EU-Kommission wagt "letzten Anlauf" beim Gemeinschaftspatent

Softwarepatentgegner befürchten angesichts der neuen Richtliniensondierung eine weitere Kodifizierung der Vergabepraxis des Europäischen Patentamtes, die ihrer Ansicht nach im Computerbereich deutlich zu weit geht.

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EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy hat am heutigen Montag einen "letzten Anlauf" beim umstrittenen EU-Gemeinschaftspatent gestartet. Der Ire erhofft sich von dem Vorstoß einen besseren Schutz des geistigen Eigentums in Europa, eine damit einhergehende Stärkung der Wirtschaftskraft und ein Aufholen gegenüber den USA. Um mit der bereits im Jahr 2000 gestarteten Initiative weiterzukommen, will McCreevy bis Ende März eine Konsultierungsrunde mit der Wirtschaft und Interessensverbänden durchführen. Sie soll helfen, eine Richtlinie zum Gemeinschaftspatent verabschiedungsreif zu machen. Gleichzeitig erhofft sich die Kommission Hinweise zur allgemeinen Patentierungsstrategie in der EU. So sollen die Teilnehmer der Befragung etwa angeben, ob sie die aktuellen Regeln zur Patentvergabe für nützlich und das System an sich für innovationsfördernd halten.

Der gesetzgeberische Vorstoß für die Vereinheitlichung der Patentvergabe in der EU schlummert seit Frühjahr 2004 im EU-Rat auf Grund interner Streitigkeiten einen Dornröschenschlaf. In die Haare bekommen hatten sich die Mitgliedsstaaten insbesondere über die Frage, in wie viele Sprachen Patentansprüche übersetzt werden sollen. Davon hängen wiederum die Kosten ab, mit denen ein Gemeinschaftspatent zu Buche schlägt. Schon jetzt ist es möglich, sich beim Europäischen Patentamt (EPA) in München Schutzansprüche in zahlreichen, über die EU hinausgehenden europäischen Ländern zu sichern. Bei den entsprechenden "Europa-Patenten" handelte es sich letztlich um Bündel einzelner nationaler Schutzrechte. Einen Großteil der Gebühren verschlingen die erforderlichen Übersetzungen der Monopolansprüche in die Sprachen der Länder, in denen das Patent gelten soll.

Laut einer von Brüssel in Auftrag gegebenen Studie müssen Antragsteller momentan durchschnittlich zwischen 37.500 und 57.000 Euro für ein Europa-Patent über die Jahre hinweg ausgeben. Zu etwas geringfügigeren Zahlen kommt eine Analyse des Marktforschungsarms der Beratungsfirma Roland Berger, die das EPA 2004 selbst lancierte und vor kurzem veröffentlichte. Die Kosten für ein Standardpatent der Behörde schwanken demnach zwischen 30.530 und 46.700 Euro. Eingerechnet sind die Gebühren für die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf bis zu 20 Jahre. Zum Vergleich: In den USA ist ein Patent bereits für rund 10.000 Euro zu haben, was für McCreevy allein schon den Handlungsbedarf aufzeigt. Ihm zufolge würde ein "erschwingliches Gemeinschaftspatent größte Vorteile für die Wirtschaft mit sich bringen".

Um die aufgetauchten Hindernisse zu überwinden, schlägt das Sondierungspapier eine Reihe neuer Ansätze vor. Sie reichen von der gegenseitigen Anerkennung unterschiedlicher nationaler Patente über neue Regeln für die Behandlung von Streitigkeiten rund um die gewerblichen Schutzrechte bis hin zu möglichen Verbesserungen beim bisherigen Vorschlag für ein echtes Gemeinschaftspatent. Nach dem Scheitern des Richtlinienvorschlags über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" im Sommer im EU-Parlament, das für den Schutzrechtsadvokaten McCreevy auch eine persönliche Niederlage darstellte, verzichtet der Ire zunächst auf konkrete Handlungsempfehlungen.

Die von der Kommission angeregte Debatte über den Sinn des Gemeinschaftspatents köchelt seit einiger Zeit wieder stärker vor sich hin. So warnte Florian Müller, Gründer der Kampagne NoSoftwarePatents.com, bereits im Oktober, dass mit dem weiteren Harmonisierungsvorstoß auch eine Hintertür für Softwarepatente geöffnet werde. Die Hauptsorge von Softwarepatentgegnern ist, dass mit dem Gemeinschaftspatent die weit gehende Vergabepraxis des EPA in der EU kodifiziert wird. Die Patentbehörde selbst ist keine EU-Einrichtung, sodass sich ihre umstrittene Auslegung des Europäischen Patentübereinkommens bislang nicht zentral in der Union auswirkt. Bisher schließt das grundlegende Regelwerk für die Patenterteilung in Europa den rechtlichen Schutz von Computerprogrammen "als solchen" in Artikel 52 eigentlich aus.

Der aktuelle Vorschlag für die Gemeinschaftspatent-Regelung enthält eine Passage, wonach das EPA "das Fallrecht anwenden soll, das es entwickelt hat". Gerade die Fallentscheidungen sind Softwarepatentgegnern aber seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge. Das EPA lässt es nämlich zu, dass Patente auf Software erteilt werden, wenn ein "technischer Beitrag" vorliegt. In der Praxis kann dieser der Behörde zufolge etwa aus schnelleren Rechenzeiten, wirtschaftlicher Datenspeicherung oder optimiertem Netzwerkverkehr bestehen. Müller fordert daher, die erwähnte Formulierung zum Fallrecht durch einen "wasserdichten Ausschluss" von Software aus dem Bereich patentierbarer Gegenstände zu ersetzen. Sonst würden die Richter am Europäischen Gerichtshof oder einem neuen Gemeinschaftspatentgericht "höchstwahrscheinlich der Rechtsbeugung des EPA folgen und Softwarepatente im amerikanischen Stil hierzulande für zulässig erklären".

Konzernvertreter sehen die Sache anders: Die Lage bei Softwarepatenten werde durch die Gemeinschaftspatentrichtlinie "nicht im geringsten geändert", meint Tim Frain, Direktor für geistige Eigentumsrechte bei Nokia. Das einzige Neue wäre, dass das EPA quasi in eine EU-Institution umgewandelt würde. Sein Haus erhoffe sich von der geplanten Gesetzgebung vor allem eine Reduktion der Patentkosten. Auch der Aufsichtsratsvorsitzende von Microsoft Europa, Patrick de Smedt, sprach sich im Herbst für eine Wiederaufnahme des Verfahrens aus. Zugleich erklärte er in einem Interview: "Wir sind scharf darauf, Softwarepatente auf der europäischen Agenda zu haben".

Zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online):

(Stefan Krempl) / (jk)