Forscher fordern "ent-nationalisierte" ICANN

Statt die private DNS-Verwaltung der Aufsicht eines internationalen Regierungsgremiums zu unterstellen, sollte sich die US-Regierung zurückziehen, fordern Wissenschaftler des Internet Governance Project.

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Von
  • Monika Ermert

Im Streit um die künftige Aufsicht über das Domain Name System fordern Forscher des Internet Governance Project (IGP) eine "Ent-Nationalisierung" der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). Statt die private DNS-Verwaltung künftig also der Aufsicht durch ein internationales Regierungsgremium zu unterstellen und damit die Sonderrolle der USA zu beenden, an die ICANN vertraglich gebunden ist, sollte die US-Regierung sich nach dem Auslaufen des aktuellen Memorandum of Understanding im Jahr 2006 ebenfalls zurückziehen.

Gegen die Idee, das Internet oder auch nur ICANN von internationalen Regierungen beaufsichtigen zu lassen, spricht laut IGP-Bericht (PDF-Datei), dass eine Re-Territorialisierung des Netzes entsprechend jeweiliger, nationaler Vorgaben die Innovationsfreiheit des globalen Mediums behindern könnte. Auch wahrten Regierungen eher nationale und nicht so sehr globale öffentliche Interessen. An Instrumenten globaler Willensbildung oder globaler demokratischer Kontrolle – etwa Wahlen – fehle es auch noch. Weiter könne ein Konklave von Diplomaten die vom Internet berührten öffentliche Belange alleine kaum verstehen oder gar darüber entscheiden. Eine unabhängige ICANN bedürfe allerdings, so IGP, noch erheblicher Reformen.

Ein Votum zu Gunsten der ICANN gab gerade die Europaparlamentarierin Erika Mann (SPD) ab. In einem Brief an EU-Kommissarin Vivianne Reding wandte sie sich gegen die jüngst bei Verhandlungen zum bevorstehenden 2. Weltgipfel der Informationsgesellschaft von Rat und Kommission vertretene Position im Streit zur Netzverwaltung. Die EU-Vertreter hatten sich dabei auf die Seite verschiedener Entwicklungsländer geschlagen, die eine neue Aufsichtsstruktur für unabdingbar erklärt hatten. Mann ihrerseits verwies Reding auf die Kritik des ehemaligen schwedischen Premier Carl Bildt an der EU-Position. Bildt spricht heute auch bei der Jahrestagung des Transatlantic Policy Network (TPN) in Washington.

"Erst einmal sollte ICANN so weit konsolidiert werden, dass es für seine gewaltige technische Aufgabe auf gesunden Füßen steht", sagte Mann gegenüber heise online. "Die Aufsichtsdiskussion kommt zum falschen Zeitpunkt." In einem zweiten Schritt könne dann auch darüber geredet werden, wie sich Regierungen innerhalb des ICANN-Regierungsbeirates über Fragen wie Sicherheit, Datenschutz oder demokratischen Spielregel verständigen. "Es gibt noch so viel zu tun für die Regierungen auf dem Weg, vernünftig mit dem Internet umzugehen", meint die EU-Parlamentarierin. Man könnte zum Beispiel auch überlegen, ob Länder, die bei der Aufsicht mit von der Partie sein wollten, nicht auch Mindeststandards etwa bei den demokratischen Spielregeln einhalten müssten. Den Vorwurf des Unilateralismus gegenüber den USA nannte sie einen "verbalen Angriff ohne Substanz".

Das allerdings sehen die IGP-Forscher anders. "Es ist inkonsistent von den USA, vor Regierungseinfluss auf das Internet zu warnen, während sie für die eigene Regierung Spezial- und Exklusivrechte sichert. Die Rolle der USA ist eine Provokation für andere Regierungen und ermutigt diese, in gleicher Weise souveräne Rechte für sich zu beanspruchen." Die Einflussnahme betreffe Vorstellungen zu Datenschutz und Whois ebenso wie wirtschaftliche Entscheidungen, etwa die Abneigung, Registries nach außerhalb den USA zu vergeben.

Während die Ent-Nationalisierung der ICANN-Aufsicht aus Sicht der IGP-Experten realisierbar wäre, sehen sie bei der Frage nach der Aufsicht über die Root-Zone deutlich größere Schwierigkeiten. Die Aufsicht über die Root-Zone ist in einem eigenen Vertrag zwischen VeriSign und der US-Regierung geregelt. Der Exmonopolist betreibt dabei den Master Server für die Rootzone und den A-Rootserver. Von diesen beiden Verträgen ist die Kontrolle über die IANA-Aufgaben abgetrennt, die ICANN unter anderem zu Veränderungen im Rootzone-File berechtigt, die dann von VeriSign nach Zustimmung durch das US-Handelsministerium vorgenommen werden. Die IGP-Forscher gehen davon aus, dass die USA die Root-Aufsicht so schnell nicht abgeben werden. Die Unabhängigkeit von ICANN könne aber möglicherweise diese Aufsicht entpolitisieren.

Siehe zum Thema "Internet Governance" auch:

(Monika Ermert) / (anw)