Independent Games Summit: Erfolgreicher als „Big Budget“

Robin Hunicke ("Journey"), Dan Pinchbeck ("Dear Esther") und Thomas Grip ("Amnesia: The Dark Descent") erklärten auf der Game Developers Conference, wie ihre Low-Budet-Spiele letztlich erfolgreicher wurden als so manche Großproduktion.

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Von
  • Peter Kusenberg

"Journey"-Entwicklerin Robin Hunicke (Tiny Speck): "Indie oder Major Company: Ich will das Spiel genießen, Preis und Budget sind nebensächlich."

(Bild: Peter Kusenberg)

Der Indie-Hit Journey

(Bild: Thatgamecompany)

"Amnesia"-Autor Thomas Grip: "Indie ist keine sinnvolle Kategorie. Hauptsache, das Spiel packt dich!"

(Bild: Peter Kusenberg)

"Dear Esther"-Autor Dan Pinchbeck: "Es ist nichts falsch daran, Spiele als reines Entertainment zu begreifen."

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Auf dem Independent Games Summit der diesjährigen Game Developers Conference (GDC) äußerten sich namhafte Entwickler zu Freud und Leid der unabhängigen Spiele-Entwicklung: Robin Hunicke ("Journey"), Dan Pinchbeck ("Dear Esther") und Thomas Grip ("Amnesia: The Dark Descent") erklärten in Vorträgen und Einzelgesprächen, wie sie ihre ungewöhnlichen Spielkonzepte umsetzten und sie trotz kleiner Teams und kleiner Budgets erfolgreich im Markt platzierten.

Hunicke leitet aktuell die Entwicklung des Social-MMORPGs Glitch, das beim Startup-Unternehmen Tiny Speck in San Francisco entsteht. Zuvor arbeitete die Doktorandin der Computerwissenschaften als Projektleiterin bei thatgamecompany und entwickelte dort die kunstvollen PSN-Download-Spiele "Flower" und zuletzt "Journey", das Sony im März 2012 als PSN-Titel veröffentlichte. Während ihres Vortrags auf der GDC erzählte sie ausführlich, welche Fehler ihr während der Produktion unterliefen. "Unser Terminplan war unrealistisch, wir hatten Angst, das Geld könnte knapp werden, und wir waren miserabel darin, unsere Aufgabenliste zu managen." Fehleinschätzungen und der Druck des Publishers führten laut Hunicke zu einer Belastung fürs ganze Team, das nach dreijähriger Produktionszeit und finaler Fertigstellung entlassen wurde. Letztlich sei die positive Resonanz auf "Journey" aber die Mühe wert gewesen, so Hunickes Resümee.

Die Entwicklerin fühlt sich dem "Indie-Spirit" verbunden, begeistert ist sie von der Independent-Konsole Ouya und den Smartphone-Plattformen. "Android und iOS ermuntern viele Entwickler, neue Konzepte auszuprobieren. Die Tools sind billig und zugänglich, und wenn man ein gutes Gleichgewicht findet zwischen dem Anspruch seines Projekts und der Veröffentlichungs-Frequenz, dann kann man ganz gut davon leben", sagte sie im Interview. "iOS dient häufig als Sprungbrett, um erfolgreiche Titel in erweiterter Form auf Steam oder Xbox live zu veröffentlichen." Hunicke räumt ein, dass sich medienübergreifend das Indie-Bewusstsein in den letzten Jahrzehnten verändert habe. "In den 1980er und 1990er Jahren haben Leute eine Menge Energie investiert, um bestimmte Indie-Schallplatten zu finden oder die letzte Ausgabe eines Dan-Clowes-Comics. Das Internet hat den Vertrieb und damit das Bewusstsein verändert, heute findet man Indie-Games und Big-Budget-Produktionen nebeneinander im PSN oder auf Steam." Dabei sind für sie die Leidenschaft der Entwickler und deren Mitteilungsbedürfnis die Essenz eines guten Spiels: "Authentizität ist entscheidend, ein gutes Spiel wie Minecraft sagt etwas aus, es ist ein Sprachrohr, wie ein Roman oder ein Film."

Ihre eigenen Werke, vor allem "Journey", sieht sie als potenzielle Inspirationsquellen für andere Entwickler: "Im Grunde war es ein wenig irre, dass Sony ausgerechnet so ein skurriles Spiel finanziert hat. Andererseits ist das clever, denn der Mainstream liefert überwiegend das Immergleiche. Spiele wie Journey verhindern, dass es langweilig wird."

Auch Thomas Grip ist sich bewusst, dass seine Spiele die meisten Erwartungen von Standard-Spielern unterlaufen. Mit seiner Firma Frictional Games entwickelte der Schwede ein ungewöhnliches Survival-Horror-Spiel, das auf Kämpfe, Gesundheitstränke und ähnlich konventionelle Elemente verzichtet. In Amnesia: The Dark Descent muss der Spieler ein Gruselhaus erkunden, wobei er die Dunkelheit meiden sollte, denn zu viel Finsternis treibt ihn in den Wahnsinn. "Wir haben gemerkt, dass das Spiel ohne Kampfsystem viel besser funktionierte", sagte Grip im Interview. "Wir wollten es so gruselig wie möglich machen und haben deshalb auf ermüdende Elemente wie Game over und Kämpfe verzichtet. Solche Design-Entscheidungen wären bei einer großen Firma nicht so einfach möglich." Wegen des kommerziellen Erfolgs von "Amnesia", das ursprünglich via Steam vertrieben wurde, konnte die Firma wachsen und stellt in diesem Jahr zwei weitere Mitarbeiter ein, um zum Elf-Mann-Team zu wachsen. "Wir sind dem Indie-Spirit verbunden, doch in wirtschaftlicher Hinsicht ist Indie keine sinnvolle Kategorie. Hauptsache, das Spiel packt dich!", sagte Grip. "Das Problem in der Spiele-Industrie ist vor allem, dass die meisten Entwickler so altmodisch sind. Der Konformitätsdruck ist insbesondere in Big-Budget-Teams hinderlich für die Schaffung origineller Spiele. Die großen Firmen konzentrieren sich auf die 20 Millionen Hardcore-Gamer weltweit und ignorieren, dass es Hunderte Millionen potenzieller Spieler gibt in der Welt. Ohne nennenswerte Werbemaßnahmen und PR haben wir annähernd eine Million Exemplare von Amnesia verkauft."

Ein zentrales Thema auf der diesjährigen GDC ist die Bedeutung der mobilen Spiele. Grip liebäugelt damit, ein iPad-Spiel zu entwickeln, das die technischen Vorteile der Plattform nutzt. "Es gibt jede Menge Horrorspiele für iOS, in puncto Atmosphäre sind die Geräte hervorragend geeignet. Man legt sich ins Bett, setzt Kopfhörer auf und lässt sich ins Spielgeschehen saugen. Eine Menge Minibudget-Spiele sind so entstanden, die weitaus mitreißender sind als Resident Evil und ähnlich aufwändige Horrorspiele für die Konsole."

Der Spiele-Autor Dan Pinchbeck aus dem britischen Seebad Brighton betrachtet die neuen Plattformen indes pragmatisch. "Ich möchte derzeit kein Spiel machen, das sich auf einen kleinen Bildschirm beschränkt, ich liebe aufwändige Inszenierungen in Spielen." Hätte sich die Gelegenheit geboten, hätte er sein viel gelobtes Spiel "Dear Esther " nicht für den PC, sondern für eine Konsole produziert. "Mich interessiert vor allem: Ist das Spiel gut? Die Leute fanden Dear Esther deshalb gut, weil es so brillant aussieht. Wegen der grafischen Gestaltung haben sie zu spielen begonnen und gemerkt, dass man niemanden abschießen kann, und sie hatten trotzdem Spaß." "Dear Esther" versetzt den Spieler auf eine Hebrideninsel, auf der er während einer mehrstündigen Wanderschaft eine Stimme aus dem Off hört, die Briefe vorliest. Rätsel, Inventar und Interaktion fehlen, dennoch ist die Inselwanderung packend. "Ein großes Studio wäre solch ein Risiko niemals eingegangen", sagte Pinchbeck im Interview. "Doch jetzt analysieren viele Entwickler das Spiel, um zu ergründen, wie die Story und Charakterentwicklung funktionieren."

Pinchbeck hat sich bei "Dear Esther" darauf konzentriert, intensive Gefühle im Spieler hervorzurufen. "Es stimmt nicht, dass sich ein Spieler langweilt, wenn man ihn nicht die ganze Zeit in Interaktion verstrickt. Angst und Wut kann man leicht erzeugen, Traurigkeit ist ein wenig zeitaufwändiger. Das hat gar nichts mit dem Budget oder der Größe des Teams zu tun. Man kann als einzelner Indie-Entwickler ein mitreißendes Spiel machen oder im 200-Mann-Team, was Titel wie Uncharted beweisen." Wie Grip hält Pinchbeck wenig davon, Indie-Spiele zu L'art pour l'art zu verbrämen: "Spiele brauchen nicht die Weihen der Hochkultur. Es ist nichts falsch daran, Spiele als reines Entertainment zu begreifen." Entsprechend groß ist das Interesse der Branche an frischen Ideen aus dem Indie-Segment. "Zahlreiche Leute aus der Branche wechseln gerade von sehr hohen Positionen in winzige Indie-Klitschen, weil die Leute dort risikofreudiger und einfallsreicher sind. Denn letztlich ist die Profitrate bei einem originellen Indie-Spiel zur Zeit deutlich höher als bei einem mittelmäßigen Big-Budget-Titel. (hag)