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Was war. Was wird.

Ist die Freiheit wirklich schon verschwunden? Wer möchte die Blumen des Bösen? Hal Faber weiß nicht, ob Geschrei über den Untergang der freien Presse so viel besser ist als die Alarmmeldungen der Terrorbekämpfer.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Einige haben Glück, andere nicht. Den einen schenken die neckischen Wettergötter einstürzende Altbauten samt neuer, ungeahnter künstlerischer Nachbesserung. Den anderen backen die nämlichen Götter in einer Vulkanhalle den Verstand weg, auf dass sie nach einem merkwürdig durchgeführten Wettbewerb mit vielen Äähs und Ähems eine blöde Miene zu einem noch blöderen Spiel machen. Technisch gesehen hat sich der Grimme Online Award diskreditiert. Sollte der GOA 2008 weiterhin verliehen werden, sollte besser die Gesellschaft im Ostalbkreis für Abfallbewirtschaftung die Jury stellen, die sich mit Abfall auskennt.

*** Inhaltlich gesehen war der Grimme Online Award immer der kleine Bruder der bekannten Grimme-Fernsehpreise, mit denen das Adolf-Grimme-Institut vor allem öffentlich-rechtliche Sendungen auszeichnet. Immerhin hat einer der klügeren Preisträger den knackigen Widerspruch erkannt und benannt, worum es eigentlich geht. Auf ihre Weise haben es auch die öffentlich-rechtlichen Strategen klargemacht. "Die Rundfunkgebühr wird in der digitalen Medienwelt zur Content-Flatrate für Qualitätsinhalte", dieser Satz hat den Kommentator der Frankfurter Allgemeinen Zeitung so in Rage versetzt, dass er von der Enteignung der freien Presse schreibt und ein schönes Fazit präsentiert: "Denjenigen, die im ohnehin parasitär verfassten Internet mit unabhängigem Qualitätsjournalismus Geld verdienen wollen, wird öffentlich subventioniert der Boden entzogen". Plumps.

*** Auch wenn man inzwischen wieder auf die Verleger nach all der Aufregung zugehen will, sollte man sich mal dieses qualitätstriefende Video zur Gemüte führen. Dagegen wirkt der Einwand, dass in der Grimme-Jury auch ein Journalist sitzt, der für die Tagesschau produziert, wahrscheinlich kleinkariert. Denn das, was bei den Protagonisten der ganzen Show so nett Preisfrage genannt wird, ist semantisch nicht eindeutig. Sie nennen es Arbeit, wir nennen es Zuhälterei. Wahrscheinlich kommt die anonyme Seilschaften-Selbsthilfegruppe für solcherart Sozialisierte zu spät.

*** Bleibt nur die Frage, warum um alles in der Welt man auf Verleger und Verlage zugehen will und nicht auf die Menschen, die einfach so ins Internet schreiben. Sicher kommt es daher, dass für Verleger ein ganz besonderer Artikel 5 des Grundgesetzes gilt, eine Art höherer Ausfluff oder eine spezielle Firmenfreiheit. Gut, sie ist auch nicht unbeschränkt und berechtigt beispielsweise nicht, von einer Hinrichtung zu sprechen, wenn man einem Schiedsrichter dahin greift, wo es ihm weh tut – und damit ist nicht die männliche Trillerpfeife gemeint. Der schräge Humor der Juristen beschert die ins Internet schreibenden Menschen immer wieder überraschende Einsichten zur Meinungsfreiheit. Man nehme nur Sigmar "Iggy Pop" Gabriel, der seit seiner Ablehnung als Sänger bei der Gründung der Scorpions eine unglückliche Liebe zur Politik entwickelte. Im mehrfach erwähnten Genossenstreit des SPD-Politikers mit dem Parteibuchblogger geht es bald in die Berufung. Dabei meinen die Anwälte, dass unser Umweltminister keine absolute Person der Zeitgeschichte ist, also jemand, der nicht am öffentlichen Leben teilnimmt und über den schonmal ein Witz gemacht werden kann. Das lässt tief blicken, vor allem darum, weil Gabriel bekanntlich zu den Bären will. Erst in Patenschaft mit Knut, gewissermaßen auf den Schultern des Bären ragt Gabriel über die Allgemeinheit heraus. Vorher ist er nichts, vielleicht nur eine Emission von Treibhausgasen im Anzug.

*** Gab es sonst nichts Wichtiges? Keine Terrorwarnungen? Über die Panikattacken mancher Politiker regt sich mittlerweile sogar BKA-Chef Ziercke auf, der gegenüber der Presse stolz darauf ist, dass sein Amt seit 2001 exakt 6 konkrete Anschläge vereitelt hat. Stolz darf er auch sein, dass einer der in Pakistan festgenommenen deutschen Konvertiten ein Gefährder ist, der vom BKA beobachtet wurde. Das alles übrigens ohne Online-Zugriff auf die Festplatten des Gefährders. Mehr Gelassenheit wäre nicht schlecht. Wie wäre es, wenn sich der BKA-Chef eine der neuen Handquetschen schnappt und seinen schönen Satz vom erfolgreichen Monitoringsystem wiederholt an alle funkt, den Streifen zum Diktat: "Wohl nur ein paralleler Einsatz unterschiedlicher Methoden auf der Basis eines längsschnittlichen Einsatzes bei gleichzeitiger Berücksichtigung unterschiedlicher Beobachtungsperspektiven - Akteure sowie unmittelbare und mittelbare Adressaten des Terrorismus wird entsprechende Zukunftsprognosen über den Terrorismus ermöglichen."

*** Angesichts all der Terrorwarnungen und der ausgeflippten Terrorbekämpfer, die sich gegenseitig bekämpfen, kommt einem "Freiheit" nicht in den Sinn. Schade eigentlich. Aber neu, neu ist dieses Phänomen auch nicht:

Die Freiheit ist ein wundersames Tier,
und manche Menschen haben Angst vor ihr.
Doch hinter Gitterstäben geht sie ein,
denn nur in Freiheit kann die Freiheit
Freiheit sein

sang einst Georg Danzer, der am Donnerstag starb. Der österreichische Liedermacher, Rockmusiker und Komponist wird gerne unter dem Label "Austro-Pop" gehandelt, was er eigentlich nicht verdient hat. Auch die österreichische Dreierbande hat besseres geliefert als Fendrichs Herzblatt-Schmelz und Ambros' "Schifoan". Erinnern wir uns lieber an austriakischen Blues vom "Freiheit"-Schlag – oder, wenn denn schon zum Gedenken noch einmal von Austropop die Rede sein soll, an den Watzmann von Ambros.

*** Die wichtigste Computerfrage der vergangenen Woche lautete zweifellos 42. Oder eben 9:42, mithin die Zeit, die Apples iPhone auf allen bisher bekannt gewordenen Bildern zeigt. Ja, die Zeit ist aus den Fugen, könnte man mit dem großen Philip K. Dick sagen, der seinerseits den noch viel größeren Shakespeare zitierte: "Die Zeit ist aus den Fugen, verfluchte Schicksalstücken, dass ich geboren ward, um sie zurechtzurücken." Was ist die Nachricht der bestgehypten Hardware seit der Erfindung der Mikrowelle? "Nie mehr kochen", wie es damals hieß, kann es ja nicht sein. Bilden wir die Quersumme, so finden wir den fünfzehnten Buchstaben im Alphabet: O. Von diesem ausgehend, geht es, 1 und 5 genommen, einmal nach vorne und fünfmal zurück: not. kann wirklich das englische "not" gemeint sein, oder ist es nicht vielmehr ein Hilferuf von 942 deutschen Programmierern, die in einem geheimen Lager von Apple zusammengepfercht wurden, das zu programmieren sie alle zu binden, zu knechten, zu finden.

*** Verschließen wir über diesen Spekulationen nicht die Augen vor der Realität. Wer Freude am Schießen hat, wird Freunde treffen, diesen Satz hätte der große Journalist Ambrose Bierce nicht besser formulieren können, der heute vor 165 Jahren geboren wurde. Bierce nahm als Scharfschütze an einigen der blutigsten Schlachten des amerikanischen Bürgerkriegs teil, etwa der Schlacht von Shiloh. Dann ging er nach San Francisco und wurde Journalist, zusammen mit Mark Twain. Sein "Wörterbuch des Teufels" hat gleich nach den Werken des noch größeren Karl Kraus Generationen von Journalisten geholfen, den Verstand nicht zu verlieren.

Was wird.

La sottise, l'erreur, le péché, la lésine,
Occupent nos esprits et travaillent nos corps,
Et nous alimentons nos aimables remords,
Comme les mendiants nourrissent leur vermine.

Nos péchés sont têtus, nos repentirs sont lâches;
Nous nous faisons payer grassement nos aveux,
Et nous rentrons gaiement dans le chemin bourbeux,
Croyant par de vils pleurs laver toutes nos taches.

Mit dieser "Rede an die Leser" wurde morgen vor 150 Jahren mit 1200 Exemplaren ein Gedichtband veröffentlicht (und prompt vor Gericht gebracht), der die europäische Kultur gehörig beeinflusste. Ich weiß, dass ein französisches Zitat, ein Gedicht zumal, nicht unbedingt dem Lesefluss förderlich ist, aber die Blumen des Bösen müssen einfach im Original überreicht werden. Geneigte Leser, die bis hierhin gefolgt sind, werden googeln, experimentierfreudige am Babelfisch verzweifeln. Denn immer verbindet die Liebe zur Sprache das, was die Ökonomie ganz schnell trennt: Mein erstes veröffentlichtes Gedicht brachte mir 5,50 DM ein, mein Bericht über eine kontroverse Versammlung des Schützenvereins Hannover-Langenhagen 250 DM.

Damit geht es zurück zu Karl Krause, dessen Portrait hier an der Wand "henkt", komplett mit der schönen Sentenz: "Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: Sie hört nicht, was ich sage, und ich sage nicht, was sie hören will." Ein großartiger Satz. Ihn sollten alle Blogger lernen, die bald den doofen Journalismus ablösen wollen. Aufs Beste übrigens bei eben diesem Baudelaire geschildert, den dieser Karl Krause als Vorbild hatte. Und weil ich meinen Freund Kai Krause umstandslos hinzu addiere, schließt dieser Wochenrückblick mit einem Gruß an alle Leser, gelangweilt oder nicht:

Mais parmi les chacals, les panthères, les lices,
Les singes, les scorpions, les vautours, les serpents,
Les monstres glapissants, hurlants, grognants, rampants,
Dans la ménagerie infâme de nos vices,

II en est un plus laid, plus méchant, plus immonde!
Quoiqu'il ne pousse ni grands gestes ni grands cris,
Il ferait volontiers de la terre un débris
Et dans un bâillement avalerait le monde;

C'est l'Ennui! L'oeil chargé d'un pleur involontaire,
II rêve d'échafauds en fumant son houka.
Tu le connais, lecteur, ce monstre délicat,
--- Hypocrite lecteur, --- mon semblable, --- mon frère!

(Hal Faber) / (jk)