Softwarepatente: Vorgehen des EU-Rates löst große Empörung aus

Nach der offiziellen Verabschiedung der Patentposition der EU-Minister wird die Annullierung des Beschlusses gefordert; Industrieverbände stärken der Ratspräsidentschaft aber auch den Rücken.

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Mittelstandsvereinigungen, Open-Source-Entwickler und Parlamentarier kritisieren das Verhalten der luxemburgischen EU-Ratspräsidentschaft und anderer Regierungsvertreter bei der Entscheidung über die umstrittene Position des Ministergremiums zur Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" am heutigen Montag scharf. Es sei "absolut unfassbar", was auf der Sitzung des Wettbewerbsrates passiert sei, zeigt sich Jonas Maebe aus dem Vorstand des Fördervereins für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) entsetzt. Es sei erneut deutlich geworden, dass "in der Stadt Brüssel und im Ratsgebäude etwas faul ist". Der Softwarepatentgegner wirft die Frage auf, wieso es überhaupt noch Regeln gibt, denen zufolge die Haltung nationaler Parlamente vom Ministerrat in Erwähnung gezogen werden sollte.

Für den FFII steht außer Zweifel, dass die Luxemburger die Geschäftsordnung (PDF) des Rates ignoriert haben. Schließlich hätten neben der parlamentarisch gebundenen dänischen Delegation auch die Vertreter von Polen und Portugal eine erneute Diskussion über den angreifbaren Standpunkt des Ministerrates gefordert, auf den sich der Wettbewerbsrat nach langem Hin und Her nach dem Anbringen kosmetischer Korrekturen durch das federführende Bundesjustizministerium im Mai geeinigt hatte. Eine Ablehnung des Begehrs, die Ratsposition zur Disposition zu stellen, hätte daher laut FFII nur durch einen Mehrheitsbeschluss der EU-Mitglieder erfolgen dürfen. Ein Dorn im Auge ist dem Verein auch, dass andere Regierungsvertreter wie Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement trotz der Beschlüsse ihrer Parlamente "vergaßen", eine Streichung der Richtlinie von der Liste der sofort zu verabschiedenden Punkte zu beantragen. Dies werfe einen dunklen Schatten über die zur Abstimmung stehende europäische Verfassung, die dem Rat noch mehr Macht verleihen soll.

Scharfe Worte muss sich die Bundesregierung auch von Günter Krings anhören. Der Software- und Medienexperte der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag spricht von einem "schwarzer Tag für den deutschen Mittelstand". Clement gefährde "Arbeitsplätze in der deutschen Softwarebranche" und erweise sich "als Chancentod für eine der letzten Wachstumsbranchen". Dabei habe seine Amtskollegin Zypries Ende des vergangenen Jahres noch angekündigt, man werde "auch die inzwischen formulierte Position des Deutschen Bundestages in die Debatte auf Ratsebene einbringen". Die Entscheidung in Brüssel verunsichert laut Krings die IT-Branche und "trägt nicht dazu bei, ein positives Investitionsklima zu schaffen". Auf einer Linie mit der Union finden sich überraschenderweise auch die Globalisierungskritiker von Attac wieder: "Die Bundesregierung ignoriert Mehrheitsentscheidungen", schimpft Julian Finn von der AG Wissensallmende. Positionen würden offenbar unter dem Einfluss der starken Industrie-Lobby "mit allen Mitteln bis an die Grenze der Legalität durchgeboxt". Dies verstärke die Politik- und EU-Verdrossenheit der Menschen.

Jörg Tauss, forschungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, erinnert dagegen daran, dass das Kind schon im Mai in den Brunnen gefallen sei. Er zeigte sich erleichtert, dass die "Hängepartie" im EU-Rat ein Ende habe. Sein Blick wendet sich nun auf das EU-Parlament, dass in der anstehenden 2. Lesung "hoffentlich seinen Beschlüssen aus der 1. Lesung weitgehend treu bleibt". Die Europa-Abgeordneten hatten im September 2003 eine Position formuliert, die reinen Softwarepatenten im Gegensatz zur Ratslinie einen Riegel vorschiebt. In einem sich eventuell anschließenden Vermittlungsverfahren mit dem Ministergremium sähe Tauss zudem Zypries endgültig in der Pflicht, die dem EU-Parlament nahe stehende Haltung des Bundestags in Brüssel mit zu vertreten.

Auch in Dänemark ist die Empörung über den halbherzig umgesetzten dortigen Parlamentsbeschluss groß. "Es ist ein Skandal", sagt Ole Tange aus dem Vorstand des dänischen "IT-Politikverbands". Er ruft "alle politischen Parteien, die eine demokratische EU wollen," auf, "die Annullierung der Annahme der Richtlinie zu verlangen." Drastisch führt zudem Georg Greve, Präsident der Free Software Foundation Europe (FSFE), in einem offenen Brief an den Städteverbund Eurocities die befürchteten Folgen der Ratsposition auf: Angesichts der zu erwartenden Lizenzkosten würden "viele Entwickler und Firmen" außer Stande sein, "solchen Ansprüchen nachzukommen und aus dem Geschäft aussteigen. Steuerzahler werden zu Sozialhilfeempfängern. Und schließlich werden die Preise der übrig gebliebenen Softwarefirmen ansteigen, weil sie Ihre Ausgaben für Softwarepatente refinanzieren müssen und geringerer Wettbewerb herrscht".

Industrieverbände stärken der luxemburgischen Ratspräsidentschaft für ihre entschiedene Haltung im Wettbewerbsrat den Rücken. Hugo Lueders, EU-Lobbyingchef der in Chicago beheimateten Computing Technology Industry Association (CompTIA), begrüßte die Absegnung der Ratsposition als "Meilenstein", mit dem der Fortschritt bei technologischen Innovationen in Europa beflügelt werde. Lob kommt ferner vom Branchenverband EICTA, der die Position Europas als "führender globaler Innovationsmotor" sowie "Arbeitsplätze, den Technologietransfer und den Wissensaustausch" gesichert sieht. EICTA gehören Konzerne wie IBM, Microsoft, Nokia und Siemens an.

Im EU-Parlament wird sich noch am heutigen Abend der Rechtsausschuss erneut mit der Softwarepatentrichtlinie befassen. Die Abgeordneten müssen dabei zunächst entscheiden, ob trotz des Vorgehens der Luxemburger überhaupt ein "Gemeinsamer Standpunkt" des Rates vorliegt. Laut FFII-Vorstand Hartmut Pilch werde die endgültige Bewertung dieser Frage eventuell der Europäische Gerichtshof treffen müssen. Für ihn geht es in dem Streit längst auch prinzipiell um die Rechte und Grenzen der einzelnen EU-Gremien bei der Umsetzung von EU-Zielen. Pilch wörtlich: "Wenn wir die in diesem Fall nicht klar aufzeigen können, steht uns noch viel Ungemach ins Haus, nicht nur von Seiten des Patentwesens."

Zum Thema Softwarepatente siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)