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Was war. Was wird.

Es ist soweit. Kinderspielzeug und alte Erfindungen werden wieder bestaunt: History Repeating, sang eine alte Dame mit ein paar jungen Burschen. Sie trafen nicht nur den IT-Nagel auf den Kopf, meint Hal Faber.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Heute vor 530 Jahren wurde Michelangelo geboren, der Künstler, nicht der Computervirus. Michelangelo war überzeugt davon, mit einem monumentalen Marmorgrab für Papst Julius II. ewigen Ruhm zu gewinnen. Vor 500 Jahren begann er mit diesem Projekt, das ihn 40 Jahre lang beschäftigte, immer wieder unterbrochen durch Nebenjobs wie das Auspinseln des Sixtinischen Kapelle. Mit seinen Abschweifungen wurde er bekannt.

*** Abschweifungen sind diese Rückblicke, Woche für Woche, von einem Unkünstler, der Journalism by mail gelernt hat. Auf gewisse, perverse Weise finde ich es beruhigend, dass ein Genie wie Michelangelo 40 Jahre in die Irre laufen kann und dennoch unsterbliche Werke für die Zeiten erschafft, in der Menschen solche noch bewundern können. Mit Paul Giangarra habe ich vor 10 Jahren ein Gespräch geführt, auf dem er OS/2 40 Jahre Lebenszeit prognostizierte. Nun ist es etwas kürzer geworden. Als vor 10 Jahren die CeBIT ihre "Pforten" öffnete, war überall Microsoft-Werbung plakatiert, weil Windows 95 in wenigen Monaten kommen sollte: "Willkommen zur Windows 95" hieß es auf den Plakaten, auf denen CeBIT durchgestrichen war, und weiter: "Wo immer Sie auf der CeBIT 95 hingehen, Microsoft ist schon da." Was haben wir gelacht, was haben wir uns wie Götter gefühlt .... und gründlich geirrt.

*** Microsoft war wirklich überall da, wo OS/2 niemals hinkommen konnte. "Been there, done that", dieses IBM-T-Shirt von damals war schlichtweg eine nette Illusion. Dies muss festgehalten werden. Bill Gates hat sich mit den daraus sprudelnden Millionen zu Recht zum Ritter schlagen lassen, allen billigen Witzen zum Trotz. Wer will denn den Vergleich ziehen zwischen einem AIDS-Bekämpfer vom Schlage Gates und eine, AIDS-Arzt wie Elon Ganor, der zur CeBIT 95 Vocaltecs "Voice over IP" erstmalig am Stand von Unisys vorstellte? Heute, morgen, nächste Woche ist VoIP eines der Top-Themen in Herscheltown, doch die Not, möglichst billig mit Ärzten vor Ort kommunizieren zu können, die ist längst vergessen. Mit Peter Benenson haben wir einen verloren, den wir nicht vergessen werden: Auch diese Woche mag ich die Hoffnung nicht aufgeben, dass diese Welt doch noch ein Ort werden kann, an dem wir unbesorgt und unbedarft leben wollen.

*** Vergessen und unbesorgtes Leben, sollte es da aber vielleicht doch einen Zusammenhang geben? Jedenfalls mögen sich manche Bill Gates als einen glücklichen Menschen vorstellen: Schließlich meckert beim Erfinder des Hotdogs auch niemand, er habe nur geklaut, da er nicht innovativ genug zur Entwicklung der Wurst gewesen sei. Glückliche Menschen aber sehen in Wirklichkeit doch ganz anders aus. So wie James Last zum Beispiel, den RTL auf Platz 1 der erfolgreichsten Pop-Künstler hob, ganz streng nach deutscher Chart-Mathematik, knapp vor Peter Maffay. Ja, so betrügt uns die Realität aufs Neue. Vergessen wir also den Pop, und wir führen ein glücklicheres, unbesorgteres Leben. Das reicht nicht? Nun, man muss auch bei der Flucht in ein besseres Leben keineswegs am Popjazz eines Esbjörn Svensson scheitern, man kann auch beispielsweise Me'shell NdegéOcello auf den Spuren von Miles Davis und John Coltrane folgen. Ach, Vergessen, nein, es ist keine Lösung.

Was wird.

PC-RX ist kein neuer Prozessor, der auf der CeBIT für Heißluft sorgt. Hinter dem Kürzel verbirgt sich ein Gremium des Europarates, das ausgeschrieben "Committee of Experts on the Criminalisation of Acts of Racist or Xenophobic Nature committed through Computer Networks" heißt. Dort wurde ein Zusatzprotokoll zum Übereinkommen gegen die Computerkriminalität, der so genannten Cybercrime-Convention "erarbeitet". Nun trägt die Arbeit, Zypries sei Dank, Früchte. Die deutsche Justizministerin nimmt das Protokoll zum Anlass, in einen Gesetzentwurf das Leugnen von Völkermord und Kriegsverbrechen an den Tutsi oder in Ruanda, ähem Ruantutsi und dem ehemaligen, armen Jugoslawien auf ein- und dieselbe Stufe mit dem Leugnen des Holocaust zu stellen. Wenn das Gesetz in der kommenden Woche durch den Bundestag kommt, dürfen nur noch der Völkermord in Armenien und der in Vietnam geleugnet werden. Da fragt es sich doch, ob man im Namen des Kampfes gegen die Computerkriminalität nicht konsequenter den Begriff Völkermord in zypriessche Schutzhaft nehmen soll. Ein mit 1-Euro-Jobs gebildetes Wahrheitsministerium für Leugnungen aller Art wäre auch erwägenswert. Auf seine Art wäre es ein würdiges Völkermorddenkmal einer sozialidemokratisch/grünen Regierung, die ein gestörtes Verhältnis zur Meinungsfreiheit hat. Als nächstes folgt das rotgrüne Gesetz, das politische Diskussionen in Nichtraucherzimmern verbietet.

Dann wäre da noch das Rauchen im Freien. Wie wäre es mit einem Netz von Satelliten und Rauchmeldern, die ihre Position und das Erschnüffelte melden? Oder bin ich da Opfer der allgemeinen Konfusion? Wie gut, dass in München der Satellitenkongress startet, auf dem der verworrene Kurs der Navigatoren erläutert wird. Stellen wir uns einmal all die nichtmilitärischen Anwendungen vor, die davon bedroht sind: Das Verfolgen von Kindern, Verurteilten im Hausarrest, verwirrten Alten ohne Silberlöffel und über Bundesstraßen marodierende LKW steht auf dem Spiel, ganz zu schweigen von den unglaublich wichtigen Location Based Services, ohne die man in den Herrenhäuser Gärten rettungslos verloren wäre.

Hannover! Heimat! Hier habe ich den Roten Punkt erlebt und nein, es war nicht Sine Alcohol, das heuer seinen 100. Geburtstag feiert. Keksstadt mit einem großen Nana-Herz und den Fenstern, aus denen die Monadinnen schüchtern lugen. Dreimal werden wir noch wach, dann wiederholt sich erneut die Geschichte, dann startet in der norddeutschen Tiefebene die CeBIT, die Leitmesse für Kinderspielzeug und pfeilschnelle Datenkommunikation. Es tut bitter Not, die CeBIT zu erwähnen, die mit einem Technology Industry Summit startet, auf dem diskutiert wird, warum die unendliche Geschichte gut für diese Branche ist. In einer Zeit, in der Debatten über den Ursprung von MS-DOS vor Gericht ausgetragen werden müssen, ist es das Schlechteste nicht, wenn einmal die guten Aspekte der juristischen Hickhacks betont werden.

Nach der CeBIT ist vor der CeBIT. Wenn die Marketiers ihre Brunftzeit haben, sei der Hinweis auf Creative Capital gestattet, auch wenn Anmeldungen unterhalb von 300 Euro nicht mehr registriert werden. Schließlich ist es für eine möglicherweise gute Sache, genau wie das Ansinnen des Jungen Liberalen, der da forderte, dass die Alten für eine gute Sache bitteschön ihre Löffel abzugeben haben.

Jungforsch stelle ich diesmal gegen altforsch, und das zur Erinnerung an das Ende der Entführung von Peter Lorenz: Gegen das perfide Luftsicherheitsgesetz argumentierte Burkhard Hirsch in dieser Woche in der FAZ in einem Leserbrief über die Verpflichtung des Staates, jedes menschliche Leben zu schützen: "Der Sohn Schleyers hatte damals eine einstweilige Anorndung beantragt, mit der die Bundesregierung verpflichtet werden sollte, dem Ansinnen der Entführer nachzugeben, wie dies im Falle Lorenz geschehen war." Doch dann zeigte der Staat eine Härte, die künftigen Verteidigungsministern anempfohlen sein soll. Dagegen schreibt Burkhard Hisch: "Das Recht auf Leben hängt aber nicht davon ab, ob der Verteidigungsminister glaubt, dass es ohenhin nicht mehr lange dauert. Auch der finale Rettungstotschlag ist ein Totschlag und kein Verfassungsrecht." Ja, wie war das mit dem Vergessen und dem unbesorgten Leben? Was wird? (Hal Faber) / (jk)