Europäische Patentschützerin klagt über "Patent-Wettrüsten"

Die neue Präsidentin des Europäischen Patentamtes, Alison Brimelow, hat einen Rüstungswettlauf bei gewerblichen Schutzrechten zu Lasten des Mittelstands kritisiert und Softwarepatente nach US-Muster abgelehnt.

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Die neue Präsidentin des Europäischen Patentamtes (EPA), Alison Brimelow, hat einen Rüstungswettlauf bei gewerblichen Schutzrechten zu Lasten des Mittelstands kritisiert und Softwarepatente nach US-Muster abgelehnt. "Manche der großen Unternehmen sagen auch, dass sie Zweifel haben, ob es immer so weitergehen kann", erläuterte die Britin ihre Bedenken in einem Gespräch mit der Wirtschaftswoche. "Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem wir darüber diskutieren müssen, wie wir aus der problematischen Situation wieder herauskommen."

Konkret beklagt Brimelow insbesondere eine Überflutung der Patentämter und ihrer Behörde mit Anträgen auf gewerbliche Schutzrechte. Das EPA selbst habe mit einem Rückstand von 200.000 unerledigten Prüfungsverfahren zu kämpfen. Jedes Jahr käme momentan die gleiche Zahl an Anträgen dazu – bei weiteren Wachstumsraten. Allerdings sei das nicht allein ein europäisches Phänomen: Beim US-Patentamt betrage der Rückstau schon bald eine Million Verfahren. Einzelnen Antragstellern warf die EPA-Chefin eine bewusste Strategie vor mit dem Ziel, die Münchner Behörde gleichsam in immer neuen Prüfungsaufträgen zu ertränken: "Manche Anmelder sind an den Rückständen nicht ganz unbeteiligt, weil sie davon profitieren." Die entsprechenden Firmen würden sich mit derlei "Verzögerungstaktiken" überaus attraktive Geschäftsmöglichkeiten verschaffen. So könne man mit einem Portfolio von anhängigen, aber noch nicht gewährten Patentanmeldungen etwa "interessante Verhandlungen" mit Wettbewerbern führen, bei denen es um "richtig viel Geld" gehe: "Das ist ein Pokerspiel unter Reichen, aber nicht der Zweck des Patentsystems."

Betroffen von dieser Form des Missbrauch des Patentwesens sieht Brimelow vor allem neue "Technologien, die sich schnell weiterentwickeln". Treiber seien Konzerne mit großen finanziellen Ressourcen. Die EPA-Präsidenten macht sich daher "ernste Sorgen über die Konsequenzen für kleine und mittelgroße Betriebe". Mittelständische Firmen sähen sich bereits aus dem einzigen Grund zu Patentanmeldungen gezwungen, um so trotz knapper Kassen "zum unumgänglichen Gesprächspartner für einige Konkurrenzunternehmen zu werden". Eine Lösung für diese Ausuferung ist für Brimelow, die jüngst vor einem "Global Warming" des Patentsystems warnte, aber nur im Zusammenspiel "mit unseren japanischen und amerikanischen Kollegen" möglich. Konkrete Ansätze zur Drosselung der hohen Nachfrage nach Patenten im internationalen Rahmen brachte die Präsidentin aber noch nicht vor. Auch eine Annäherung zwischen Europa und den USA in der besonders umstrittenen Frage der Patentierbarkeit reiner Computerprogramme und Geschäftsmethoden sieht Brimelow nicht. Trotz der Reformdebatte auch jenseits des Atlantiks würden Softwarepatente dort nicht wirklich infrage gestellt.

Als Herausforderung bezeichnete es die Diplomatentochter auch, die Patentqualität hoch zu halten und den Stand der Technik bei Erfindungen korrekt zu beurteilen. Dabei "haben wir noch nicht einmal damit angefangen, das in China patentierte Wissen in unsere Recherchen miteinzubeziehen". Aus dem Reich der Mitte kämmen jede Menge Patente, der dortige Stand der Technik werde extrem relevant für Europa sein. Auch deshalb müsse das "Tempo wirklich beschleunigt" werden. Dass die Prüfer gleichzeitig bereits vehement unter ihrer Arbeitslast ächzen und Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen beklagen, erwähnte Brimelow nicht.

Die portugiesische EU-Ratspräsidentschaft hat sich derweil erste Gedanken zur Weiterverfolgung der Pläne zur Reform des EU-Patentsystems gemacht. In einem Arbeitsdokument (PDF-Datei) setzt sie sich mit der Mitteilung der EU-Kommission zur "Vertiefung" des Patentwesens und dem Streit um eine internationale Patentgerichtsbarkeit auseinander. Dabei seien nun insbesondere technische und rechtliche Fragen der Installation einer ersten Instanz unter möglichst starker Einbeziehung der bestehenden nationalen Gerichtssysteme zu klären. Auch für die zentrale Zweitinstanz auf EU-Ebene, für Verfahrens- und Kostenregelungen sowie alternative Schlichtungsverfahren müssten konkrete Formen gefunden werden.

Nicht vernachlässigen wollen die Portugiesen ferner die Arbeit an der Großbaustelle eines Gemeinschaftspatentes. Zur Lösung der schwierigen Frage nach der Zahl der Übersetzung von Patentansprüchen zählen sie dabei bislang erst einmal die verschiedenen denkbaren Ansätze ohne große Präferenz auf. Möglich ist demnach die Option, die Anmeldungstexte nur noch in Englisch zu halten, nur im Fall einer juristischen Auseinandersetzung oder Schadensersatzansprüchen eine Übersetzung in die offizielle Sprache des Herkunfts- oder Geschäftsland des Verletzers zu verlangen oder ausschließlich maschinelle Übersetzungen zur Verfügung zu stellen. Letzteres dürfte bei der komplexen Fachthematik allerdings zu wenig brauchbaren Ergebnissen führen.

Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (jk)