Kanzleramtschef: Bundestrojaner dient nicht der Massenbespitzelung

Thomas de Maizière hat sich für heimliche Online-Durchsuchungen ausgesprochen und den technischen Aufwand als Schutz vor millionenfacher Überwachung bezeichnet, während die Opposition weiter Kontra gibt.

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Kanzleramtschef Thomas de Maizière unterstützt die Pläne von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) für heimliche Online-Durchsuchungen. Es gebe Regelungen für die Telefonüberwachung und den Umgang mit dem Postgeheimnis, sagte de Maizière am heutigen Donnerstag im Radiosender MDR Info. Wenn Menschen nun verstärkt über das Internet kommunizierten, müssten die Gesetze angepasst werden, forderte der Christdemokrat und schloss sich damit der Meinung des Ex-Verfassungsrichters Hans Hugo Klein an. Er erwähnte allerdings nicht, dass das Internet längst keinen abhörsicheren Raum mehr darstellt. So gelten die ursprünglichen Regelungen zum Telefonabhören im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung etwa auch entsprechend für das Abhören von E-Mail. Zudem geht die Polizei online auf Streife, wobei aber wie in der physischen Welt keine Rundumkontrolle möglich ist.

Von einer Massenbespitzelung werde auch bei der verdeckten Durchforstung von Festplatten privater Computer und von Speicherplattformen im Netz nicht die Rede sein können, versicherte der Kanzleramtschef. Der Einsatz standardisierter Schadsoftware sei weder geplant noch machbar, wiederholte de Maizière Äußerungen aus der Spitze des Bundeskriminalamts (BKA), das im Rahmen der Novelle des BKA-Gesetzes nach Ansicht auch von Kanzlerin Angela Merkel die Lizenz zu Online-Durchsuchungen erhalten soll. Wenn man 50 bis 100 Mitarbeiter im BKA hätte, die mit hohem technischen Aufwand Spionagesoftware auf Rechner Verdächtiger schleusen und die umstrittenen Aktionen durchführen würden, dann könnten nach Ansicht des Merkelvertrauten "vielleicht 500, 600 Menschen in Deutschland überhaupt überwacht" werden. Allein die Komplexität der Maßnahme böte so einen "gewissen Schutz" vor einer millionenfachen Überwachung der Netzbürger.

Während die CSU eine "große Mehrheit der Bayern" bei ihren Plänen etwa zum Einsatz der Bundeswehr im Innern und Online-Durchsuchungen hinter sich sieht, kommt scharfe Kritik am vorgesehenen Ausbau des Überwachungsnetzes weiter von der Opposition. FDP-Partei- und Fraktionschef Guido Westerwelle knöpfte sich jüngst im Interview mit der Bild am Sonntag Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor. Mit Blick auf den Streit um die jüngsten Überlegungen Schäubles zur Terrorabwehr und zum Umfang mit "Gefährdern" machte er deutlich: "Eine Bundeskanzlerin, die so lange dazu schweigt, bis der Bundespräsident in die Debatte eingreifen muss, macht etwas falsch". Merkel müsse klarstellen, dass die Gedankengänge des Innenministers nicht die Linie der Regierung seien. Schäubles Vorschläge seien unausgegoren, maßlos und verfassungswidrig. Westerwelle wörtlich: "Ein Verfassungsminister, der die Freiheit schützen will, indem er sie preisgibt, hat ein seltsames Amtsverständnis."

Der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele zeigte sich auf Abgeordnetenwatch ebenfalls besorgt über die Äußerungen Schäubles. Der Minister nehme sich offenbar mehr und mehr die Praxis der US-Regierung zum Vorbild, die nach dem 11. September 2001 "rigoros Bürgerrechte wie den Datenschutz über den Haufen geworfen und ein Stück Rechtsstaat geopfert hat". Schäuble pflege anscheinend "zu sehr den falschen Umgang mit dem US-Heimatschutzminister". Die Grünen würden dagegen Online-Durchsuchungen genauso ablehnen wie die verdachtsunabhängige Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten, biometrische Merkmale in Ausweisen und die Verwendung von Mautdaten über das derzeitige gesetzliche Maß hinaus. Schäuble sei den Nachweis schuldig geblieben, dass diese Vorhaben tatsächlich geeignet seien, mehr Sicherheit zu bringen und eine terroristische Gefahr wirksamer zu bekämpfen.

Der SPD-Abgeordnete Michael Hartmann plädierte derweil "grundsätzlich für Online-Dursuchungen". Das Internet sei zu einer zweiten Lebenswelt geworden, in der schlimme Verbrechen – auch und gerade im Bereich des internationalen Terrorismus – vorbereitet würden. Bei der Netzbespitzelung müsse aber sichergestellt werden, dass der Kernbereich der persönlichen Lebensgestaltung unangetastet bleibe. An diesem Punkt haben jüngst etwa die Gesellschaft für Informatik (GI) sowie Wissenschaftler starke Zweifel an der Machbarkeit der Maßnahme vorgebracht. Auch der Bochumer Virenjäger G Data spricht inzwischen von einem "nicht-kalkulierbaren Risiko". Der Erfolg staatlicher Spionagesoftware sei nur gewährleistet, wenn Security-Hersteller diese von der Erkennung ausschlössen. Die fatale Folge wären Sicherheitslücken, die auch Kriminelle zur Einschleusung von Schadcode ausnutzen könnten. G-Data-Vorstand Dirk Hochstrate ist so "nicht klar, wie die Behörden potenziellen Missbrauch ausschließen wollen".

Die umstrittene heimliche Online-Durchsuchung eines Computers stößt bei Datenschützern ebenso wie bei Juristen auf Skepsis. In einer Reihe von Artikeln melden sie grundsätzliche Bedenken an und warnen vor der beabsichtigten Änderung des Grundgesetzes. Siehe dazu:

Zu den Auseinandersetzungen um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)