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Was war. Was wird.

Auf der Suche nach dem mythischen Bielefeld stapft Hal Faber durch die verschneite norddeutsche Tiefebene. Doch er findet nur Münster, wo er sich nach lokaler Sitte ein Fahrrad nimmt.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.


*** Als Mensch, der das Leben in der norddeutschen Tiefebene mit vollen Zügen und zugigen Bahnhöfen genießt, war mir bisher entgangen, dass die Städte Münster und Sennestadt zu dieser wundervollen Tiefebene gehören, weil sie in der Westfälischen Bucht liegen. Somit gehört auch die mythische Stadt Bielefeld zur großen Ebene, auch wenn dort der Sage nach Fußball auf einer "Alm" gespielt werden soll. Bleiben wir erst einmal in Münster, einer seltsamen Stadt, in der einstmals Wiedertäufer eine Herrschaft nach altem Kirchenritus errichteten, "wobei die dramatische Differenz zwischen ideologischem Anspruch und pragmatische Ausführung erheblich an die DDR in Wandlitz erinnert". Münster trägt den Namen "Fahrradstadt", weil hier der Fahrraddiebstahl zum Alltag gehört. Münster hält außerdem den bundesdeutschen Rekord beim elektronischen Personalausweis: 44 Prozent aller Münsteraner Ausweisbesitzer haben die elektronische Identifikation (eID) freigeschaltet und über 1000 Formulare und Anträge elektronisch mit der eID abgewickelt, anstelle zur entsprechenden Behörde zu radeln. Nun wird es unglaubwürdig: In dieser modernen Stadt soll ein Detektiv Georg Wilsberg arbeiten, der Mobiltelefone verschmäht und das Internet nicht kennt. Richtig, wir sind im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, diesem Seniorencamp ohne Raushol-Funktion. Seit gestern abend läuft dort die Suche nach Indizien für die Bielefeld-Verschwörung auf Hochtouren.

*** Dass Bielefeld nicht existiert, kann man dank Internet schnell herausfinden. Man nehme nur die Webpräsenz von Bielefeld gibts doch und schaue ins Impressum: eine Adresse in Münster. Oder man gehe auf die hübsche interaktive Grafik über die Konzerne und ihre Aufsichtsräte, die die Deutschland AG führen. Kein einziger sitzt in Bielefeld. Umgekehrt gibt es noch mehr Indizien. Unter dem hübschen Aufmachertitel berichtet die taz vom Wirtschaftstrojaner, eben jenen Puplic Private Partnership-Vorhaben, mit denen die Wirtschaft den Staat oder die Kommunen austrickst und ausplündert, wobei Geheimverträge seit dem Plünderprojekt LKW-Maut Usus sind. Für Transparenz zumindest auf kommunaler Ebene soll eine Kommunalprojekt PPP sorgen. Das Impressum weist Bielefeld aus. Dass Suchmaschinen von der Existenz Bielefelds künden, tut nichts zur Sache, denn die gehören ihnen, den Cyborg-Wesen, die die Deutschland AG erobern wollen. Über 400 deutsche Webshops erhielten nach Ausbruch des Miner-Botnetzes von einer sehr seltsamen Yahoo-Adresse die Aufforderung, 100 Bitcoins zu überweisen, andernfalls werde ein DDoS mit 100 Gbit/s gestartet. Nur eine Bielefelder Firma zahlte, der Rest wartete den DDoS ab. Dass dieser im Sande verlief, hat mit der Drohmail zu tun, die bei vielen Firmen im Spam-Ordner landete und nicht beachtet wurde. So musste das Miner-Botnetz über 400 Ziele angreifen, was das Netz vergleichsweise gering belastete.

*** Abseits aller Verschwörungstheorien hatte diese Woche der Datenschutz Hochkonjunktur. Gestern ging der europäische Tag des Datenschutzes zu Ende, ein hoher Feiertag, der selbst von den Datenunschützern begangen wurde. Zuvor hatte sich EU-Kommissarin Viviane Reding für einen mächtigen neuen Datenschutz ausgesprochen, der alles umfasst und nur bei den Präsenzen der EU eine Ausnahme macht: Datenschutz bei Europol und Frontex, das wäre ja noch schöner. Bleibt die Frage, was unabhängige Datenschützer bei dieser mächtigen EU dann noch wert sind. Dürfen sie tapfer wie der deutsche Datenschützer kämpfen, auf dass Drohnen ab 150 Kilo beim Herumflug eine Datenschutzerklärung hinter sich herschleppen müssen, wenn sie in deutschen Lüften kreuzen? In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die Befürworter des europäischen Trauerspiels namens ACTA nicht müde werden, den eingebauten Datenschutz dieses Ausheber-Ermächtigungsgesetzes zu betonen. Seltsam nur, dass der EU-Berichterstatter für das geheime ACTA-Abkommen in der Begründung für seinen Rücktritt anführt, dass der Datenschutz ausgehöhlt wird.

*** Vor 40 Jahren erreichte die deutsche Demokratie einen Tiefpunkt, als am 28. Januar 1972 der von Willy Brandt initiierte Radikalenerlass beschlossen wurde und für viele Linke im öffentlichen Dienst ein Berufsverbot verhängt wurde. Inmitten der Rührung über den großen Auftritt von Marcel Reich-Ranicki, der von einem Tag in meinem Leben berichtete, sollte man sich erinnern, dass auch Mitglieder des VVN oder bekennende Kriegsdienstverweigerer ein Berufsverbot erhielten. Entschädigung? Fehlanzeige. Der Verfassungsschutz leistete ganze Arbeit und sammelte Material, das in 11.000 Verfahren benutzt wurde.

*** Auch heute hat die rechts blinde Organisation so viel zu tun, dass sie kaum dem dringenden Wunsch der Mitte der Gesellschaft nachkommen kann, doch bitte auch überwacht zu werden. Die Empörung ist groß, dass nur 27 Ostler der Linken überwacht werden und das Volk stellt sich die Frage: Warum nur diese paar Nulpen? (PDF-Datei) Sind wir nicht alle ein bisschen brandgefährlich und möchten bespitzelt werden? Können wir nicht alle plötzlich irgendwo auftauchen? Um es in den Worten eines großen Schutzpatrons zu sagen: "Beispielsweise ist denkbar, dass man Überwachungsmethoden anwendet, um die Vorbereitung von gewalttätigen Demonstrationen oder Aktionen zu überwachen und plötzlich auf der Bildfläche ein Mitglied der Linken auftaucht, oder sie überwachen eine ausländische Guerilla-Organisation in Deutschland und plötzlich taucht auf der Bildfläche ein Linker auf. Dann hätte man das natürlich automatisch zwangsläufig erfasst." Das Recht darauf, automatisch erfasst zu werden, gehört das nicht ins Grundgesetz?

*** Die Überwachung für alle würde auch das leidige Problem mit der Vorratsdatenspeicherung lösen, die ja nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht sonderlich geeignet ist, die Aufklärungsquote zu beheben. Dass ausgerechnet ein leibhaftiger Chef des Bundeskriminalamtes sich an ihr festhalten will, dass die Deutsche Polizeigewerkschaft nur eine Momentaufnahme sieht und der Schutzpatron keine Relevanz erkennen kann, stimmt nachdenklich. Denn die Studie zeigt klar, dass die Vorratsdatenspeicherung bei Betrugsfällen und dergleichen Vorteile bringt, aber nicht bei den besonders schweren Kriminal-Fällen, bei denen sie erst zum Einsatz kommen darf. Vergessen wird im Dauergequengel, bitteschön endlich die Vorratsdaten zu durchsuchen, dass die gern bemühten schweren Jungs, die Drogendealer und Geldwäscher längst ihre eigenen Pillendosen haben. Und die Debatte, ob mit der Vorratsdatenspeicherung nicht die europäische Grundrechtecharta verletzt wird, wird noch geführt. Was passieren kann, wenn ein Land seine moralischen Maßstäbe verliert, kann bei dieser Geschichte über einen Präsidenten nachgelesen werden, Bobbycar not included.

Was wird.

Hinter der Rechtsdebatte steht der unbedingte Glaube an den Kommissar Computer, allen Beteuerungen zum Trotz, man leide nicht an Datensammelwut. Wenn ausgerechnet Kriminalbeamte angesichts der rechtlich erlaubten Funkzellenabfrage bei der Kritik an der Unverhältnismäßigkeit mancher Maßnahme damit kommen, dass man auch massenhaft Fingerabdrucke auswerten würde, wenn nur genug Personal und Technik da wäre, dann zeigt dies ein Datendenken, das längst aufgehört hat, sich über Grundrechte Gedanken zu machen. Erinnert werden darf an das unter Ex-Innenminister Schäuble geprägte Wort vom digitalen Tsunami, in dem die Datenanalyse für Kriminalisten zum wichtigsten Fahndungsinstrument wird. Schäubles damalige Zukunftstruppe hat einer Tagung in Berlin die nötigen Stichworte zur Hand gegeben, bei der u.a. der Republikanische Anwaltsverein und der AK Vorrat die Veranstalter sind. Von der Funkzellenabfrage über die Deep Packet Inspection bis zu der Frage, wie der digitale Selbstschutz aussehen kann. Eine Frage die Viele beschäftigt.

Nicht fehlen darf der Hinweis auf die immer wieder inspirierende FOSDEM in Brüssel, die bei allen Unzulänglichkeiten im location based Treffing an der freien Universität besser den Stand der Open Source-Szene abbildet als alle geschniegelten Messen mit ihren OSS-Ständen und -Evangelisten. Absolut alles ist möglich, wenn man es unverdrossen anpackt, das ist die Botschaft dieser Veranstaltung, deren Spannbreite von der Freedom Box bis zum Cafe Delirium reicht, wo das Bier in Strömen fließt (doch nicht als Freibier!). Ok, Absolutely Anything toppt das natürlich.
(vbr)