, ohne den keine koordinierten Bewegungen möglich sind. Und niemand kann Brin mit Gewissheit sagen, ob er den Ausbruch der Krankheit mit mehr Sport, weniger Kaffee oder gar – wie eine Studie der Duke University im US-Bundesstaat North Carolina paradoxerweise ergab – mit mehr Rauchen verhindern könnte.

Mit vier Millionen Dollar hat Brin seine Idee einer Google-ähnlichen Parkinson-Forschung auf den Weg gebracht und die "Online Parkinson's Disease Genetics Initiative" gegründet – eine Zusammenarbeit des Parkinson-Instituts im kalifornischen Sunnyvale, der Michael J. Fox-Stiftung des Parkinson-kranken Schauspielers und 23andme – jener Genanalyse-Firma, die Brins Frau Anne Wojcicki gegründet hat. Für rund 400 Dollar lassen dort Neugierige aus aller Welt ihr Erbgut auf eine halbe Million besonderer Mutationen untersuchen, sogenannte "Single Nucleotide Polymorphisms". Diese SNPs betreffen nur einzelne DNA-Bausteine im Erbgut und sind deshalb besonders leicht zu untersuchen. Einige dieser SNPs taugen als Biomarker und zeigen 23andme-Kunden an, ob sie ein höheres oder geringeres genetisches Risiko für bestimmte Erkrankungen haben.

So kam auch Sergey Brins erhöhtes Parkinson-Risiko ans Licht. Derzeit erstellt 23andme im Rahmen der Online Parkinson's Disease Genetics Initiative Erbgutanalysen von 10000 Parkinson-Patienten und erfasst gleichzeitig möglichst viele persönliche Informationen über deren Leben. Als Vergleich dienen Zehntausende von 23andme-Kunden, von denen die Firma ebenfalls Antworten auf Hunderte von Fragen über Lebensstil, Vorerkrankungen oder Ernährung bekommen hat. Freiwillig geben viele dort Auskunft zum Beispiel über die Häufigkeit von Kopfschmerzen, eventuelle Müdigkeitsanfälle oder gelegentliche Gleichgewichtsstörungen.