Künftige EU-Patentpolitik bleibt schwer umkämpftes Gebiet

Bei einer Anhörung in Brüssel machten sich Konzerne und Anwaltskammern für eine einheitliche EU-Gerichtsbarkeit für Patente stark, doch Mittelständler plädierten für eine vorherige Reform gegen Missbrauchsmöglichkeiten des Systems.

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Bei einer Anhörung der EU-Kommission zur künftigen Patentpolitik am gestrigen Mittwoch in Brüssel gingen die Ansichten über erforderliche Schritte zur Verbesserung des Patentwesens weit auseinander. Konzerne und Anwaltskammern machten sich für eine einheitliche EU-Gerichtsbarkeit für Patente stark, doch Mittelständler plädierten für eine vorherige Reform gegen Missbrauchsmöglichkeiten des Systems. Die Binnenmarktkommission steht nun vor der schwierigen Aufgabe, möglicherweise Schritte für künftige gesetzgeberische Initiativen in Angriff zu nehmen. Der zuständige Kommissar Charlie McCreevy versprach am Ende der ganztägigen Sitzung den Teilnehmern, dass jeder potenzielle Vorstoß in diese Richtung "Ihre Bedürfnisse berücksichtigt".

Die der Anhörung vorausgegangene Konsultation sieht sich bereits aus dem Lager von Softwarepatent-Gegnern mit Vorwürfen belastet. Demnach versuchte die Binnenmarktkommission, durch eine Nachbefragung ausgewählter kleinerer und mittlerer Unternehmen (KMU) mehr Unterstützung für ihren wiederholt deutlich gemachten Kurs zu einer Ausweitung des Patentsystems zu erhalten. Allgemein steht die Mehrheit der Antwortenden aber einer weiteren Harmonisierung des Patentsystems in der EU skeptisch gegenüber. Insbesondere mittelständische Firmen sprachen sich auch gezielt gegen eine leichtere Patentierbarkeit von Software aus.

Bei der Besprechung der Ergebnisse musste sich die Kommission nun obendrein Kritik an der Zusammensetzung der Sprecher auf dem Podium der Anhörung gefallen lassen. Die grüne EU-Abgeordnete Eva Lichtenberger monierte, dass die Auswahl "von Voreingenommenheit zeugt". Die zu vernehmden Stimmen von Konzernen, Industrievereinigungen und Patentanwaltkammern zu einer leichteren Durchsetzung von Patenten und die Befürwortung von Softwarepatenten hätten nicht die Mehrheit der Wirtschaft in der EU vertreten. Kosten durch Rechtsstreitigkeiten rund um die gewerblichen Schutzrechte sind ihrer Ansicht nach jedoch wahre "Innovationskiller". Sie würden jeden Versuch unterlaufen, neue Ideen auf den Markt zu bringen.

Einen der Knackpunkte in der Debatte stellte die Frage dar, welche Rolle EU-Behörden selbst künftig in Abgrenzung vom Europäischen Patentamt (EPA) in der Patentpolitik spielen sollen. Die Kommission stellte sich mit der Konsultation zunächst hinter das Gemeinschaftspatent und die Schaffung einer eigenen EU-weiten Patentgerichtsbarkeit. Das EPA würde in diesem Szenario höchstwahrscheinlich zwar die "Einheitspatente" vergeben, so wie es heute bereits "Bündel" nationaler gewerblicher Schutzrechte erteilt. Der Einfluss Brüssels auf die Patentierungspraxis würde jedoch deutlich größer.

Viele Vertreter der Industrie wie Sprecher von BASF oder der International Chamber of Commerce, Patentanwälte und der neue Chef des Bundespatentgerichts, Raimund Lutz, stellten sich dennoch hinter das zweite hauptsächlich behandelte Szenario. Demnach soll über das Londoner Abkommen die Zahl der erforderlichen Übersetzungen von Patentansprüchen zurückgefahren werden, um Kosten zu sparen. Zudem propagieren die Befürworter dieses Modells dafür, mit dem European Patent Litigation Agreement (EPLA) ein vom EPA mit vorgeschlagenes Streitregelungsabkommen in Kraft treten zu lassen. Auch in diesem Rahmen soll ein eigenes europäisches Patentgericht entstehen, das nationale, die weit gehende EPA-Vergabepraxis häufig skeptisch begleitende Instanzen größtenteils obsolet machen würde. Die Richter würden von den Mitgliedern der Europäischen Patentorganisation bestimmt, welche auch die Geschicke des EPA steuern. Experten aus den Beschwerdekammern der Münchner Patentbehörde sollen dabei auch richterliche Gewalt im Rahmen des EPLA ausüben können.

Heftige Proteste gegen diese Lösung brachte Erik Josefsson vom Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) vor: "Das EPLA betraut eine Organisation der Exekutive mit Aufgaben der Judikative", beklagte Josefsson. "Das ist inakzeptabel." Generell wollte es dem Softwarepatent-Gegner nicht in den Kopf gehen, warum sich die Kommission auf Fragen der Patentgerichtsbarkeit fokussiere und dem EPA mehr Macht geben wolle, "statt das System zu reparieren". Er erinnerte daran, dass in den USA ein übergeordnetes Patentgericht erst den Weg für die Patentierbarkeit von Software und Geschäftsmethoden frei gemacht habe. Das brauche Europa nicht nachahmen. Die Opfer des EPLA-Modells und der damit geschürten "Patent-Inflation" wären Josefsson zufolge vor allem KMU, da das Streitregelungsabkommen laut dem EPA die Kosten für Gerichtsentscheidungen drei oder vier Mal so teuer mache wie heute im nationalen Bereich. Die Hälfe der Rechtsstreitigkeiten rund um Softwarepatente könnten zudem vermieden werden, indem die Münchner Patentbehörde selektiver Monopolansprüche austeile.

Auch Florian Müller, Gründer der Kampagne NoSoftwarePatents.com, erklärte im Namen der Software-Entwicklergemeinde, dass das EPLA die Probleme des Patentwesens nur verschärfen und Softwarepatente leichter durchsetzbar machen würde. Skeptisch gegenüber dem Streitregelungsabkommen zeigte sich ferner Tim Frain von Nokia. Er sieht keinen Bedarf für das EPLA, da multinationale Rechtsstreitigkeiten über Patentansprüche die Ausnahme seien. Die Rechtehalter würden von einem solchen Modell eventuell bevorzugt, die Innovation würde aber Schaden tragen. Dass mit dem Abkommen EU-weit Verfügungen gegen potenzielle Rechteverletzer durchgesetzt werden könnten, hätte Frain zufolge extrem weit reichende Konsequenzen. McCreevy schien das EPLA trotzdem letztlich als die "am meisten versprechende" Alternative. Er habe seine Mitarbeiter angewiesen, an diesem Projekt weiterzuarbeiten. Generell wolle sein Haus aber demnächst einen Vorschlag mit "vielen Facetten" unterbreiten.

Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (jk)