22C3: Abschied der Hacker vom Robin-Hood-Heroismus

Mit einem Appell zum Kampf für die Demokratie, dem Verweis auf kleine digitale Kollateralschäden und reichlich ungenutzte Bandbreite endete das diesjährige Hackertreffen des Chaos Computer Clubs.

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Mit einem dramatischen Appell zum Kampf für die demokratischen Freiheitsrechte, dem Verweis auf kleine digitale Kollateralschäden und reichlich ungenutzte Bandbreite endete am Freitagabend das diesjährige Hackertreffen des Chaos Computer Clubs (CCC) in Berlin. Großen Beifall erhielten die Organisatoren für die Verlängerung des 22. Chaos Communication Congress (22C3) um einen vierten Tag, auch wenn so mancher Teilnehmer im Hackcenter gestern nur noch mit Mühe und Not die Augen offen halten konnte. Den Besucherrekord vom Vorjahr mit 3500 Besuchern konnte das traditionelle Stelldichein der Sicherheitsberater trotz der zeitlichen Ausdehnung jedoch nicht brechen: es kamen rund 500 Teilnehmer weniger.

Es gelte vor allem, den Fokus der Veranstaltung über Europa hinaus zu erweitern, gab Tim Pritlove vom Veranstalterteam als Losung aus. Tatsächlich waren dieses Jahr nur wenige Dutzend Hacker aus nicht-deutschsprachigen Ländern gekommen. Dabei hält der CCC die Referenten seit mehreren Jahren an, Vorträge möglichst in Englisch zu halten. Insgesamt wirkte der Kongress in der Durchführung deutlich professioneller als die Jahre zuvor. Manche alten Hasen vermissten gar den "Charme" der bislang oft sehr chaotischen Konferenz. Das Tagungsprogramm stand dieses Mal schon lange vor Konferenzstart fest , nur drei Vorträge liefen anders als geplant – und es gab von Anfang an Internet. Selbst das WLAN lief über größere Zeiträume hinweg, was Pritlove als "echtes Wunder" angesichts der Hackfreude der Kongressbesucher bezeichnete.

Mit möglich machte es das großzügige Hardware-Sponsoring durch bekannte Computer- und Netzwerkgrößen. Insgesamt verfügte das Kongressnetz über eine Anbindung mit mehr als 10 GBit/s. "Ganz Afrika hat nicht soviel", erklärte Pritlove mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Die dicken Leitungen selbst stellten fünf Carrier zur Verfügung, von denen einer die Hacker auch mit Energy-Drinks versorgte. Trotz permanenter Aufrufe der Kongressleitung, "mehr Bandbreite zu benutzen", schöpften die Datenreisenden das Netzpotenzial aber bei weitem nicht aus. Sie verbrauchten bei der ausgehenden Verbindung durchschnittlich "nur" 822 MBit/s, während der Traffic ins Kongressnetz hinein bei 241 MBit/s vor sich hin dümpelte. Angaben über das Datenaufkommen im Intranet der Veranstaltung machte Pritlove nicht.

Keinen einzigen Hack zu verzeichnen hatte das Phone Operation Center, in das sich mehrere hundert Nutzer mit DECT-Telefonen für kostenlose Kommunikationsfreuden einloggten. Dank einem Abkommen mit einem VoIP-Anbieter funktionierten Nah- und Ferngespräche dieses Jahr sogar zum Teil auch ins reguläre Telefonnetz. Pritlove zeigte sich trotzdem spaßeshalber enttäuscht, dass die digitale DECT-Technik den Hackern angesichts der ausgebliebenen Angriffe anscheinend nicht interessant genug erscheine.

Aber auch die sonst üblichen "Vorkommnisse" im Bereich der Test von Sicherheitsfunktionen bei Webservern hielten sich 2005 in engen Grenzen. Mit kurzfristigen "Verschönerungen" ihrer Seiten mit Kongress-Logos hatten angeblich nur der Betreiber der Domain Polizeiautos.de sowie der Admin des Servers eines Kfz-Zulieferers zu kämpfen. Anscheinend ging die Strategie der Veranstalter auf, Massen-Cracks wie im Vorjahr durch die Einrichtung einer Hotline für Hackerethik zu begegnen. Vielleicht half aber auch die in der Regel beachtete Bitte der Organisatoren, im Kongressgebäude nicht zu rauchen, die Köpfe klarer zu halten.

Bevor Zeremonienmeister Pritlove zur Statistik kam, hatte mit Rob Gonggrijp noch einmal einer der Referenten des meistbeachteten Vortrags das Wort ergriffen. Gemeinsam mit dem CCC-Veteranen Frank Rieger hatte der niederländische Bürgerrechtler am ersten Kongressabend "den Krieg" der Hackerszene für eine grundrechtskonforme Technikgestaltung "verloren" gegeben. Er habe daraufhin mehr Feedback bekommen als je zuvor, erklärte Gonggrijp im Nachgang. "Wir haben seit 20 Jahren gesagt, dass es kaum mehr möglich sein wird, das Ruder wieder herumzuwerfen, wenn wir dem Staat erst einmal alle Macht geben", verteidigte der Aktivist seine Wortwahl. Einzelne Diktaturen habe es zwar immer gegeben, "aber wir begeben uns in einen Zustand ohne historische Parallelen."

Es werde weitere Kriege geben, betonte Gonggrijp im Blick auf die Zukunft. Dabei sei es wichtig, dass die Bürger nicht mehr weiter das Gefühl hätten, dass die Hacker schon den totalen Überwachungsstaat verhindern oder ihm doch zumindest immer wieder ein Schnippchen schlagen könnten. Diese Art von "Robin-Hood-Heroismus" sei letztlich schädlich. Er halte die Menschen davon ab, selbst Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen. Es sei die harte Aufgabe aller, "an der Demokratie festzuhalten, als ob es kein Morgen gäbe", schloss der Niederländer unter dem tosendem Applaus der versammelten Hackergemeinde voller Pathos.

Zum 22. Chaos Communication Congress (22C3) und zur Veranstaltung 21C3 im vergangenen Jahr:

(Stefan Krempl) / (pmz)