Litfaßsäule für unterwegs

Smartphones werden immer leistungsfähiger und eignen sich inzwischen ideal als Reklamefläche. Experten sagen dem "Mobile Advertising" ein rasantes Wachstum voraus.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 9 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Christian Buck

Smartphones werden immer leistungsfähiger und eignen sich inzwischen ideal als Reklamefläche. Experten sagen dem "Mobile Advertising" ein rasantes Wachstum voraus.

Die Litfaßsäule der Zukunft wiegt nur hundert und ein paar Gramm, passt in jede Jackentasche und ist immer direkt am Konsumenten: Smartphones und Tablet-Computer haben sich zu einem ernst zu nehmenden Werbekanal entwickelt. Nachdem der Durchbruch für die Werbung auf Mobilgeräten jahrelang nur beschworen wurde und dann doch nicht kam, sprechen inzwischen auch die Fakten dafür: In Deutschland gibt es mittlerweile mehr als zwölf Millionen Menschen, die privat ein Smartphone nutzen. Davon gehen 43 Prozent nach einer Erhebung des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) täglich damit ins Internet. Besonders erfreulich für die Werbetreibenden: Laut BVDW steigt das Interesse am mobilen Surfen mit dem Nettoeinkommen – mobile Werbung verführt also eine besonders attraktive Klientel zum Konsum.

Das ist ein wahrer Segen für die Werbebranche: Endlich gibt es genug Augen, denen sie nahezu jederzeit und überall ihre Werbebotschaften vorsetzen kann – und zwar hübsch multimedial verpackt, dank moderner Geräte mit hochauflösenden Farbdisplays. Bis vor wenigen Jahren mussten sich die Werbetreibenden noch mit schmucklosen Kurznachrichten begnügen, um ihre Zielgruppen zu erreichen. Bei der SMS-Kommunikation schicken die Vermarkter kurze Texte an die Handys der meist jugendlichen Empfänger und fordern sie etwa auf, eine kostenpflichtige Telefonnummer anzurufen. Als Köder dienen oft angebliche Bekannte, die dem Handy-Besitzer unbedingt etwas mitteilen wollen. Dabei werden die Telefonnummern der Empfänger entweder per Computer nach dem Zufallsverfahren erzeugt oder bei Veranstaltungen im Rahmen von Gewinnspielen eingesammelt. Zwar gibt es auch seriöse Versender von SMS-Werbung – wegen der vielen schwarzen Schafe haben sie aber einen ziemlich schlechten Ruf.

Doch seit dem Siegeszug des iPhone ab 2008 hat sich die Situation grundlegend verändert: Mit den Smartphones – im Prinzip tragbare Computer mit kleinen Farbmonitoren – stehen der Werbeindustrie nun alle Möglichkeiten offen, die sie schon seit Jahren erfolgreich im stationären Internet nutzen. Wer heute mit seinem Handy-Browser Nachrichten liest, trifft immer öfter auf einen alten Bekannten: Bannerwerbung. Ein Tipp mit dem Finger öffnet eine weitere Seite mit Informationen über ein neues Auto oder eine Zeitschrift, die der Kunde auf der Stelle abonnieren kann. Auch wer Apps nutzt – kleine Programme für das Smartphone –, begegnet den virtuellen Plakaten: "Die Einnahmen aus der Bannerwerbung sind für die App-Entwickler eine wichtige Finanzierungsquelle", weiß Heike Scholz, die Unternehmen im Bereich Mobile Business berät und die Website "Mobile Zeitgeist" betreibt.

Beim mobilen Marketing geht es vor allem darum, das kleine Display möglichst effektiv zu nutzen. Darum entwickeln Werbe-Profis immer neue Ideen, wie sich möglichst viel Action auf ein paar Quadratzentimetern unterbringen lässt. Bei der "Mystery Ad" zum Beispiel, die das Berliner Unternehmen YOC (siehe TR 7/2011) für den Film "Thor" entwickelt hat, erscheint beim Tippen auf ein Werbebanner ein Hammer auf dem Touchscreen, und mit jeder weiteren Berührung "zerschlägt" er den Bildschirm Stück für Stück – bis auf dem Monitor ein elektronisches Filmplakat zum Vorschein kommt, inklusive eines Links zum Download des Trailers. Bei einer "Expandable Ad" legt sich nach einem Fingertipp eine neue Ebene über die mobile Website und präsentiert beispielsweise ein neues Auto. Wer genug gesehen hat, bringt die Anzeige über den "Schließen"-Button wieder zum Verschwinden.

Eine Besonderheit der mobilen Werbung sind Anzeigen, die den aktuellen Aufenthaltsort des Handy-Besitzers berücksichtigen (siehe TR 3/2011). Er lässt sich über den eingebauten GPS-Empfänger oder die Funkzelle des Mobilfunkbetreibers feststellen. Wer sich etwa in der Nähe eines Autohändlers befindet, so das Kalkül der Vermarkter, könnte ja Interesse an einer Probefahrt mit dem neuen Sportwagenmodell haben. Oder das Kino um die Ecke lockt Filmfans mit einem elektronischen Coupon, der aufs Mobiltelefon geschickt wird. Diese Form von Marketing kommt offensichtlich an: "Personalisierte mobile Werbung, beispielsweise ortsbezogene Ads oder auf die Interessen potenzieller Konsumenten ausgerichtete Produktempfehlungen, wird von den Nutzern positiv bewertet", berichtet Werner Ballhaus, Leiter des Bereichs Technologie, Medien und Telekommunikation beim Beratungsunternehmen PwC. Knapp 46 Prozent von 1000 befragten Nutzern finden solche ortsbezogenen Dienste nützlich, ergab eine Umfrage des Unternehmens.

Stehen wir also am Beginn eines neuen Werbezeitalters, in dem unsere Handys die zentrale Rolle spielen werden? Manches spricht dafür – auch wenn sich der Markt noch auf vergleichsweise niedrigem Niveau bewegt: Der BVDW rechnet für 2011 mit Ausgaben von 40 Millionen Euro für mobile Werbung, nach 20 Millionen im Jahr zuvor. Der gesamte Online-Werbemarkt allerdings wird 2011 in Deutschland möglicherweise erstmals die Marke von sechs Milliarden Euro überschreiten. "Natürlich sind die 40 Millionen noch eine geradezu homöopathische Dosis", räumt Heike Scholz daher ein. "Aber die Wachstumsraten für Mobile Advertising sind immens." Das beobachtet auch Oliver von Wersch, Leiter der Abteilung Mobile Advertising im BVDW und Geschäftsführer des Hamburger Medienvermarkters G+J EMS: "Ein vollwertiger Markt ist zwar schon 2008 mit dem ersten iPhone entstanden – aber das Interesse an mobiler Werbung ist erst letztes Jahr explosionsartig gestiegen: Seit Herbst 2010 ist Mobile Advertising ein fester Bestandteil im Budget unserer Kunden."

Von Wersch geht davon aus, dass der Umsatz mit mobiler Werbung künftig deutlich stärker wachsen wird als mit Printanzeigen, Fernsehspots und Werbung im stationären Internet. Die Experten von PwC sind sogar überzeugt, dass die Einnahmen aus Werbung auf Mobilgeräten in Deutschland 2015 knapp 250 Millionen Euro erreichen und sich damit im Vergleich zu heute vervielfachen werden – für die Erlöse im stationären Internet gehen sie hingegen im gleichen Zeitraum von einem nur moderaten Wachstum von 45 Prozent aus. "Mobile Online-Werbung ist keine kurzlebige Mode, sondern etabliert sich dank der neuen Möglichkeiten der Endgeräte als wichtige Säule der Internet-Werbeindustrie", so PwC-Experte Ballhaus.

Dazu tragen mehrere Faktoren bei: Die Smartphones werden immer leistungsfähiger, Flatrates machen den mobilen Internetzugang für breite Schichten erschwinglich, und schnelle Übertragungstechnologien wie High Speed Packet Access (HSPA) und LTE (Long Term Evolution) lassen heute sogar manche DSL-Anschlüsse alt aussehen. Zudem fühlen sich Besitzer der intelligenten Mobiltelefone offenbar nicht von den Anzeigen auf ihren Handy-Displays gestört, lässt zumindest die PwC-Umfrage vermuten. Immerhin können sie selbst mit ihren Fingern darüber abstimmen, ob sie die Werbung hinter dem Banner sehen wollen oder nicht. Bei SMS-Anzeigen wie in den Anfängen des Mobile Marketings ist das hingegen nicht möglich: Wer das verheißungsvolle Piepen seines Handys hört und voller Vorfreude zum Mobiltelefon greift, ist womöglich bitter enttäuscht, wenn sich statt der erwarteten Botschaft von der neuen Eroberung nur ein Werbespruch auf dem Bildschirm zeigt. (bsc)