Ende der Tarnung

Krebszellen tricksen das Immunsystem aus und sorgen dafür, dass sie toleriert werden. Impfungen sollen die Immunzellen wieder auf Kurs bringen. Ein überraschender Ansatz dafür stammt vom Tübinger Unternehmen CureVac.

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Von
  • Sascha Karberg
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Krebszellen tricksen das Immunsystem aus und sorgen dafür, dass sie toleriert werden. Impfungen sollen die Immunzellen wieder auf Kurs bringen. Ein überraschender Ansatz dafür stammt vom Tübinger Unternehmen CureVac.

Irgendwo zwischen den Ostseeinseln Bornholm und Rügen, bei Windstärke sieben, scheitert im Mai 1998 die Hoffnung auf eine neuartige Krebstherapie beinahe an grassierender Seekrankheit. Der Biologe Ingmar Hoerr, zu dieser Zeit Doktorand an der Universität Tübingen und frischgebackener Skipper, hat zu einem Ostsee-Symposium der besonderen Art geladen. Mit Unterstützung der Universität und einer Bank gehen Ärzte, Biologen und sogar ein Philosoph zu einem Törn an Bord eines gemieteten Segelschiffs, auf dem nicht nur Halsen und Wenden gefahren, sondern auch über "anwendbare Wissenschaft" diskutiert werden soll. Tagsüber trotzen die süddeutschen Landratten dem schlechten Wetter, abends halten sie seekrank Vorträge über Unternehmensgründung, Biotech-Regularien und Wissenschaftskommunikation.

Diese "Alle-in-einem-Boot-Situation", sagt Hoerr, der heute Geschäftsführer des Biotechfirma CureVac in Tübingen ist, sei ideal gewesen, um zu testen, mit wem man zukünftig so ein riskantes Unternehmen wie eine Biotechfirma starten könne, das nicht selten viele Jahre mit Gegenwind kämpfen muss. Nach seiner Rückkehr an Land stürzte sich Hoerr wieder in die Arbeit. Seine Geschäftsidee, mit der er sich anschließend zusammen mit seinen Laborkollegen Florian von der Mülbe und Steve Pascolo selbstständig machte, könnte die Behandlung von Krebs bedeutend voranbringen: Hoerr will bereits erkrankte Patienten gegen die Krankheit impfen und sie damit langfristig immun gegen einen Rückfall machen – ohne Nebenwirkungen.

Die Idee der Krebsimpfstoffe ist an sich nicht neu, aber nicht unproblematisch und daher nicht unumstritten. Doch den Biologen haben seine Laborergebnisse überzeugt. Dabei dürfte seine Methode nach der gängigen Lehrmeinung gar nicht funktionieren: Denn sein Impfstoff besteht aus RNA, einem chemischen Übersetzer-Molekül, das vom Körper in der Regel schnell abgebaut wird, nachdem es seine Aufgabe, die Übersetzung von DNA in ein Protein, erfüllt hat. Aber der Therapieansatz hat in Tierversuchen und in ersten Studien mit kleinen Patientengruppen vielversprechende Erfolge erzielt. Er könnte langfristig, so die Hoffnung, die Probleme und Nebenwirkungen bisheriger Krebsimpfstoffe aus Proteinen oder DNA beheben helfen.

Hoerr ist mit seiner Überzeugung nicht allein, dass die beste Strategie gegen Krebs darin besteht, die Körperabwehr gegen ihn auf Kurs zu bringen. Schon länger tüfteln Universitätsforscher und Unternehmen an der Krebsimpfung. Ziel ist es dabei, dem von der Krankheit ausgehebelten Abwehrsystem beizubringen, die gut getarnten und sich durch Tricks der Festnahme entziehenden Krebszellen zu enttarnen, damit sich die Abwehrzellen wieder gezielt auf sie stürzen können. Trotz aller noch offenen Fragen sehen auch Analysten großes Potenzial in Krebsimpfungen und rechnen mit einem Milliardengeschäft. Die Demaskierung der bösen Zellen hat sich allerdings bisher bei allen Krebsimpfungsstrategien als vertracktes Problem erwiesen. Zum einen werden dem Immunsystem Proteine auf der Oberfläche der Krebszellen gezeigt, die sozusagen wie Piratenflaggen auf königliche Kriegsschiffe wirken sollen. Doch so einfach wie das Hissen einer Flagge ist das Auslösen einer gezielten Immunreaktion nicht. Das Markierungsprotein muss sich deutlich von allen Proteinen auf normalen Zellen unterscheiden. Doch das ist leichter gesagt als getan, denn auch Krebszellen waren einmal gesunde Zellen.

Die Wahl der Signalflagge ist also entscheidend, damit sich die Immunreaktion nicht gegen normale Zellen richtet. Und selbst wenn das gelingt: Fremde Proteine können Probleme wie allergische Reaktionen auslösen. Eine weitere Komplikation besteht darin, dass die Zielproteine auf den Krebszellen mitunter gar nicht anders beschaffen sind, sondern auf diesen nur viel häufiger vorkommen als auf gesunden Zellen. Die Krebszellen werden dann zwar stärker geschädigt, trotzdem bewegen sich Experten zufolge solche Immuntherapien gegen sie auf einem sehr schmalen Grat.

Ein alternatives Konzept sieht deshalb vor, den Patienten nicht das Flaggenprotein selbst, sondern die dazugehörige DNA zu verabreichen, sozusagen das Flaggen-Schnittmuster. Die DNA wird dann in den Tumorzellen des Patienten zum Protein übersetzt, und dieses mobilisiert anschließend als Fremdkörper die Immunzellen. Um aber die DNA in die Krebszellen einzuschleusen, sind besondere Molekültaxis vonnöten, die nicht unproblematisch sind: Speziell präparierte Viren nehmen die Krebs-DNA huckepack mit in die Zellen – doch entweder bauen die Viren ihre Fracht irgendwo in das Erbgut irgendwelcher Zellen ein, was zu weitreichenden Schäden führen kann, wenn es an kritischen Stellen geschieht; oder sie bauen ihre Genfracht nicht ein, sondern laden sie einfach so ab – dann verpufft die Wirkung aber womöglich als zu schwach.

CureVacs neuer Therapie-Ansatz befindet sich zwar noch in einem frühen Teststadium. Doch wenn sich seine RNA-Impfstoffe als wirksam genug erweisen, ohne wie bisherige Krebsvakzine zum Teil schwere Nebenwirkungen hervorzurufen, könnten sie die Probleme beider Konzepte umgehen helfen. Ursprünglich hatte Hoerr in den 1990er-Jahren versucht, Labormäuse mit DNA zu impfen und die erwartete Immunreaktion gegen ein Krebsprotein auch ausgelöst. Doch dann beobachtete er etwas Unerwartetes: Die viel heftigere Immunreaktion zeigte sich bei denjenigen Mäusen, denen er nicht DNA, sondern deren Schwestermolekül RNA gespritzt hatte.

Als biochemisch instabiles Zwischenprodukt dürfte RNA eigentlich gar keine Immunreaktion auslösen. Hoerr hatte die RNA nur als Kontrollsubstanz verwendet, um unspezifische Reaktionen auf die Impfung ausschließen zu können – er wollte wissen, ob der Körper nicht schon auf Erbgut an sich reagiert, anstatt auf die spezifische DNA-Sequenz.

Hoerr vermutete zunächst, einen Fehler gemacht zu haben. Doch auch nach mehrfacher Wiederholung provozierte immer die RNA die deutlichste Reaktion des Immunsystems. Da ahnte er, dass er eine wichtige Entdeckung gemacht hatte. Sein Doktorvater Hans-Georg Rammensee und der Chemiker Günther Jung, in dessen Labor er die Experimente durchgeführt hatte, waren zunächst ebenfalls skeptisch. Kaum jemand hatte Erfahrungen mit RNA, die noch als etwas Exotisches galt. Doch nachdem auch andere Forscher der Arbeitsgruppe das Experiment mit demselben Ergebnis wiederholt hatten, unterstützen die beiden Professoren Hoerr in seinem Gründungsvorhaben, um seine Entdeckung zur Therapie zu machen.