Musikmesse MIDEM gibt sich Hacker- und Internet-freundlich

Der Online-Musikkauf boomt und überflügelt mancherorts sogar den klassischen CD-Verkauf. Und so beginnt die Musikindustrie auf ihrer weltgrößten Messe, das Internet zu lieben, statt es nur als Piratenpfuhl zu verdammen.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Monika Ermert
  • Johannes Endres

Mehr als die Hälfte des Musikgeschäfts findet mittlerweile über digitale Kanäle statt und so präsentiert sich die weltgrößte Musikmesse Midem, die heute in Cannes startet, als Technologie- und Internet-affin. Workshops bieten Künstlern Handlungsanweisungen, sich direkt zu vermarkten. Bei dem zum zweiten Mal stattfindenden Midem Hackday wird nach Apps für Künstler und Industrie gesucht. Der französische Konzern Vivendi sponsert einer langen Liste vom Start-Up-Unternehmen rund ums digitale Musikgeschäft die Messe-Präsentation. Die Zeiten, in denen Onlinemusik in eine eigene "MidemNet" verbannt war, sind endgültig vorbei.

Das ist kein Wunder, wenn man die vom Brancheverband IFPI kurz vor der Konferenz veröffentlichten Zahlen anschaut. Die Einnahmen der Plattenfirmen aus digitalen Kanälen wuchsen 2011 um 8 Prozent weltweit, die US-Branche machte 5,2 Milliarden. In den USA und Südkorea kommen in zwischen mehr Einnahmen aus dem Online-Geschäft, als aus dem klassischen. Den Vogel schießt aber China ab: dort stammen 71 Prozent der Einnahmen inzwischen aus dem Internet. Das Online-Geschäft von Film- und Buchbranche nehmen sich im Vergleich dazu geradezu zwergenmässig aus, heißt es im IFPI-Bericht vollmundig.

Angesichts solcher Zahlen sähen manche Unternehmen der Branche inzwischen Licht am Ende des Tunnels, bestätigte IFPI-Geschäftsführerin Frances Moore. Man habe den "manchmal schmerzhafte" Wandel fast geschafft.

Doch trotz des optimistischen Grundtons und der guten Zahlen, so ganz mag die IFPI noch nicht auf die Piratenschelte verzichten. Mehr als ein Viertel der Nutzer (28 Prozent) besuchten jeden Monat neben den inzwischen in 58 Ländern verfügbaren großen Portalen von iTunes bis Spotify auch unlizensierte Seiten.

Die IFPI lobt daher Hadopi , das Süd-Koreanische und Neuseeländische Three-Strikes System ausdrücklich. 26 Prozent weniger P2P-Filesharing gebe es dank Hadopi, versichert die IFPI unter Verweis auf Nielsen-Daten. 2012 will man sich verstärkt den Suchmaschinen als Mittler der Links zu urheberrechtsverletzenden Seiten zuwenden, lautet eine Drohung. Ein "fairer Rechtsrahmen, effektive Zusammenarbeit mit den Providern und die Bereitschaft der Regierungen, rigoros durchzugreifen gegen Piraterei" – dafür werde man sich auch 2012 einsetzen.

"Piraterie ist ein Massenphänomen", sagt Andrea Johnson, Professorin am Berklee College of Music, aber das liege daran, dass die Musikindustrie noch immer nicht schnell genug auf die Nachfrage aus dem Netz reagiere. Das College ist wie die App-Programmierer des Midem Hackday ein Neuzugang unter den Midem-Partnern, die künftig verstärkt Künstler direkt angesprechen sollen. Ein sehr einfacher, bezahlbarer, legaler Zugang zu mehr Musik, aber auch direktere Links zwischen Künstlern und Fans, dieses Mantra der "Reformer" wird bei der neuen, flächenmäßig verkleinerten Midem noch ein bißchen lauter.

Wünsche an die Hacker, die in den kommenden eineinhalb Tagen neue Apps für die Musikbranche schreiben, kamen beispielsweise von der Cellistin Zoe Keating, die nach ein Tool sucht, das ihre Tourdaten automatisiert bei allen sozialen Netzwerken anmelden könnte. Eine Vertreterin von Audiosocket bat um Hacker-Unterstützung für eine mobile API zur Lizenzierung. Audiosocket hat bietet aktuell – unter anderem für Vimeo – die einfache Lizenzierung von Songs an. Für 1,99 Dollar für Privatleute, beziehungsweise 91 Dollar für Filmemacher können Songs per Click lizensiert werden. 35.000 Songs habe man aktuell getaggt. Nachdem auch Universals Innovationsmanager James Cowdrey mit einer App-Idee auf die Hacker zukam, sagte Music-HackDay-Macher Dave Haynes, man müsse wohl auf dem richtigen Weg sein. (je)