Medienforscher: Suchmaschinen sind keine Gatekeeper

Der Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger sieht Suchmaschinen nicht als Pförtner am Eingang zum vernetzten Weltwissen und hinterfragt ihre Bedeutung für die Meinungsbildung und daraus folgende Regulierungsauflagen.

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Der Kommunikationswissenschaftler Professor Christoph Neuberger sieht Suchmaschinen nicht als Pförtner am Eingang zum vernetzten Weltwissen. "Es gibt zahlreiche alternative Zugangswege", erklärte der Münsteraner Professor am gestrigen Donnerstag auf einer Tagung der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) zur Verantwortlichkeit und Haftung von Suchmaschinenanbietern. Der Forscher spricht daher lieber von "Gatewatchern" als "Gatekeepern".

Die Zahl der verfügbaren Informationen wachse enorm an, allerdings bei zunehmend fragwürdiger Qualität, meint Neuberger. Der Nutzer könne etwa bei Weblogs keine redaktionelle Prüfung der Inhalte erwarten. Hier unterstützten Suchmaschinen den Nutzer bei der Selektion. Es gebe darüber hinaus eine Vielzahl anderer Suchhilfen wie externe Linkverzeichnisse, Social Bookmarks, Push-Angebote wie RSS-Feeds oder Hinweise auf Internetadressen in anderen Medien. Suchmaschinen könnten große Datenmengen rasch verarbeiten, seien aber weniger für die Qualitätsprüfung geeignet.

Den publizistischen Einfluss von Suchmaschinen hält Neuberger für gering. Laut der jüngsten ARD/ZDF-Online-Studie würden 75 Prozent der Datenreisenden zwar mindestens einmal wöchentlich eine Suchmaschine nutzen. 82 Prozent gäben aber an, immer wieder die gleichen Webseiten zu besuchen. Der Nutzer erhalte beim Suchen nicht eine exakt passende Antwort auf eine Frage, sondern müsse sich das "richtige" Ergebnis herausschälen. Dabei würde die Suche oft erfolglos abgebrochen oder eine Anfrage umformuliert. Neuberger meint deshalb, allein die Menge der Suchanfragen sei nicht für die Ermittelung des Marktanteils einer Suchmaschine geeignet. Diese könne auch ein Hinweis auf nicht zufrieden stellende Trefferlisten sein.

Neuberger hat sich mit einer Umfrage bei Nachrichtenredaktionen auch der möglichen "Googleisierung des Journalismus" gewidmet. An der Untersuchung beteiligten sich 94 Redaktionsleiter. Gedruckte Nachschlagewerke wie Telefonverzeichnisse werden demnach weniger genutzt, auch seien Gespräche mit Experten und mit Journalisten außerhalb der Redaktionen jeweils um ein Drittel gesunken. Gleichzeitig schätzt die große Mehrheit der Befragten die Auswirkungen auf die journalistische Qualität als "positiv oder sehr positiv" ein, da ausländische Quellen leichter zugänglich seien und Gruppen, die sonst weniger im Rampenlicht stehen, eher kontaktiert werden könnten. Agenturmeldungen ließen sich mit Hilfe von Suchmaschinen leichter überprüfen.

Neuberger meint nicht wie andere Medienforscher und Medienpolitiker, dass die Machtkonzentration im Suchmaschinenmarkt weit fortgeschritten sei und die Suchmaschinen daher ähnlich streng wie das Presse oder Rundfunk reguliert weren müssten. Er warnte vielmehr, die "Illusion technischer Perfektion und Neutralität von Suchmaschinen" behindere "eine öffentliche Diskussion über die (Il-)Legitimität des (Nicht-)Zugänglichmachens von Seiten". Kritisch betrachtete der Professor aber die Expansion von Suchmaschinen in neue "Suchräume" wie den Desktops, Bücher, Videos oder die "Realwelt" so wie ihre wachsende Bedeutung als Werbeträger und Plattformen für öffentliche und private Nutzerkommunikation etwa mit Google Mail oder Blogger.com. Es sei fraglich, ob die Querfinanzierung des klassischen Journalismus durch Werbung angesichts des Vorstoßes der Suchmaschinenanbieter in diesen Markt weiter möglich sei.

Thomas Dominikowski, Leiter der Abteilung "Suche" bei Lycos Europe, bekundete, dass die Netznavigatoren "weit davon entfernt sind, missbräuchlich mit der ihnen zugestandenen Meinungsmacht umzugehen". In seinem Ausblick auf Szenarien zur Suche im Internet betonte er, dass künftig semantische Kontexte sowie Urheber- und Nutzungsrechte stärker "erkannt und respektiert werden", sofern diese über Meta-Informationen mit den Inhalten verknüpft werden können. Es sei auch möglich, kulturelle Werte und Normensysteme stärker einfließen zu lassen. Dazu müssten aber vorher entsprechende Regeln und Konventionen etabliert werden. Nötig seien ferner klare rechtliche Rahmenbedingungen und Haftungsprivilegien sowie ein "wettbewerbsstarkes Marktumfeld". (Stefan Krempl) / (anw)