Patent-Pools für Open Source unter schwerem Beschuss
Analysten und Advokaten des freien Quellcodes äußern sich skeptisch über die Bemühungen prominenter Linux-Unterstützer, Rechtsstreitigkeiten über Softwarepatente durch Nichtangriffspakte zu domestizieren.
Analysten und Advokaten des freien Quellcodes äußern sich skeptisch über die Bemühungen prominenter Linux-Unterstützer, Rechtsstreitigkeiten über Softwarepatente durch Nichtangriffspakte zu verringern. Die schärfsten Einwände kommen vom Open-Source-Veteranen Bruce Perens. Auf dem Weltgipfel für die Informationsgesellschaft (WSIS) bezeichnete der für den Dienstleister SourceLabs tätige Freie-Software-Evangelist insbesondere das vor kurzem ins Leben gerufene "Open Invention Network" (OIN) der Branchengrößen IBM, Novell, Philips, Sony und Red Hat zur Abwehr von Klagen rund um Linux-bezogenen Patente als "ineffektiv" und "täuschend". Dahinter stehe allein die Absicht, Gesetzgebern Sand in die Augen zu streuen und sie glauben zu machen, dass die durch Softwarepatente für die gesamte Industrie entstehenden Probleme für die Welt des frei verfügbaren Codes gelöst seien. Perens hielt dagegen: "Open Source mit Patent-Pools verteidigen zu wollen kommt dem Versuch gleich, die Vogelgrippe mit einer Taschentücher-Packung abwehren zu wollen."
In seiner WSIS-Rede, die Perens am Freitag auch in seinem Weblog veröffentlicht hat, umriss der Open-Source-Evangelist die Bedrohungen durch staatlich sanktionierte Monopolansprüche auf Code-Komponenten drastisch: "Die Software-Plutokratie hat versucht, mehr Grenzzäune ums Wissen herum aufzubauen. Sie will Open Source mit Hilfe von Softwarepatenten zerstören." Seiner Ansicht nach könnten die großen Halter der größtenteils nicht mehr für legitime Erfindungen gewährten Patentansprüche längst mit Klagen die Entwickler freier Software gezielt blockieren und Open Source so den Garaus machen. Noch würden sie sich aber zurückhalten, bis sie mehr Länder dazu bewegen könnten, Gesetze zur Einführung von Softwarepatenten zu erlassen. In der EU seien sie zwar zunächst gescheitert, hätten aber bereits neue Offensiven gestartet und die Beruhigungspille mit den Patent-Allmenden verabreicht. Von der Entwicklung profitieren würden aber nur Konzerne, die sich Rechtsstreitigkeiten erlauben könnten, sowie "Patent-Trolle", die außer größtenteils aufgekauften gewerblichen Schutzrechten nichts zu verlieren hätten. Die Open-Source-Entwicklung, von der gerade auch Dritte-Welt-Länder profitieren könnten, sei dagegen massiv gefährdet.
Wirtschaftsexperten äußern derweil Zweifel an den finanziellen Polstern des Open Invention Network. "Wir wissen nicht, wie viele Patente die Firma hält und wie gut sie finanziell ausgestattet ist", gibt Laura DiDio vom US-Beratungshaus Yankee Group zu bedenken. Es brauche nur eine erfolgreiche Klage gegen Linux, um die Spielregeln auf den Kopf zu stellen. Auch die Auguren vom Marktforschungshaus Gartner sehen noch viele offene Fragen. OIN müsse nicht nur seine Unternehmungen verstärken, mehr Patente für den Defensiveinsatz und die freie Lizenzierung für Open Source zu erwerben, sondern auch ein "nachhaltiges, skalierbares und langfristiges finanzielles Geschäftsmodell öffentlich artikulieren". Die Zahl der Unterstützer reiche zudem nicht aus. So vermissen die Analysten etwa IT-Firmen wie Hewlett-Packard, Intel, AMD, Sun Microsystems oder Fujitsu an Bord. Ferner stünde es den Gründungsmitgliedern gut zu Gesicht, wenn sie ihre Praktiken zum vergütungsfreiem Einsatz der verwalteten Patente sowie ihre Haltung zu der gerade mit ähnlichen Zielen gestarteten Datenbank der Open Source Development Labs erläutern würden.
Unruhe haben ferner Berichte im LinuxGram ausgelöst, dass OIN momentan nur mit 40 Millionen US-Dollar für das Wettrüsten im "kalten Krieg" der Softwarepatent-Befürworter ausgestattet sein soll. Geplant gewesen sei eine Startfinanzierung in Höhe von 280 Millionen US-Dollar. Der Geschäftsführer des neuen Netzwerks, Jerry Rosenthal, hatte zunächst erklärt, dass es der Non-Profit-Firma nicht an Geld mangele. Der Linux-Branchendienst berichtet zudem, dass Yahoo und Nokia anfangs mit als Promoter im Gespräch waren, sich aber in letzter Minute zurückgezogen hätten.
Matt Asay, Manager bei der Open-Source-Firma Alfresco und zuvor in einer Führungsposition bei Novell tätig, beklagt daher eine "beschämenswerte Unterfinanzierung" des Abwehrnetzwerks. Die genannten Einsatzbeträge könne man höchstens als "symbolische Geste" bezeichnen. In einem Gastkommentar für c't aktuell hatte zuvor Florian Müller, Gründer der Kampagne NoSoftwarePatents.com, die "Patent-Spenden" als "problematische Placebos" und "billigen PR-Trick" abgetan. Wichtiger sei der Kampf für eine grundlegende Reform des Patentwesens mit dem Ziel des Ausschlusses von Schutzansprüchen auf Software. Die Überlegungen der führenden Patentämter gehen jedoch in die entgegen gesetzte Richtung.
Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online):
(Stefan Krempl) / (jk)