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Was war. Was wird.

Angewidert wendet sich Hal Faber von der Blase 2.0 ab, huldigt Donna Summer, wälzt bewährte Utopien und lenkt sich mit Fesselspielen ab. Unterwegs gräbt er Papiere aus, für deren Untertitel drei Tweets nicht genügen würden.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist passiert. Die Facebook-Aktie hat viele zu Millionären gemacht, ein paar zu Milliardären. U2-Sänger Bono soll mit seinen Facebook-Aktien mehr Geld verdient haben als in seiner gesamten bisherigen Karriere als Musiker. Die Blase 2.0 ist da, auch wenn der Start schwach war. Vergessen wir Google, das zum Start mit schlappen 23 Milliarden Dollar bewertet wurde und im Vergleich zu Facebook den zehnfachen Gewinn eingefahren hat. Die Milliarden-Maschine wird alles einstampfen, sind sich die Investoren sicher, deren Pürzel zittern. Taler, viele, viele Taler sind da, und wenn es beim Geschäftsmodell klemmt, kann man immer noch ein Firmlein wie Rim kaufen und die Smartphone-Branche aufmischen. Auf den kleinen Schirmen soll es nicht so gut aussehen für Facebook.

*** Auch das ist passiert: Nach einer deftigen Niederlage hat Merkels Zögling Norbert Röttgen von seiner Erzieherin den Laufpass bekommen und ein weiterer Zögling rutscht twitternd nach als Netz- und weniger als Umweltminister. "Wo steht eigentlich geschrieben, dass mit diesen Netzen nur die Stromnetze gemeint sind? :-)" Der Fortschritt ist unverkennbar, jedenfalls für die, die sich noch an die Datenautobahnen der Regierung Kohl erinnern. Wir schrieben das Jahr 1994, als Microsoft-Chef Christian Wedell dem Kanzler die Frage stellte, wie es denn um den Ausbau der Datenautobahnen bestellt ist. Die "Information Highways" eines Al Gore und Bill Gates Gedanken über die Information "Road Ahead" lassen grüßen, als der Große Vorsitzende in seiner umfassenden Antwort erstmals die Frage der Netzneutralität formulierte:

"Ja, da sind wir ja mitten in der Diskussion, das weiß hier ja kaum einer besser als Sie, und Sie wissen auch wie heftig umstritten das ist. Die Zukunft läuft in diese Richtung, aber wir brauchen dafür Mehrheiten und wir sind ein föderal gegliedertes Land und Autobahnen sind elementar, auch mit Recht, in der Oberhoheit der Länder. Der Zustand, den wir jetzt auf den Autobahnen haben, ist dergestalt, dass wir wissen, wann wir überhaupt nur noch von Go and Stop auf Autobahnen reden können."

*** Reden wir mal wieder vom Go und vom Stopp, von vorfahrtsberechtigten Datenpäckchen und den Umleitungen, von der Netzneutralität und den Versuchen gewisser Staaten, im Vorfeld der ITU-Konferenz in Dubai zentrale Funktionen des Internets auszuhebeln. Davon war bereits in dieser Wochenschau im Februar die Rede. Mit ordentlicher Verspätung haben dieses Thema nun auch die Bürgerrechtler der EFF und von EDRI für sich entdeckt und ein Ende der Geheimverhandlungen gefordert. Von ACTA lernen heißt aufwachen lernen. Das gilt auch für die USA, wo Juristen vor dem verfassungswidrigen Procedere warnen.

*** Diese kleine Wochenschau geht an einem schönen Sonntag online, der zumindest im deutschsprachigen Raum als internationaler Museumstag gefeiert wird, mit freiem Eintritt in die Museen, in Erinnerung an eine längst vergangene Kostenloskultur menschlicher Bildung. Da passt es schon, wenn museale Konzepte wie das Manifest für eine Sozialisierung der Automatisierungsdividende Auferstehung feiern. Was da vom großen CCC-Vordenker aus dem Buch Race against the Machine zusammengefasst wurde, steht in großer deutscher sozialdemokratischer Tradition und erinnert an die Maschinensteuer des SPD-Arbeitsministers Herbert Ehrenberg. Aber es geht noch weiter: 1982 erschien ein Pamphlet namens "Mut zur Vollbeschäftigung", geschrieben vom damaligen Finanzminister der Regierung Schmidt, Hans Matthöfer. Der damals nur als "Ölpapier" verstandene Text hatte den schaurig-schönen Untertitel:

"Diskussionsvorschläge nicht für ein kurzfristig wirksames Konjunkturprogramm, sondern für eine mittel- und langfristig wirksame Maßnahmen zur Schaffung einer ausreichenden Zahl neuer Arbeitsplätze in den achtziger Jahren durch Investitionsförderung zur Umstrukturierung der Wirtschaft, Energieeinsparung, Erhöhung des Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit und besseren Umweltschutz sowie Vorschläge zur konjunkturgerechten Finanzierung dieser Maßnahmen."

Kern der Überlegung von Matthöfer war ein komplett neues Steuersystem, bei dem der Verbrauch von Ressourcen besteuert wurde, nicht die Arbeit oder der Einsatz von Arbeitsmaschinen. Außerdem sollten massive Investitionen in erneuerbare Energien "einen heilsamen Anstoß zur Suche nach ökologiebewussteren und gleichzeitig menschlicheren Lebensformen" geben. Sein Vorschlag wurde als Ölpapier verlacht und niedergemacht. Sowohl die Gewerkschaften als auch die SPD hatten für das Konzept wenig übrig – und durften prompt erleben, wie die Grünen zur etablierten Partei aufstiegen. Ein Prozess, der jetzt den Piraten bevorsteht, die von einem ehemaligen Verfassungsrichter begrüßt werden.

*** Im Jahr, als Matthöfers Ölpapier lächerlich gemacht wurde, sang sie ihr Putzfrauenlied She works hard for the money. Davor war sie mit Love to love you Baby die Disco-Queen der Deutschen, nicht zu vergessen eine Zeit in zukünftiger Vergangenheit, als der Wassermann die Erde regiert. Nun ist Donna Summer gestorben und "Harmonie und Recht und Klarheit" sind Schnee von gestern. Wer die Ereignisse um den Blockupy-Protest in Frankfurt am Main verfolgt hat, die Festnahmen spanischer Empörter und live die Nachrichten vom NATO-Gipfel verfolgt, muss den Eindruck gewinnen, dass das friedliche Zeitalter zu Ende geht und das Demonstrationsrecht weltweit zurückgebaut wird. So etwas wie der weltweite Protest von Occupy soll sich nicht noch einmal ungestört ausbreiten können. Frühzeitiges Fesseln ist angeraten.

*** Dürfen eigentlich Werkstudenten elektronische Fußfesseln anlegen? Über diese Frage streiten sich die etablierten politischen Parteien in Hessen, wo die GÜL, die Fußfessel-Überwachungszentrale für ganz Deutschland installiert wurde. Seitdem bekannt wurde, dass die Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung (HZD) auch Studis zu zur Überprüfung der Fesseln einsetzt, sind lustige Meldungen im Umlauf. So erklärten die hessischen Grünen, dass zu einem Fuß immer auch ein Mensch gehört, dessen Freiheit beschnitten wird. Bei der FDP hält man das Anlegen der Fessel nicht für eine primär hoheitliche Aufgabe. Die in deutschen Landen eingesetzten Fußfesseln der Firma 3M Electronic Monitoring (vormals Elmotech) zu installieren, ist so einfach wie eine Armbanduhr anlegen. Weitaus wichtiger ist die softwareseitige Installation im Hintergrund, die Anmeldung des Senders beim Überwachungssystem und die Erstellung des wöchentlichen Bewegungsplanes in Absprache mit dem Bewährungshelfer. Wenn der Bericht der Hünfelder Zeitung jedoch stimmt, dann werden auch bei der Programmierung und Überwachung in der Zentrale studentische Hilfskräfte eingesetzt. Angewandte Informatik nennt man das wohl.

Was wird

Im Jahre 1962 versuchten sich renommierte Wissenschaftler im Rahmen der 50. Geburtstagsfeier des IRE an einer Prognose für das Jahr 2012 – die Jahresanfangsedition der kleinen Wochenschau berichtete darüber. Aus der IRE erwuchs nur ein Jahr später die IEEE, bis heute die größte Technikerorganisation der Welt. Was den Beteiligten vor 50 Jahren mit Blick auf Heute ganz gut gelang (sieht man von den Weltraumprognosen ab), wird nun in Dresden wiederholt, wo die IEEE am Mittwoch ihre Technology Time Machine anwirft. Die Super-Trends nach 2020 werden diskutiert, die künstliche kollektive Intelligenz der Maschinen abgetastet, die Elektronik jenseits von CMOS erörtert. Besonders kühne Wissenschaftler wagen sich im Panel "Smart Transportation" an eine erste Prognose, wann der Willy-Brandt-Flughafen wirklich eröffnet wird. Auch die Frage der Ressourcenschonung steht auf der Tagesordnung. Viel Zeit bleibt ohnehin nicht, wenn der Club of Rome Recht hat, wie er mit seinen Prognosen vor 40 Jahren Recht behielt: 2052 gehen die Lichter aus. Aber hey, wir haben unseren Spaß gehabt. Sogar ohne Facebook.

Erst hatte er Spaß, dann wurde es Ernst und mittlerweile ist eine veritable Farce daraus geworden: Stimmen die Angaben des britischen Supreme Court, so wird am Mittwoch geurteilt, wie der Einspruch von Julian Assange gegen den Europäischen Haftbefehl von Schweden bewertet wird. Derweil melden die Agenturen, dass der Australier nach Umfragen gute Chancen auf einen Senatssitz habe, vor allem wegen der Unterstützung durch "linksgerichtete Grüne". Was er dort soll und ob er in die durch und durch "korrupte Politikwelt" (Assange) will, das nenne ich eine gute Sonntagsfrage. (ps)