Länder mit Polizeigesetzen weiter auf verfassungswidrigem Kurs

Datenschützer und Wirtschaftsverbände warnen vor der Verabschiedung neuer "präventiver" Überwachungsklauseln in Bayern und Schleswig-Holstein.

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Datenschützer und Wirtschaftsverbände warnen vor der Verabschiedung neuer "präventiver" Überwachungsklauseln in Bayern und Schleswig-Holstein. In beiden Ländern sollen momentan die Polizeigesetze überarbeitet werden. Dabei planen die jeweiligen federführenden Politiker deutliche Verschärfungen der bestehenden Rechtslage. Im hohen Norden, wo in der vom CDU-Ministerpräsideten Peter Harry Carstensen geführten Landesregierung zwei SPD-Politiker für die Ressorts Inneres und Justiz zuständig sind, soll etwa eine automatische Kfz-Kennzeichenerfassung eingeführt sowie die Videoüberwachung öffentlicher Plätze ausgeweitet werden. Im Süden der Republik steht bei der CSU-Landesregierung darüber hinaus der Ausbau der "präventiven Überwachung" der Telekommunikation und von Wohnräumen auf der Agenda. Hier hat das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen Jahren mit richtungsweisenden Urteilen zum Großen Lauschangriff sowie zur vorbeugenden Telefonüberwachung im niedersächsischen Polizeigesetz der Legislative eigentlich deutliche Grenzen gesetzt. Dies scheint die Landespolitiker jedoch nicht von ihren Plänen abzuhalten.

Der Branchenverband Bitkom macht denn auch "gravierende verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der geplanten Änderungen" im Polizeiaufgabengesetz Bayerns geltend. Die könnten auch nicht dadurch beseitigt werden, führt der Verband in einer aktuellen Stellungnahme aus, dass die CSU-Fraktion im bayerischen Landtag nach dem jüngsten Karlsruher Grundsatzurteil zum Telefonabhören geringfügige Korrekturen am ursprünglichen Entwurf der Staatsregierung in München eingebracht habe. Ein Dorn im Auge ist dem Bitkom insbesondere, dass der über den Einsatz präventiver TK-Überwachungsmaßnahmen bestimmende Straftatenkatalog künftig sogar bloße Vergehen umfassen soll. Dass die CSU den Einsatz der Abhörkeule zumindest an "konkrete Vorbereitungshandlungen" knüpfen will, erscheint dem Verband nicht ausreichend. Der Zusatz lasse die vom Bundesverfassungsgericht monierte "hohe Ambivalenz" eines "unterschiedlich deutbaren Geschehens" unberührt. Bayern steuere damit "gewarnt und sehenden Auges" auf eine "eigene verfassungsrechtliche Niederlage" zu.

Bedenken hat der Bitkom überdies angesichts einer vorgesehenen Klausel, der zufolge die Sicherheitsbehörden Kommunikationsverbindungen unterbrechen oder verhindern dürfen. Eine solche Störung der Telekommunikation könne "ihrerseits nicht vorhersehbare und unkalkulierbare Gefahren für Leben oder Gesundheit einer Person hervorrufen", etwa bei der Verhinderung eines Notrufs. Was eine ferngesteuerte Zündung von Sprengstoffen mit einem Mobiltelefon beträfe, so könne diese nicht nur durch dessen Anwählen ausgelöst werden, sondern auch umgekehrt durch die plötzliche Beendigung einer Funkversorgung. Die "gegebenenfalls großflächige, grundsätzlich zeitlich unbefristete Möglichkeit zur Unterdrückung der Telekommunikation" dürfte nach Einschätzung des Bitkom ferner "zu Umsatzeinbußen, Kundenunzufriedenheit und einem erhöhten Beschwerdeaufkommen führen" und einen "schweren Eingriff in die Erwerbstätigkeit der Anbieter" darstellen.

Ein Dorn im Auge ist den Wirtschaftsvertretern ferner, dass Mobilfunkunternehmen den Polizeibehörden Auskunft über Geräte- und Kartennummern (IMEI und IMSI) erteilen sollen. Diese Informationen würden nicht durchgehend in den Netzen erhoben und insoweit nicht immer vorliegen. Sollten mit der vorgesehenen Verpflichtung zur Herausgabe von "Berechtigungskennungen" zudem PIN und PUK gemeint sein, stoße dies auf Schwierigkeiten, da diese Bestandsdaten getrennt etwa von den gewünschten Verbindungsdaten aufbewahrt würden. Generell sei der bayerische Anforderungskatalog zu bestimmten Daten nicht kompatibel mit dem Telekommunikationsgesetz. Der Bitkom fürchtet allgemein eine deutliche Kostensteigerung für die betroffenen Unternehmen, eine weitere Aushöhlung des Fernmeldegeheimnisses sowie einen Vertrauensverlust der Kunden.

Der Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, meint derweil, der jüngst präsentierten Entwurf zur Novelle des Polizeirechts in seinem Bundesland müsse noch genau erörtert werden. Er beklagt eine besonders drastische "Wende" im Bereich der präventiven Befugnisse der Sicherheitsbehörden bei der geplanten "undifferenzierten Kfz-Kennzeichenerfassung". Damit würden alle Menschen "im Vorfeld" erfasst, die eine überwachte Straße benutzen. Die Datenaufzeichnung bleibe zudem in der Regel unbemerkt. Gelöscht werde nur, prognostiziert Weichert, "was die Polizei nicht interessiert". Angesichts der Möglichkeit zur Aufnahme der Daten in elektronische Fahndungsbestände dürfte dieses Desinteresse sich in Grenzen halten. Technische Unzulänglichkeiten würden ferner "zwangsläufig zu Belastungen Unbeteiligter führen".

Der Landesdatenschutzbeauftragte hat somit Zweifel, ob die geplanten Vorschriften den hohen Anforderungen aus Karlsruhe für derartige "informationelle Eingriffe" entsprechen. Die Voraussetzungen für eine "Schleierfahndung" müssten vom Gesetzgeber eindeutig definiert werden. Der Regelungsvorschlag stelle aber pauschal auf "polizeiliche Lageerkenntnisse" ab. Weichert erinnert in diesem Zusammenhang an eine Entschließung der Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern aus der vergangenen Woche. Sie hält fest, dass der durch die Menschenwürde garantierte unantastbare Kernbereich privater Lebensgestaltung im Rahmen aller verdeckten Datenerhebungen der Sicherheitsbehörden uneingeschränkt zu gewährleisten ist. Der Kurs der neuen schleswig-holsteinischen Landesregierung hatte bei Weichert schon Anfang der Woche Erstaunen ausgelöst, nachdem diese beschloss, die bis zum Ende des Jahres gesetzlich befristete Rasterfahndung zur Ermittlung "terroristischer Schläfer" ohne eine dringend erforderliche Evaluation fristlos zu verlängern. (Stefan Krempl) / (jk)