Sie versteht mich nicht

Die aus Steuergeldern subventionierte Suchmaschine „Alexandria“ ist ein Totalausfall.

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Nach fünf Jahren Forschung und 100 Millionen Euro investierten Steuergeldern endete in der vergangenen Woche das Forschungsprojekt „Theseus“. Es hatte das Ziel, „den Zugang zu Informationen zu vereinfachen, Daten zu neuem Wissen zu vernetzen und die Grundlage für die Entwicklung neuer Dienstleistungen im Internet zu schaffen“. Auf der Abschlussveranstaltung haben sich offenbar alle Beteiligten kräftig gegenseitig auf die Schultern geklopft. „Wir haben tolle Arbeit geleistet“, zitiert dpa etwa den ehemaligen SAP-Vorstandssprecher Henning Kagermann. Laut Stefan Kapferer, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, sei es sogar gelungen, bessere Suchleistungen als Google zu erbringen.

Wer sich als Nutzer und Steuerzahler anschauen möchte, was denn da so tolles aus den Millionensubventionen gestrickt worden ist, der ist zunächst einmal fassungslos. Die angeblich „semantische“ Suchmaschine Alexandria – laut Pressemitteilung des Betreibers Neofonie „eines der Highlights“ von Theseus – soll in natürlicher Sprache gestellte Fragen beantworten können. Tatsächlich versteht Alexandria kaum ein Wort. Auf die schlichte deutsche Frage „wo wohnt angela merkel?“ antwortet die Suchmaschine „Ihre Frage wurde von Alexandria nicht verstanden. Versuchen Sie eine andere Formulierung.“ Da frage ich mich: Was genau hat der Alexandria daran nicht verstanden: Wo? Wohnt? Angela Merkel? Bei Google ergibt die Anfrage „Wohnort Angela Merkel“ schon auf der ersten Position eine Fundstelle, aus der die Antwort hervorgeht.

Bei den Fragen „welchen wahlkreis hat angela merkel?“, „welches geburtsjahr hat angela merkel?“ und „wie alt ist angela merkel?“ muss die neue Wundersuchmaschine ebenfalls passen. Dabei gibt es bei Alexandria durchaus einen Eintrag zu Angela Merkel, der zumindest ihren Geburtstag erhält. Doch der wird eben nicht gefunden. Nicht einmal einen Link auf das eigene Merkel-Datenblatt spuckt die Suchmaschine aus – zumindest, solange man den Namen klein schreibt. Bei der Formulierung „wie alt ist Angela Merkel?“ nutzt aber auch die Großschreibung nichts – als Suchergebnis bietet Alexandria einen Eintrag zu „Alternative Rock“ an. Soviel zum Thema „Semantik“ und „natürliches Sprachverstehen“ – Alexandria behauptet von sich, mehrdeutige Begriffe in Suchanfragen auseinanderhalten zu können („Disambiguierung“), dabei kommt es schon bei Groß- und Kleinschreibung ins Schleudern.

Ist es nicht unfair, einer neu gestarteten Suchmaschine so kurz nach dem Start ihre Kinderkrankheiten vorzuhalten? Ich meine, nein. Dem Launch gingen schließlich fünf Jahre üppig subventionierte Forschung voraus. Und sie in diesem Zustand online zu stellen, ist nicht mutig, sondern dreist.

Und überhaupt sind die offenkundigen Bugs und Ungereimtheiten in den Algorithmen meines Erachtens gar nicht das zentrale Problem. Die viel spannendere Frage ist doch: Woher kommen die Daten? Neofonie spricht von einem „semi-automatischen Mechanismus zum Aufbau eines semantischen Wissensspeichers“. Dieser speise sich aus Quellen im Internet wie der Wikipedia, aber auch aus den Beiträgen der Nutzer. Neofonie nennt das ziemlich hochtrabend „Web 3.0“ – die Verbindung von Web 2.0 mit semantischen Techniken. Für mich klingt das eher nach: „Alles, was zu kompliziert ist für unsere Algorithmen, sollen die Nutzer bitteschön selber machen.“ Das ist doch eine Bankrotterklärung der künstlichen Intelligenz. Eine semantische Suchmaschine, die diesen Namen wirklich verdient, müsste sinnvolle Antworten vollständig aus den chaotischen Informationen des Webs ziehen und nicht versuchen, die Wikipedia neu zu erfinden. Außerdem frage ich mich, welche Nutzer denn bereit sein sollten, ihre Freizeit in die Verbesserung eines solch grottigen Produkts zu stecken. Freiwillige Arbeit ist bei der Wikipedia sicherlich besser investiert. Mir jedenfalls reicht es, dass schon meine Steuergelder zu Alexandria geflossen sind. Meine Zeit muss ich nicht noch hinterherwerfen.

Ich will nicht unfair sein: Sicherlich wurden im Rahmen von Theseus auch sinnvolle Sachen entwickelt. Doch wenn Alexandria ein Highlight sein soll, möchte ich nicht wissen, wie die Lowlights aussehen.

(wst)