"Ich habe die Kosten unterschätzt"

Für seine ökonomische Analyse des Klimawandels wurde der frühere Weltbank-Chefökonom Nicholas Stern von Fachkollegen teils heftig kritisiert. Heute, fünf Jahre später, bleibt er bei seinen wichtigsten Punkten – und sieht sogar noch gravierendere Risiken für die Menschheit.

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Von
  • David Rotman
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Für seine ökonomische Analyse des Klimawandels wurde der frühere Weltbank-Chefökonom Nicholas Stern von Fachkollegen teils heftig kritisiert. Heute, fünf Jahre später, bleibt er bei seinen wichtigsten Punkten – und sieht sogar noch gravierendere Risiken für die Menschheit.

Der vor fünf Jahren veröffentlichte Stern-Report sorgte für Aufsehen, denn er fasste die Bedrohung durch den Klimawandel in deutliche, teils schockierende Zahlen: Wenn nichts dagegen unternommen wird, so die 700 Seiten umfassende Analyse des ehemaligen Weltbank-Chefökonomen Nicholas Stern im Auftrag der britischen Regierung, würden seine Kosten dem Verlust von fünf Prozent (und schlimmstenfalls sogar 20 Prozent) des weltweiten Bruttoinlandsprodukts entsprechen – "jedes Jahr, jetzt und für immer". Hunderte von Millionen Menschen würden dadurch von Hunger, Wasserknappheit und schwerer wirtschaftlicher Benachteiligung bedroht. Der Klimawandel, schrieb Stern, "ist das größte Marktversagen, das die Welt je gesehen hat".

Um die genannten Folgen abzuwenden, braucht es laut dem Bericht ab sofort und in jedem der nächsten zehn bis zwanzig Jahre Investitionen in Höhe von einem Prozent des weltweiten BIP; anschließend schließe sich das Zeitfenster. Außerdem spricht sich Stern dafür aus, dass die Regierungen einen Preis für Kohlendioxid-Emissionen festsetzen, über Steuern, einen Handelsmechanismus oder über direkte Regulierung.

Der Bericht fand in der Politik wie in der breiten Öffentlichkeit viel Beachtung, doch die Reaktionen von anderen Ökonomen waren gemischt. Mehrfach wurde zum Beispiel kritisiert, Stern habe den heutigen Wert von Investitionen, die erst in der Zukunft erfolgen, falsch berechnet. Diese Debatte über korrekte "Diskontierung" ist nur scheinbar esoterisch: die Kalkulation hat entscheidende Bedeutung für die Einschätzung, wie schnell Investitionen gegen den Klimawandel angegangen werden sollten.

Einer der schärfsten Kritiker von Sterns Methodik war William Nordhaus, Ökonomieprofessor an der Yale University. Er war weder mit der Höhe der geforderten Investitionen einverstanden noch mit ihrem Tempo. Trotzdem habe der Stern-Report seit der Veröffentlichung "enormen Einfluss" gehabt, sagt Nordhaus heute, und er habe "mein Nachdenken über die wichtigen Themen enorm geschärft".

Stern ist heute Professor an der London School of Economics and Political Science und leitet dort das Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment. Für das Interview hat ihn David Rotman, Redakteur bei der US-Ausgabe von Technology Review, in seinem Haus etwa 100 Kilometer südlich von London besucht.

Technology Review: Wie hat sich die Diskussion um den Stern-Report in den fünf Jahren seit seiner Veröffentlichung entwickelt?

Nicholas Stern: Inzwischen werden seine Argumente von mehr Leuten akzeptiert. Die Idee, dass die enormen Risiken den Rahmen bei der ökonomischen Betrachtung des Klimawandels bilden sollten, hat in der öffentlichen Diskussion wie in der Fachwelt an Akzeptanz gewonnen.

TR: Die Tatsache, dass Klimawandel so enorme Risiken birgt, beeinflusst also die Art, wie man ihn ökonomisch analysiert?

Stern: Genau. Man kann nicht von einer bestimmten Wachstumsentwicklung ausgehen und den Klimawandel erst im Nachhinein berücksichtigen. Er verändert die gesamte Wachstumsentwicklung grundlegend und könnte den Trend sogar innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums – 50 oder 100 Jahre – radikal umkehren. Im Laufe eines Jahrhunderts könnte der Klimawandel manche Gegenden so feindlich machen, dass sich die Entwicklung umkehren würde und Hunderte von Millionen Menschen, vielleicht sogar Milliarden, zum Wegziehen gezwungen wären. Also muss man über eine Politik nachdenken, die für den Umgang mit Risiken dieses Ausmaßes gebraucht würde. In meinen Augen hat die Überlegung, dass das gewaltige Risiko fundamentalen Einfluss auf die anzuwendenden Analysemethoden hat, seit dem Report an Verbreitung gewonnen.

TR: Wie hat sich der politische Umgang mit der Klimaerwärmung verändert?

Stern: Im Jahr 2005 hat sich außer Jacques Chirac und Tony Blair kein Regierungschef für Klimawandel interessiert. Jetzt ist er zum politischen Thema überall auf der Welt geworden. In China zum Beispiel hat es in den letzten zwei Jahren dramatische und außergewöhnliche Änderungen gegeben. Auch in Indien hat sich die Politik verändert. In den USA ist das Thema hoch umstritten, in anderen Ländern viel weniger. In Großbritannien sehen alle bedeutenden Parteien, dass entschlossene Maßnahmen nötig sind. Die Politik hat sich grundlegend verändernd.

TR: Glauben Sie, dass das Thema dadurch klarer wurde, dass Sie es in Ihrem Bericht durch eine ökonomische Brille betrachtet haben?

Stern: Eine Änderung hat es insofern gegeben, als jetzt weniger häufig gefragt wird "Wollen wir Einkommen oder wollen wir Umwelt?". Beides wird heute seltener als Zielkonflikt dargestellt. Dies ist ein bedeutender Wandel für die Wirtschaftswelt und zunehmend auch für die Welt der Politik.

Sämtliche Unternehmen beschäftigen sich mit einer Welt mit Kohlendioxid-Beschränkungen – manche mit Begeisterung, manche eher in Sorge um ihre eigenen Interessen. Aber sie beschäftigen sich sehr ernsthaft damit und planen auf dieser Basis. Die politische Diskussion ist zwar noch nicht gewonnen, aber intensiv genug, dass die Entscheidungsträger überlegen, wie die Politik in zehn Jahren aussehen wird. Eine Strategie auf Grundlage hoher Emissionen wird heute von jedem als riskant angesehen – das ist gut so, denn sie ist es tatsächlich. Doch auch Emissionsreduzierung gilt als riskant – auch das ist richtig, denn wir wissen noch nicht genau, wie sich die Kosten entwickeln werden. Aber wenig Kohlendioxid ist riskant und wird weniger riskant, während viel Kohlendioxid riskant ist und noch riskanter wird.

TR: Sie haben den Klimawandel einmal als größter Marktversagen der Geschichte bezeichnet...

Stern: Es ist ein Marktversagen, weil der Preis für Produkte und Dienstleistungen, die Treibhausgasemissionen verursachen, nicht die dadurch entstehenden Kosten in Form von Klimaschäden berücksichtigt. Ökonomen wie ich sind der Ansicht, dass Marktsysteme hier enorm leistungsfähig sind, wenn man das Versagen durch die Festsetzung eines Preises für Kohlendioxid-Emissionen korrigiert.

TR: Aber zumindest in den USA sind Mechanismen für eine Bepreisung von Kohlendioxid gescheitert.

Stern: Ich denke, man muss das auf längere Sicht betrachten. Meiner Ansicht nach werden wir letztlich dahin kommen, aber auch Regulierung kann helfen. Wahrscheinlich braucht man eine Kombination dieser Elemente. Wir sind nicht von verbleitem Benzin zu bleifreiem gekommen, indem wir einen Preis für Blei festgesetzt haben. Dies wurde weitestgehend durch Regulierung erreicht.