Informatikjahr 2006: Daumendrücken für die Gesundheitskarte

Politik und Wirtschaft wollen die Informationstechnik aus der Unsichtbarkeit befreien und ihre Stellung in der Gesellschaft aufpolieren, lautete das Gelöbnis bei der Eröffnungsveranstaltung für das Jahr der Bits und Bytes.

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Mit vielen schönen Worten gab Bundesforschungsministerin Annette Schavan am Dienstagabend im Berliner Cubix-Kino am Alexanderplatz den Startschuss für das Informatikjahr 2006. "Die Informatik ist allgegenwärtig, prägt unseren Alltag in vielfältiger Hinsicht. Sie verhütet Katastrophen, steuert, verbindet, warnt. Sie ist aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken", betonte die CDU-Politikerin. Doch gleichzeitig teilt die Informatik mit vielen ihrer Gründerväter das "Schicksal des Unsichtbaren", verwies der Vorstandssprecher von Deutschlands IT-Vorzeigeunternehmen SAP, Henning Kagermann, voller Sorge auf eine Wahrnehmungslücke.

Eines der wichtigsten Anliegen des diesjährigen siebten Wissenschaftsjahres ist es daher, den Bürgern die Durchdringung aller Lebensbereiche mit der vernetzten Datenverarbeitung stärker bewusst zu machen. Mithelfen sollen insbesondere vier Zentralveranstaltungen wie der Wissenschaftssommer oder das EuroScience Open Forum in München nebst 20 kleineren regionalen Events. Als medienwirksames Highlight tuckert zudem von Mitte Mai bis Mitte September das 105 Meter lange Ausstellungsschiff "MS Wissenschaft" mit einer Schau zum Thema Sport und Informatik über deutsche Binnengewässer.

Zusätzlich in die Öffentlichkeit tragen wollen die Veranstalter, zu denen neben dem Bundesforschungsministerium unter anderem die Organisation Wissenschaft im Dialog und die Gesellschaft für Informatik (GI) gehören, das unterbelichtete Thema durch eine Aufkleber- und Plakat-Kampagne mit dem Aufhänger "dank Informatik". In einem Video präsentierten sie einige Einsatzfelder. Beispielhaft gezeigt wurde etwa, wie die ubiquitäre Informationstechnik im Flugverkehr für eine "perfekte Landung", beim Einkaufen in Testgeschäften dank RFID für eine schnellere Kassenabfertigung oder mit dem biometrisch aufgerüsteten E-Pass für eine angeblich sichere digitale Identitätsprüfung sorgt. Die damit auch anklingenden dunklen Seiten der Informationstechnik, die sich etwa in einer wachsenden Überwachungskapazität auswirken, spielten allerdings keine Rolle bei der Auftaktveranstaltung.

Maßnahmen zur Schärfung des Image der Informationstechnologie hält GI-Präsident Matthias Jarke für dringend erforderlich. Seiner Meinung nach sind "einem großen Teil der Bevölkerung die elementaren Konzepte nicht bewusst, um sich souverän in der Informationsgesellschaft bewegen zu können." Immer wieder führte er die Gefahr einer "digitalen Spaltung" der Gesellschaft vor Augen. Um gegenzusteuern, soll das Informatikjahr insbesondere auch junge Talente für die Computerwissenschaft einnehmen. Eine besonders wichtige Zielgruppe ist laut Jarke dabei das weibliche Geschlecht, da dessen Anteil bei Informatikstudiengängen nur auf 15 Prozent komme.

Generell sieht Jarke für Deutschland gute Chancen, "sich als IT-Standort neu zu etablieren". Viele Menschen hätten zwar die zurückliegenden Entwicklungsstufen der Informatik vom Mainframe über den Personal Computer zu digitalen Gadgets wie Handys "noch nicht richtig verkraftet". Schon eingeleitet seit nun aber die "massive Verbreitung eingebetteter Systeme in unserer ganzen Lebenswelt." So gebe es heute "drei Mal so viele Rechner wie Menschen" auf Erden. Mit dem "weltweit größten IT-Projekt" außerhalb des militärischen Bereichs in Gestalt der elektronischen Gesundheitskarte würden allein hierzulande 80 Millionen weitere Chips "im Feld" dazukommen und gleichzeitig rund zwei Millionen Arztpraxen vernetzt. "Wir wünschen dem Projekt viel Glück", sagte Jarke, ohne dabei aber auf die Bedenken kritischer Informatiker rund um die geplante Telematikinfrastruktur einzugehen. Als weiteren Traum bezeichnete er es, dass Roboter bald "auch an normalen Fußballweltmeisterschaften teilnehmen", so wie es heute schon beim Schach der Fall sei. Passend dazu kickten sich im Foyer des Kinos eine Reihe Roboterhunde schon einmal fürs sportliche Großereignis ein.

Immer wieder skeptische Töne schlug Kagermann in seiner rhetorischen Verknüpfung von Informatik und Innovationsfähigkeit eines Landes an. Beim Bekenntnis zur Informationstechnik geht es seiner Meinung nach nicht "um bloße Anerkennung", sondern um "Deutschlands Zukunft" und um die nationale Wettbewerbsfähigkeit. Der promovierte Physiker bedauerte es, dass der Anteil Deutschlands am globalen Softwaremarkt bei nur acht Prozent liegt und SAP in der Branche auf Grund seiner Herkunft als "Exot" gelte. In der deutschen Wirtschaft würden IT-Investitionen nur 50 Prozent der Werte vergleichbarer Länder ausmachen, rechnete Kagermann vor und fügte an: "Wir müssen einer breiten Öffentlichkeit beweisen, dass IT genau dort hilft, wo uns in Deutschland der Schuh drückt." Also etwa in der öffentlichen Verwaltung, wo IT-Projekte bislang nicht zur Chefsache erklärt worden seien, im Gesundheitswesen, in der Bildung oder in Forschung und Entwicklung. Noch sei auch in der Wirtschaft zuwenig bekannt, dass etwa im Automobilbau Innovationen zu 80 Prozent aus Software hervorgehen würden.

Die Bundesregierung forderte der SAP-Chef auf, eine "zentrale IT-Strategie" mit einem "Lighthouse-Projekt" zu entwickeln und umzusetzen. Nur so sei die Informatik aus ihrer fachlichen Nische herauszuholen und an den "Nahtstellen zu den klassischen Disziplinen zu verankern". Als Teil der verbesserten Rahmenbedingungen, welche der Staat im Interesse der höheren Forschungsverwertbarkeit der Unternehmen schaffen sollte, bezeichnete Kagermann unter anderem einen "adäquaten Schutz softwaregestützter Innovationen". SAP hatte sich in diesem Sinne im vergangenen Jahr in Brüssel für die umstrittene und vom EU-Parlament letztlich zurückgewiesene Softwarepatent-Richtlinie stark gemacht. Hierzulande entfallen aber auch so bereits ein Fünftel aller Patentanmeldungen auf den Informatiksektor. Allgemein mahnte Kagermann an, dass es sich bei dem Jahr der Bits und Bytes "nicht um ein zwölfmonatiges Strohfeuer" handeln dürfe.

Zum Informatikjahr 2006 siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)