TV-Apps auf dem iPad im rechtlichen Graubereich

Apps, die Fernsehsendungen, sogar Pay-TV live und ohne Extrakosten auf dem iPad anzeigen, sind derzeit sehr beliebt. Die Frage, woher die Streams von RTL HD & Co. stammen, verdrängen viele Nutzer.

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Von
  • Nico Jurran
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Apps, die Fernsehsendungen live aus dem Internet empfangen und auf dem iPad anzeigen, stehen aktuell hoch im Kurs: Unter den Top 10 der kostenpflichtigen Apps finden sich gleich drei Vertreter im App Store. Am erfolgreichsten ist derzeit "TV Deutsch Deluxe", das zum Preis von 0,79 Euro den Zugriff auf 53 Kanäle ohne weitere Zusatzkosten verspricht – neben "Das Erste HD" und "ZDF" zählen dazu unter anderem "RTL HD", "Vox HD" sowie die englischsprachigen Pay-TV-Sender "ESPN America HD" und "Disney XD HD". Da die App AirPlay unterstützt, lassen sich die Streams auch über ein Apple TV auf den heimischen Fernseher schicken – wodurch man sich einen Digital-TV-Empfänger erspart. Die Menüs der App sind simpel und eingängig; per Pause-Taste lässt sich das Programm anhalten.

Das Sendermenü der iPad-App "TV Deutsch Deluxe" ist leicht zu bedienen.

Tatsächlich erreichbar waren am heutigen Dienstagmorgen rund 43 Angebote, darunter auch "Sport 1 HD", "N24 HD", "Arte HD", Musikkanäle wie "Deluxe Music TV" oder "Clubbing TV" und die Shopping-Sender "QVC" und "Sonnenklar TV". Dazu gestellen sich das "Tagesschau"-Angebot, bei dem rund um die Uhr die gleichnamige Nachrichtensendung läuft, und der Offene Kanal "Alex Berlin". An der Bildqualität der Streams der öffentlich-rechtlichen HDTV-Sender und auch der privaten HD-Kanäle gibt es kaum etwas auszusetzen, selbst auf einem großen Fernseher nicht.

Der zeitliche Versatz gegenüber der Ausstrahlung via Satellit lag beim Ausprobieren bei etwas über 30 Sekunden, was nur stört, wenn man das gestreamte und das Live-Angebot parallel schaut. Auch die Tonqualität ging allgemein in Ordnung, lediglich das Programm von "RTL HD" wurde von einem permanenten hochfrequenten Sirren begleitet. Bei den Streams der öffentlich-rechtlichen SD-Programme war das Bild ab und an zunächst verklötzelt, wurde aber mit der Zeit ansehnlicher – ein Hinweis auf adaptives Streaming. Bei einigen Sendern wie "Bikini Teevee" blieb die Qualität aber auch einfach nur mäßig, "Football Anytime" und einige andere werden nur mit einem verzerrten (in die Höhe gestreckten) Bild dargestellt. Der Zugriff gelang in der Regel auf Anhieb, im schlimmsten Fall mussten wir den Kanal ein zweites Mal anwählen oder rund eine halbe Minute warten. Das Umschalten nimmt wenige Sekunden in Anspruch. Gelegentlich stürzte die App ab.

Doch woher stammen die TV-Streams? In der Beschreibung zur App ist dazu wenig zu finden. Dort steht lediglich, dass die private Sendergruppe ProSiebenSat.1 Media "angeordnet" habe, dass "alle [ihre] Kanäle von 'TV Deutsch Deluxe' entfernt werden". Daher fehlen mittlerweile Pro Sieben, Pro Sieben Austria und Kabel Eins Austria. Zudem fordert der Programmautor dazu auf, "neue Kanäle" zu melden. Bedeutet dies im Umkehrschluss, dass die übrigen Kanäle rechtmäßig – oder zumindest mit Duldung der Sender – zugänglich gemacht werden? Daran darf man wohl zweifeln, denn schon die privaten HDTV-Sender der RTL-Gruppe werden (wie die von ProSiebenSat.1) über Astra im sogenannten HD+-Paket (grund)verschlüsselt ausgestrahlt, ein Empfang ist laut Nutzungsbedingungen nur mit zertifizierten Geräten möglich – zu denen das iPad nicht gehört. Die Sender werden folglich auch nicht offiziell frei ins Internet gestreamt.

Eine Genehmigung dürfte der App-Hersteller kaum haben.

RTL bietet selbst auch keine iPad-App an, mit der sich die Programme des Senders live empfangen ließen, sondern nur eine Webanwendung, mit der man Zugang zum Video-on-Demand-Dienst "RTL now" bekommt. Eine offizielle "RTL"-App, die es für das iPhone beziehungsweise den iPod touch gibt, bietet zwar Live-Streaming, allerdings nur im Abo: Eine 360-tägige Nutzung schlägt mit 8,99 Euro (als In-App-Kauf) zu Buche. Mit einem kostenlosen Live-Stream würde RTL folglich sein eigenes Geschäftsmodell sabotieren. Auf Nachfrage von Mac & i teilte RTL mit, dass es sich bei der genannten App um keine offiziellen Angebote der Sendergruppe handele und es auch keine offizielle Genehmigung für die Streams gebe. Gelten dürfte dies auch für die Inhalte von "ESPN America HD" und "Disney XD HD", die man gewöhnlich in Deutschland nicht kostenfrei anschauen kann.

Die App dürfte schlichtweg DVB-Datenströme darstellen, die beispielsweise über einen Rechner mit entsprechender Empfangskarte samt programmierbarem Conditional Access Module (CAM) und gültiger Smartcard empfangen, entschlüsselt und für die Übertragung per Internet transkodiert werden. Unterschiedliche, zusätzlich zu den Sender-Signets eingeblendete Logos weisen darauf hin, dass sich die App aus unterschiedlichen Quellen bedient. Ein Logo, das im Stream eines öffentlich-rechtlichen HDTV-Senders eingeblendet war, stammt nach unseren Recherchen von dem Hersteller eines Hardware-Transcoders, der diesen vermutlich für potenzielle Kunden eingerichtet hatte. Mehrere SD-Streams deutscher Sender gehören zu einem angeblich in den USA residierenden Portal, das seinerseits auch Abos anbietet. Die Aussage, ProSiebenSat.1 habe die Löschung der Kanäle angeordnet, dürfte daher eher bedeuten, dass die Sendergruppe eine solche Quelle trockengelegt hat.

Neu ist das Phämomen nicht – c't hat bereits vor sechs Jahren im Artikel "IPTV-Schattenspiele" (c't 7/06, S. 208) ausführlich über Internet-Fernsehen im rechtlichen Graubereich berichtet. Rechtlich gesehen übt nach § 87 Abs. 1, 20b Abs. 1 UrhG ausschließlich das "Sendeunternehmen" das Recht zur Weiterleitung aus und kann folglich eine Unterlassung verlangen. Dabei ist es auch unerheblich, ob es sich um einen gebühren- oder einen werbefinanzierten Sender handelt.

Jedoch dürfte die vollständige rechtliche Bewertung und vor allem die Rechtsverfolgung bei den Apps schwierig werden: Natürlich darf man die Streams nicht ins Netz leiten, doch wie problematisch ist es, wenn man sie "nur" Nutzern mit einer App zugänglich macht? Und wie legal ist es, eine solche App zu verwenden? Die iPad-Besitzer können schließlich nicht kontrollieren, wohin sie von der App gelenkt werden. Denkbar wäre etwa, dass man unbemerkt eine Seite ansteuert, die von den Strafverfolgungsbehörden überwacht wird.

Dass die betroffenen Sender früher oder später auf Apple zugehen, um den Vertrieb der Apps zu stoppen, ist wahrscheinlich – weil die Anwendungen auf offensichtlich rechtswidrige Quellen zugreifen. Dass Apple solche Programme im App Store zulässt, kann nur auf mangelnde Kenntnis der Rechtslage im iTunes-Redaktionsteam zurückzuführen sein oder darauf, dass sich bislang niemand beschwert hat.

"Aumid FAKHR", der Programmierer von "TV Deutsch Deluxe", hat seine Website über einen sogenannten "Internet WHOIS Privacy Service" registriert, um anonym zu bleiben – aus wohl gutem Grund. Wenn seine App aus dem App Store fliegen sollte, dürfte er bereits gutes Geld mit ihr verdient haben. Da sie derzeit auf Platz 2 der deutschen Charts steht und bereits über 2500 Bewertungen zählt, muss sie sich täglich mehrere tausend Mal verkaufen. Bei einem Stückpreis von 0,79 Euro dürfte also eine erkleckliche Summe zusammengekommen sein.

Im App Store finden sich noch mehr Apps mit dem gleichen Strickmuster. Wenn Apple nur einzelne davon verbannt, um einem Rechtsstreit mit den Sendern auszuweichen, wachsen wie bei Hydra neue nach – bis Apple klarere Regeln für derartige TV-Apps definiert.

Eine legale Möglichkeit, Fernsehprogramme auf dem iPad zu empfangen, stellen Hardware-TV-Tuner dar, die Mac & i in Heft 5 getestet hat.

Mittlerweile hat ein Sprecher der Mediengruppe RTL Deutschland eine offizielle Stellungnahme abgegeben. Darin heißt es zu den TV-Apps, die die Sendesignale der Gruppe "in SD und/oder HD" ohne vorherige Lizenzierung verbreiten: "Wenn wir Apps entdecken, die diese Möglichkeiten einräumen, dann gehen wir dagegen vor – und zwar sowohl gegenüber dem Anbieter der App als auch gegenüber dem Storebetreiber." (nij)