Zahlreiche Änderungsanträge zur Richtlinie über TK-Vorratsdatenspeicherung

Im federführenden Ausschuss des EU-Parlaments plädieren Christdemokraten, Grüne und Linke für eine dreimonatige Datenarchivierung der beim Telefonieren und der Internet-Nutzung anfallenden Verbindungsdaten.

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Hinter den Kulissen des EU-Parlaments wird heftig um eine einheitliche Position im Streit um die pauschale Telekommunikationsüberwachung der 450 Millionen EU-Bürger gerungen. Hintergrund ist das Vorhaben von EU-Kommission und EU-Rat gestellt, über eine Richtlinie die elektronischen Spuren Nutzer auf Vorrat zu speichern. Im federführenden Ausschuss für Bürgerrechte, Justiz und Inneres sind insgesamt 237 Änderungsvorschläge auf über 150 Seiten zum Kommissionsentwurf eingegangen. Sie werden momentan vom Büro des zuständigen Berichterstatters, Alexander Alvaro, auf Doppelungen sowie in sich widersprüchliche Vorschläge überprüft. Eine Reihe der Korrekturanträge trägt das Vorhaben des FDP-Politikers mit, nur Telefondaten drei Monate lang zu speichern. Standortdaten im Mobilfunk und Verbindungsdaten aus dem Internetbereich wollen Alvaro und seine Unterstützer außen vor halten.

Bei den Plänen von Rat und Kommission geht es um die Speicherung der Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, SMS, E-Mailen, Surfen oder Filesharing anfallen. Mit Hilfe der Datenberge sollen Profile vom Kommunikationsverhalten und von den Bewegungen Verdächtiger erstellt werden. Telefondaten will die Kommission zwölf, Internetdaten sechs Monate aufbewahrt wissen. Für so lange Fristen machen sich im Ausschuss aber allein dessen französischer Vorsitzender, der Liberale Jean-Marie Cavada, sowie sein britischer Kollege Bill Newton Dunn stark. Während Alvaro in der eigenen Fraktion so noch der Rückhalt fehlt, weiß er die schwedische Christdemokratin Charlotte Cederschiöld, die Parlaments-Vizepräsidentin und PDS-Abgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann sowie die niederländische Grüne Kathalijne Buitenweg bei der Dreimonatsfrist hinter sich. Der CDU-Abgeordnete Herbert Reul, mehrere Sozialdemokraten und die britische Liberale Sarah Ludford halten eine sechsmonatige Speicherung für angemessen.

Einig sind sich die Parlamentarier in ihrer Ablehnung des Vorhabens der Kommission, die konkrete Liste der aufzubewahrenden Datentypen mit dem Rat ohne Absprache mit den Abgeordneten verändern zu dürfen. Den Anforderungskatalog wollen sie zudem nicht in einem Anhang, sondern im Hauptteil der Richtlinie verankert sehen. Inwieweit Standort- sowie Internetdaten herausfallen oder gesondert behandelt werden sollen, beurteilen die Änderungsvorschläge noch äußerst unterschiedlich. Viele wollen die Zugriffsmöglichkeiten der Sicherheitsbehörden auf die Datenberge an gesonderte Straftatenkataloge gebunden sehen. Auch hier macht der Brite Newton Dunn mit seiner Forderung nach einer Blankovollmacht zur Dateneinsicht auch bei leichten Verbrechen eine Ausnahme. Auf eine einheitlichere Linie wollen sich die Ausschussmitglieder am 14. November verständigen, bevor sie dem Plenum spätestens Anfang Dezember ihre konkrete Empfehlung für die 1. Lesung der Richtlinie noch vor Weihnachten mitgeben sollen.

Vertreter der Kommission versuchen gleichzeitig, mit Erläuterungen zu technischen Einzelheiten ihres Vorschlags die Abgeordneten in ihr Fahrwasser zu bringen. Die verlangten Datentypen seien "die essenziellen Elemente für die Effektivität des Vorschlags", werben sie in einem aktuellen Papier (PDF-Datei) für die pauschale Überwachungsmaßnahme. Die Auswahl sei nach "langen Diskussionen" mit Arbeitsgruppen des Rates sowie in Rücksprache mit Sicherheitsbehörden und der Wirtschaft getroffen worden. Die Industrie hält den Datenkatalog aber nach wie vor für deutlich zu weit gestrickt. Die Kommissionsexperten weisen zudem darauf hin, dass die Daten auch zwischen unterschiedlichen Strafverfolgungsstellen ausgetauscht werden dürften, ein solches Verfahren aber nicht mit der Abfrage von Flugpassagierdaten durch die US-Behörden zu vergleichen sei. Zur Nutzerkennung führen sie aus, dass sich diese allein auf den Internetzugang beziehen soll, nicht etwa auf E-Mail-Kennungen.

Das Kommissionspapier geht zudem davon aus, dass die Anbieter zur Identifikation des Ziels einer Kommunikation "nur" die geschäftsmäßig erfassten Informationen über Abonnenten oder Nutzer heranzuziehen haben. Auf Nachfrage seien die Telcos aber verpflichtet, zu einer angerufenen Nummer auch die dahinter stehenden Kundendaten herauszurücken. Der ganze Komplex der mit berührten "Zielwahlsuche" schlägt den Anbietern schon seit langem auf den Magen, weil sie Rasterfahndungsmethoden anwenden müssen. Die Erläuterung gesteht ferner ein, dass auch mit der Vorratsdatenspeicherung etwa bei öffentlichen WLAN-Hotspots nicht in jedem Fall eine genaue Nutzeridentifikation möglich sei.

Hierzulande geht der Forderungsreigen rund um die Vorratsdatenspeicherung munter weiter. Nachdem sich die Innenpolitiker der geplanten schwarz-roten Koalition bereits auf eine mindestens sechsmonatige Vorhaltungsfrist verständigt haben, plädierte der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, nun auf der Herbst-Tagung seiner Behörde in Wiesbaden "aus polizeilicher Sicht" für eine mindestens einjährige Speicherdauer. Zur Begründung gab er an, dass Terroristen und kriminelle Organisationen ihre Straftaten länger als drei oder sechs Monate planen würden. Der Frankfurter Rechtswissenschaftler Patrick Breyer wies in einem Schreiben an EU-Abgeordnete dagegen darauf hin, dass auch eine dreimonatige Aufbewahrung der Telekommunikationsdaten einem zu tiefen Einschnitt in die Privatsphäre gleichkomme, Geheimnisträger wie Ärzte, Anwälte oder Journalisten in ihrer Berufsausübung gefährde und Terrorakte nicht verhindern könne.

Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen, siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)