re:publica: Res gestae stationae

Aus dem kleinen Bloggertreffen ist eine veritable Konferenz über Netzfragen geworden, die dennoch den Bloggern Raum für Begrüßungsrituale lässt. Beste Aussichten, nach dem Umzug das stellenweise arg ausgefranste Programm in seiner Qualität zu überprüfen.

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Von
  • Detlef Borchers

Dort, wo einstmals ankommende wie ausgehende Pakete sortiert und verladen wurden, sortierte sich die re:publica neu. Aus dem kleinen Bloggertreffen von 2007 ist eine veritable Konferenz über Netzfragen geworden, die dennoch den Bloggern Raum genug für ihre Begrüßungsrituale lässt. Beste Aussichten dafür, das nach dem gelungenen Umzug stellenweise arg ausgefranste Programm in seiner Qualität zu überprüfen.

Wachstum, Wachstum, Wachstum - auch bei der re:publica.

(Bild: heise online / Detlef Borchers)

Was im Jahre 2007 in der Kalkscheune als Insidertreffen begann, bei dem sich Blogger über eine eigene Blogger-Ethik verständigen wollten und nach Möglichkeiten suchten, wie das Bloggen monetarisiert werden kann, ist eine kommerziell erfolgreiche Konferenz geworden. Besorgte Fragen wie 2008, ob man denn die kritische Masse erreicht habe, werden längst nicht mehr gestellt. Eher gilt die Sorge den Ausgeschlossenen, den Verlierern im Modernisierungwettbewerb, wenn Sascha Lobo in seinem Vortrag halb ironisch einen Weg forderte, wie man dauerhaft mit 30 Millionen Internet-Nichtnutzern umzugehen habe. Hier traf sich der Rotschopf mit der EU-Kommissarin Neelie Kroes, die aus Italien anreiste und berichtete, dass 41 Prozent der Italiener noch ohne Interneterfahrung sind.

Bei allem Neubeginn als Großveranstaltung in der sehr geräumigen Station Berlin pflegte die re:publica ihre Kontinuitäten wie die Lobo-Show, die Darstellung der Rechtslage durch den bloggenden Anwalt Udo Vetter oder den Standardkommentaren von Kathrin Passig. Auch die Journalisten als immer sehr beliebter Gegenflausch der Blogger kamen nicht zu kurz. Vom Medienrecht durch Heise-Justiziar Jörg Heidrich bis zur Medienethik durch den US-Juristen Eben Moglen gab es denkenswerte Einwürfe und Warnungen, auch wenn Moglens "Do not harm" als erstes Gesetz der Media Robotics zum Widerspruch reizte.

Auf dem "Affenfelsen" war gut ausruhen zwischen den einzelnen Sessions.

(Bild: heise online / Detlef Borchers)

Moglen, der zuletzt in Berlin im Jahre 2004 auf der Wizards of Oz auftrat, freute sich über die groß gewordene Konferenz, die er zunächst mit der 2006 eingegangenen Show des freien Wissens verwechselte. Mit 8 Vortragsplätzen, bespielt von 270 Rednern ließ die re:publica dennoch den allseits vernetzten Teilnehmern genug Raum, etwa auf netten Affenfelsen, wo das betrieben werden konnte, was auf anderen Konferenzen Networking genannt wird. Mit ihrer Art, die Station Berlin zu bespielen, dürfte der Kontrast (und die Konkurrenz) dann sichtbar werden, wenn in der nächsten Woche die Next 2012 an gleicher Stelle all die Startup-Stars und Investoren-Schleckermäuler versammelt.

Dreht die Welt sich um das Netz, das Netz um die Welt? Oder gar die Netzwelt doch nur um sich selbst? Zum Abschluss feierten Veranstalter und Vortragende eine erfolgreiche Veranstaltung.

(Bild: heise online / Detlef Borchers)

Auch die re:publica hatte Startups zu bieten. Bemerkenswert die Geschichte von Torial, einem neuen Angebot für freie Journalisten: Hier war es ein Investor mit einer Idee, der ein zu ihr passendes Startup-Team suchte. Aus den Millionen, die der Verkauf der Süddeutschen Zeitung brachte, finanziert Konrad Schwingenstein den Versuch, eine Biosphäre für Journalisten anzubieten, die sich thematisch vernetzen können. Dazu passend stellte die Heinrich-Böll-Stiftung auf der re:publica ihre neueste, frei als PDF-verfügbare Schrift über Öffentlichkeit im Wandel vor. Der klassische Journalismus mag aussterben, doch das Gerede über seinen Tod ist nach wie vor ein einträchtiges Geschäft.

Der künftigen re:publica ist sicher ein besseres WLAN zu wünschen, obwohl die Klagen über den temporären Ausfall des Netzes eine rührende anachronistische Hilflosigkeit der "Digital Natives" offenbarten. Wer so mit dem Internet verbandelt ist, muss eigentlich über Fallback-Kanäle verfügen. Noch dringender ist aber die Arbeit an der Qualität des Vortragsprogrammes, wenn die Konferenz mehr als ein großes Klassentreffen sein soll, zu dem man abzulesende Seminararbeiten über Urszenen und Ragefaces mitbringt. Auch der Versuch, ein ganzes Vorlesungs-Semester über Datenschutz und Privatsphäre in einem Vortrag unterzubringen, scheiterte. Womöglich müssen doch wieder die Blogger mit ihren Lesungen ran – sofern sie sich wieder auf das Bloggen besinnen, wie von Sascha Lobo betont: "Nur ein Blog gehört wirklich dir. Alles andere ist nur geborgt." (jk)