Weizenbaum bezeichnet "Sicherheitsgesellschaft" als Katastrophe

Der Computerpionier Joseph Weizenbaum warnt im Vorfeld der Tagung "Informatik und Rüstung" vor einer hauptsächlich vom Militär geförderten Forschung in den Bereichen Computertechnik, Biotechnologie und innere Sicherheit.

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Joseph Weizenbaum hat im Vorfeld der am morgigen Freitag in Berlin beginnenden Tagung "Informatik und Rüstung" vor einer hauptsächlich vom Militär geförderten Forschung in den Bereichen Computertechnik, Biotechnologie und innere Sicherheit gewarnt. "Die Entwicklung der Informationsverarbeitung ruft die Frage der Verantwortung hervor", forderte der Computerpionier eine strengere Ethik in diesen Wissenschaftsgebieten bei einem Pressegespräch ein. Während seiner Zeit als Professor am renommierten MIT in Boston habe er seine Studenten schon immer dazu angehalten, auf die mögliche Endnutzung ihrer Arbeiten zu achten. Abgeraten habe er etwa von Projekten, mit denen Computer gleichsam das Sehen beigebracht werden sollte. Dabei sei schließlich davon auszugehen, dass die entsprechenden Rechner in Raketen eingebaut und für den Abgleich von eingespeicherten Landkarten zur "Verbesserung" der Zielgenauigkeit verwendet werden.

"Fast die Hälfte der Ingenieure und Naturwissenschaftler in den USA arbeiten direkt oder indirekt für das Militär", zeigte sich der 1923 in Berlin geborene kritische Denker empört über das Primat der Waffenentwicklung jenseits des Atlantiks. Er erinnerte daran, dass der "in gewissem Sinnen unvorstellbare" Fortschritt in der Computerentwicklung mit einer hundertfachen Steigerung der Speicher- und Rechnerkapazitäten in den vergangenen zehn Jahren letztlich "vom US-Militär erzwungen" worden sei. Noch heute würde der allergrößte Teil der Forschung in den US-Universitäten vom Pentagon oder vom an Atomreaktoren interessierten Energieministerium finanziell unterstützt, führte Weizenbaum aus. Dazu kämen Gelder von Konzernen wie Lockheed, die ihrerseits vom Militär bezahlt würden.

"Wir sollten uns aber nicht verführen lassen zu der Annahme, dass die Militärforschung das einzige Problem ist", weitete der Informatiker seine Bedenken auf die im Kampf gegen den Terrorismus rasant wachsenden Budgets für die Entwicklung von Sicherheitstechniken aus. "Wenn wir zu einer Sicherheitsgesellschaft werden, ist das auch eine riesige Katastrophe", urteilte Weizenbaum. In diesem Forschungsbereich müssten dieselben Fragen rund um die letztendlichen Einsatzzwecke der Technologie gelten wie bei der allgemeinen Informatik. Der Vordenker verwies dabei etwa auf die Spracherkennung durch Computer, die er als "sehr gefährlich" bezeichnete. Denn "jeder Fortschritt in dieser Richtung wird von den Geheimdiensten benutzt." So höre der technische Geheimdienst der USA, die NSA, inzwischen die Telefonanschlüsse der gesamten Bevölkerung ab, was ohne die entsprechende Software-Entwicklung nicht möglich gewesen wäre.

Als "Waffe" seien zudem die "Budgets für Entertainment" zu sehen, ging Weizenbaum zur spezielleren Medienkritik über. Vor allem das Fernsehen führt seiner Ansicht nach zur "Verblödung" und behindere das Denken. Im Bereich der biologischen Kriegsführung könnten die Forscher ihre Suche nach einer "Dummheitspille" somit wieder einstellen. Trotzdem macht sich Weizenbaum über die Biotechnologie die meisten Sorgen: Als wohl "größten Fehler" in der Menschheitsgeschichte bezeichnete er die Wiederherstellung der DNA des Pestbakteriums durch eine Gruppe von Wissenschaftlern in den vergangenen zwölf Monaten. Dafür gebe es vielleicht gute medizinische Gründe. Aber darüber hinaus seien die Informationen auch in wissenschaftlichen Journalen veröffentlicht worden. Man brauche nur die Liste der Interessenten ansehen, die Kopien davon verlangt hätten: "Das sind böse Leute und böse Regierungen", beklagte Weizenbaum, "die jetzt in der Lage sind, diesen Bazillus herzustellen."

Reiner Braun, Geschäftsführer der International Association of Lawyers against Nuclear Arms (IALANA) und Mitorganisator der Konferenz, zeigte zudem auf, inwieweit die Informationstechnologie an den aktuellen Szenarien rund um die netzgestützte Kriegsführung beteiligt ist. So sollen Soldaten auf dem digitalen Schlachtfeld befähigt werden, untereinander und mit der Leitstelle besser mit Hilfe von Satelliten, tragbaren Mini-Computern oder Displays am Helm zu kommunizieren. Generell komme es den Militärs auf die Punktgenauigkeit in der Zielforschung, die Miniaturisierung der Waffensysteme sowie die Sicherung der eigenen Kommunikationsfähigkeit und der Zerstörung der entsprechenden Möglichkeiten der Gegenseite an. Mit der Konferenz hofft er nun, den 15-jährigen "Dornröschenschlaf" des Themas in der wissenschaftlichen Analyse zu beenden. Dabei gehe es aber nicht um "l'art pour l'art" der Forscher. Vielmehr kämen auch Datenschützer oder Betroffene zu Wort.

Auf dem Kongress, der im Rahmen des Informatikjahres stattfindet und ohne Tagungsgebühr besucht werden kann, werden am ersten Abend Weizenbaum und Klaus Brunnstein, Professor für IT-Sicherheit an der Universität Hamburg, über aktuelle sicherheitspolitische Herausforderungen diskutieren. Am zweiten Konferenztag stehen Themen wie zivile Überwachungstechnologien, historische Entwicklungen oder die Entstehung ziviler Gegenöffentlichkeiten auf dem Programm. (Stefan Krempl) / (vbr)