Microblogging-Dienste fördern gesellschaftlichen Wandel in China

China erlebt einen rasanten Aufschwung von Twitter-ähnlichen Microblogging-Diensten. Die sozialen Netzwerke entfesseln Kräfte, die sich von der KP kaum noch beherrschen lassen, meinen Experten.

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China erlebt einen rasanten Aufschwung von Twitter-ähnlichen Microblogging-Diensten. Die sozialen Netzwerke entfesseln Kräfte, die sich von der KP kaum noch beherrschen lassen. Das berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe (ab dem 26.1. am Kiosk oder direkt im im heise shop zu bestellen).

„Soziale Medien bieten Chinas Öffentlichkeit einen neuen Kanal, Informationen zu suchen, oder sie selbst zu verbreiten“, sagt Professor Wang Sixin von der Universität für Kommunikation in Peking. „Die neuen Medien bedeuten für die Regierung eine riesige Herausforderung. Sie machen die Kontrolle der Bürger ungleich schwieriger“.

Täglich werden die sogenannten Weibos, wie Microblogs à la Twitter auf Mandarin heißen, beliebter. 2009 ging es los, seitdem wachsen die Nutzerzahlen rasant. Im Jahr 2011 explodierten sie förmlich - 550 Millionen Konten sind mittlerweile in China registriert.

Längst machen sich auch Unternehmen diesen Trend zu Nutze: Allein bei Tencent.Weibo - mit rund 300 Millionen Registrierungen der populärste Anbieter von Mikroblogs - sind rund 15.000 ausländische und nationale Unternehmen vertreten, die über Mikroblogs die Aufmerksamkeit der Nutzer gewinnen wollen.

Volkswagen beispielsweise fordert im People’s Car Project mithilfe der sozialen Medien chinesische Konsumenten dazu auf, sich an der aktuellen Entwicklung des Autos von morgen mit ihrem individuellen Input zu beteiligen. Das Projekt ist ein Erfolg: Bislang sind über 90.000 Ideen bei Volkswagen China eingegangen.

Seit einer Weile zwitschern auch die Diplomaten der Bundesrepublik auf Mandarin. „Weiplomacy“ nennt sich der neue Trend. „Es muss ständig aktualisiert werden. Die Leute wollen etwas geboten bekommen“, sagt Frank Hartmann, Pressechef der deutschen Botschaft. Gut 40 Prozent der mehreren Tausend Botschaftsleser sind unter 30 Jahre alt. Eine ausgewogene Mischung an Themen zu finden und attraktiv zu bleiben, entpuppt sich als hartes Stück Arbeit für die Mitarbeiter. Das Spektrum ihrer Beiträge bewegt sich zwischen nüchterner politischer Verlautbarung, nützlichen Informationen, Werbung für das Reiseland Deutschland und reiner Unterhaltung. Über konkrete Themen wollen die Deutschen mit den chinesischen Bürgern verstärkt in den Dialog treten. Manche Nutzer wollen mehr erfahren über Kultur oder Geschichte der Bundesrepublik, andere beschweren sich über unfreundliche Gesichter in der Visastelle.

Wieder andere rufen über das Angebot der Deutschen zur Revolution auf. „Was die in Libyen können, das können wir auch“, schrieb einer. Für die Botschaft ist das eine heikle Angelegenheit, weil sie sich von jeglichen Aufrufen zur politischen Umwälzung im Land fernhalten muss. Sie entschied aber, die Bemerkung nicht zu zensieren. Im Zweifelsfall werden das die Chinesen ohnehin selbst übernehmen. Diese Erfahrungen haben britische und amerikanische Diplomaten bereits gemacht. Sie wollten über ihre Mikroblogs unter anderem eine Diskussion über Internetfreiheit entfachen. Ihre Kommentare wurden von den Plattformbetreibern gelöscht. (wst)