BKA-Chef legt nach: Polizei braucht Online-Durchsuchungen dringend

Jörg Ziercke bekräftigte, dass es eine gesetzliche Regelung für heimliche Online-Durchsuchungen von PCs geben müsse und zeigte sich verärgert über Äußerungen von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1022 Kommentare lesen
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Jürgen Kuri
Nach den Debatten der vergangenen Tage über die heimlichen Online-Durchsuchungen von PCs durch Strafverfolger und Geheimdienste legt BKA-Chef Jörg Ziercke noch einmal nach. Im Interview mit der Tageszeitung Die Welt betonte er, die Polizei brauche dieses Instrument dringend, "um zum Beispiel Terrorismus, organisierte Kriminalität, Menschen- und Waffenhandel besser bekämpfen zu können". Zuletzt hatte Ziercke auf dem 10. europäischen Polizeikongress die aus seiner Sicht dramatischen Folgen dargestellt, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum großen Lauschangriff für die Polizeiarbeit habe: Weil das Gericht einen Kernbereich privater Lebensführung von Abhöraktionen ausgenommen habe, sei das Instrument des Abhörens praktisch unbrauchbar geworden. "Das darf mit der Online-Durchsuchung nicht passieren. Die Polizei muss mit dem technischen Fortschritt der Täter mithalten."
Ziercke forderte nun gegenüber der Zeitung erneut eine gesetzliche Regelung für Online-Durchsuchungen. Dafür spreche die Zustimmung in Teilen der Politik und bei den Bürgern. Nach einer Umfrage seien 64 Prozent der Bevölkerung dafür, dass ein Kompromiss gefunden werde. 24 Prozent sagten, die Polizei solle diese Möglichkeit bekommen. Nur 10 Prozent seien völlig dagegen. Allerdings meinte Ziercke auch, die tatsächliche Bedrohungslage und das Bewusstsein darüber würden auseinander klaffen. "Seit dem Jahr 2000 gab es in Deutschland sechs massive Anschlagsversuche. Aktuell laufen mehr als 220 Ermittlungsverfahren, fast die Hälfte davon beim BKA. Man kann also nicht so tun, als ob wir nicht bedroht sind."
Verärgert zeigte sich Ziercke über die Aussage von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD), die vor staatlichen Hackern gewarnt habe. "Dann müsste man auch Polizisten, die mit richterlichem Beschluss eine Wohnung durchsuchen, als Einbrecher bezeichnen", sagte er. "Niemand muss Orwellsche Verhältnisse befürchten – 99,99 Prozent der Bevölkerung werden davon nicht betroffen sein." Von der Politik fühle er sich zwar nicht im Stich gelassen, es gebe aber bei der verdeckten Online-Durchsuchung eindeutig einen Dissens.
In ihrer Eröffnungsrede auf dem Polizeikongress hatte Zypries über ihre grundsätzlichen Bedenken hinaus festestellt, dass der Polizeiberuf in Deutschland höchstes Ansehen genieße und Polizisten gleich nach den Ärzten und Krankenschwestern auf dem dritten Platz der Beliebtheitsskala stünden. Zypries warnte davor, dieses Ansehen durch eine "leichtfertig geführte Diskussion" über die Online-Durchsuchung zu gefährden. Dabei kritisierte sie die "beschönigende Untertreibung", die in der Verwendung des Wortes "Durchsuchung" begründet sei. Tatsächlich handele es sich um einen sehr tiefgreifenden Eingriff in den Kernbereich der privaten Lebensführung.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte heimliche Online-Durchsuchungen privater und geschäftlich genutzter PCs durch Strafverfolgungsbehörden für rechtswidrig erklärt. Seitdem ist innerhalb der Regierung und der großen Koalition ein heftiger Streit über Sinn und Zweck einer gesetzlichen Regelung der tief in die Privatsphäre eingreifenden Maßnahme und über dafür eventuell erforderliche Verfassungsänderungen entbrannt. Während Vertreter der Sicherheitsbehörden immer wieder betonen, mit dem technischen Fortschritt und den Methoden der Kriminellen Schritt halten zu müssen, sehen Skeptiker mit der Festplattenspionage dagegen einen Paradigmenwechsel im deutschen Strafrecht einhergehen. Zypries hatte bereits vor einigen Tagen vor Schnellschüssen gewarnt, die in Karlsruhe keinen Bestand hätten.
Der Kabinettskollege von Zypries, Bundesinnenminister Schäuble, hat allerdings bereits angekündigt, schnell eine gesetzliche Grundlage schaffen zu wollen, damit heimliche Online-Durchsuchungen durch die Strafverfolgungsbehörden möglich werden; diese Maßnahme sei unverzichtbar. Schäuble (CDU) hatte zudem bekräftigt, dass es bei der geplanten verdeckten Online-Durchsuchung keine privaten Bereiche auf der Computerfestplatte geben könne, die im Sinne des "Kernbereichs privater Lebensführung" geschützt seien.
Ziercke warnte in dem aktuellen Interview aber auch die Wirtschaft vor steigender Internet-Kriminalität. "Rund die Hälfte der deutschen Unternehmen unternimmt viel zu wenig für die Datensicherheit", sagte er. Das Vertrauen ins Internet sei äußerst wichtig, da der Handel über das Netz ein wachsender Wirtschaftsfaktor sei. Im Internet würden in Deutschland derzeit rund 45 Milliarden Euro umgesetzt. "Wir möchten die Täter aus dem Verkehr ziehen, die dieses Vertrauen missbrauchen."
  • Zur Überwachung von Internet-Nutzern und der Datensammelei im Web siehe auch den Schwerpunkt "Deine Spuren im Netz" in der aktuellen Ausgabe von c't: