Plaudereien über das Windows 8 geschuldete Ende von Silverlight und WPF

Scott Barnes, früherer Programm-Manager in Microsofts Rich Platforms-Team, fasst die Spekulationen zum Ende von Silverlight und Windows Presentation Foundation sowie diverse Interna in einer "Unofficial Windows 8 Developer FAQ" zusammen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 7 Kommentare lesen
Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Harald M. Genauck
Inhaltsverzeichnis

Ist die Windows Presentation Foundation (WPF) tot. Eine Antwort darauf findet sich in der "Unofficial Windows 8 Developer FAQ" in einem Blog-Beitrag von Scott Barnes, der bis Herbst 2009, zuletzt als Produkt-Manager im Rich Platforms-Team (WPF und Silverlight), bei Microsoft beschäftigt gewesen war:

"Ja und Nein. Das Ja insofern, als dass WPF, wie man es kennt, am Ende seines Lebenswegs angekommen ist und praktisch kein neuer Code mehr für diese 'Plattform' geschrieben werden wird. Das Erbgut von Windows 7 und Windows 8 wird sich auseinanderentwickeln. Und ein Nein insofern, als wir damals, als wir beschlossen hatten, alles zur schlankeren Windows-8-Plattform zu verschieben, vor der Aufgabe standen, sowohl Silverlight als auch WPF einer Schlankheitskur zu unterziehen, um eine Ausgewogenheit zwischen den Mobilitätsanforderungen und Kompatibilität zu erzielen. Die gute Nachricht ist, dass wir damit einige der UI-Rendering-Probleme lösen könnten, die einen in der Vergangenheit ständig geplagt hatten. Die schlechte Nachricht ist, dass währenddessen das eine oder andere Feature unter die Räder geriet."

Die "fragende" Feststellung, dass eine heute in WPF geschriebene Anwendung morgen unter Windows 8 nicht funktionieren würde, wird abschlägig beschieden: Expression Blend und selbst Visual Studio 2012 arbeiten noch mit dem vorangegangenen XAML-Rendering, das in Windows 7 Einzug gehalten hatte. Sicherlich werden laut Barnes aber bestimmte zukünftige Dinge in Windows 8 nicht mehr im Windows-7-Kontext funktionieren können.

Was sich wie ersehnte Statements eines Microsoft-Produktverantwortlichen liest, sei "eine Sammlung von Klatsch zu den Geschehnissen um Silverlight", schreibt Barnes vorweg. Er habe sie in Gesprächen mit einigen derzeitigen und ehemaligen Microsoft-Mitarbeitern zusammengetragen.

Für den nicht ganz Eingeweihten ein kurzer Rückblick: Bei der Vorstellung der neuen Benutzeroberfläche für Windows 8 zur DC9-Konferenz im vergangenen Sommer war zunächst verkündet worden, dass für sie mit HTML5, C++ und JavaScript zu entwickeln sei. In die fiktive Antwort auf die nun in den FAQ aufgegriffene Frage, ob man denn jetzt umlernen müsse, legt Barnes die Information, dass man zwar die Basis für das XAML-Rendering aus Silverlight übernommen hätte, jedoch WPF und Silverlight auf Null zurücksetzen musste, um zwei Punkte zu erfüllen: Der eine wäre die Beseitigung der Unterschiede zwischen WPF und Silverlight hinsichtlich Geschwindigkeit und entwicklerbezogener APIs gewesen, der andere, einen Weg zu finden, Steve Sinofsky im Glauben zu lassen, Silverlight wäre begraben worden.

Ein "politischer" Faden mehr oder weniger polemischer Seitenhiebe auf Sinofsky zieht sich quer durch Scott Barnes Blog-Beitrag. Sinofsky, bei Microsofts Präsident für Windows, Windows Live und Internet Explorer, sei nicht nur ein strikter Gegner der Silverlight-/WPF-Technik gewesen, er habe auch noch bis heute jedes Wort darüber mit einem Bann belegt. Barnes' Gegnerschaft zu Sinofsky ist allerdings nicht neu, das Portal windows8update hatte schon vor etwa einem Jahr von einer angeblichen, recht harschen Äußerung Sinofskys an Barnes' Adresse berichtet.

Warum habe man die Entwickler mit so vielen Änderungen in Windows 8 in Verwirrung gestürzt? Barnes stellt dazu dar, dass dem Internet Explorer ein höheres Gewicht habe zugemessen werden sollen. Dazu hätte aber Silverlight zurückgefahren werden müssen, um einen Verdrängungswettbewerb zwischen den beiden Techniken zu vermeiden. Ein Erstarken des IE in Sachen HTML5 sollte auch dazu beitragen, die "Herzen und Hirne der Nicht-.NET-Welt zu erobern, damit diese dazu beitrügen, die gesteckten Ziele im Wettbewerb mit Linux, PHP, Apache und MySQL/Oracle zu erreichen". Nach einer entsprechenden IE-Verbreitung sollte es den Entwicklern schmackhaft gemacht werden, ihr geliebtes HTML5 auch in Windows 8 einbringen zu können. Damit habe die verloren gegangene Dominanz zurückgewonnen werden sollen, nachdem "der ganze Internet-Explorer-Stab das Unternehmen Richtung Google verlassen" habe, und es sollte den seit Jahren fruchtlosen Versuchen, mehr Entwicklerkunden für das Windows-Server- und Werkzeuggeschäft zu gewinnen, zu Erfolg verholfen werden.

Da das frühere Konzept, Internet Explorer mit dem "guten alten" Silverlight aufzubohren, mit diesem Ziel kollidiert hätte, habe man den Eindruck von viel Neuem erwecken und die Entwickler glauben machen wollen, dass tatsächlich WPF und Silverlight zusammengeführt worden wären und Windows 8 eigentlich ein Silverlight 6 für den Desktop sei.

Allerdings, so eine weitere fiktive Antwort von Barnes, sei Windows 8 nur in einem konzeptionellen Sinn ein Silverlight 6, technisch jedoch nicht. Zwar sei die Kommunikation missglückt, doch mit der Parität von WPF und Silverlight und der Verfügbarkeit sowohl auf dem Desktop als auch im mobilen Bereich sei das eben nun das Windows 8 geworden. Das für den Markt leider zu spät erfolgte Einschieben von Windows Phone 7 trotz der Parität und Ausdehnung auf den Mobilbereich sei dem Umstand geschuldet gewesen, dass man noch nichts über die Vorhaben in Windows 8 nach außen dringen lassen konnte. Schließlich habe man es aber doch erreicht, Silverlights DNA für beide Plattformen zu retten und mit einer aktualisierten API und mit neuem Tooling das Schreiben sowohl von mobilen als auch Desktop-Anwendungen zu ermöglichen. Das sei auch mit ein Grund für die fehlende Abwärtskompatibilität von Windows Phone 8 zu Windows Phone 7.

Bis hierhin spielt Scott Barnes mit dem Eindruck, das neue Windows 8 sei tatsächlich ein Silverlight 6. Allerdings räumt er kurzerhand damit auf:

"Der Windows-8-Kern ist, wie alle Nachrichten und all die PowerPoint-Folien besagen, neu. Lediglich das XAML-Stückchen, das auf diesem Kern aufsetzt, würde ich als 'Silverlight 6' bezeichnen. Darin gipfelt alle seit der Geburt von WPF und Silverlight geleistete Arbeit, diese beiden auf einen Nenner zu bringen."

Soweit also die technische Seite. Aufmerken lässt einen Barnes' weitere Darstellung, wie es wohl zur heutigen Situation gekommen sei. Sinofsky habe schon Jahre vor Windows 8 eine Abneigung gegen Silverlight gehegt. Dazu hätten die Windows-8-Planungsteams schließlich den Bedeutungsverlust Microsofts in der Welt des Webs gespürt, sowohl aus der Werkzeug- als auch aus der Plattformperspektive gesehen. Silverlight sei ein Irrweg, während HTML zunehmend an Bedeutung im Markt gewinne. Der sich andeutende Neubeginn für ein Betriebssystem mit einem kleinen Schlenker in Richtung JavaScript und HTML5 habe "der Developer Division natürlich nicht geschmeckt, hätte er doch bedeutet, dass alle bis dahin geleistete Arbeit an Silverlight vergebens gewesen wäre", so Barnes. Das Silverlight-Team habe sich daher bemüht darzustellen, dass beide Wege gerechtfertigt seien und dass ein XAML-Silverlight der bessere Kandidat für den einzuschlagenden Weg wäre.

Den internen Wettbewerb um die Entscheidung habe allerdings Steven Sinfosky gewonnen. Wegen der grundsätzlichen Abneigung Sinofskys gegenüber Silverlight sei es allerdings ein unfairer Kampf gewesen. Es soll zur heftigen Auseinandersetzung zwischen dem Kopf der Developer Division, "Soma" Somasegar, und Sinofsky als Windows-Chef gekommen sein, die wohl darin gipfelte, dass über Silverlight der Mantel des Stillschweigens gebreitet worden sei. Trotz der Auseinandersetzung zwischen den beiden Führungsspitzen sei das Silverlight-Team (sprich: XAML-Team) in die Windows-Abteilung verschoben und an die Aufgabe gesetzt worden, den alten Bestand in das neue Gerüst einzubauen. Allerdings habe es den Namen "Silverlight" aus dem Gedächtnis streichen müssen.

Nach Barnes' Ansicht könne diese Geschichte auch der Grund dafür gewesen sein, dass Scott Guthrie, der Schöpfer von ASP.NET und bis dahin Vizepräsident der Developer Division, zu Windows Azure abgewandert ist. Es könne vielleicht auch erklären, warum das Erbe von Silverlight nach wie vor in Windows 8 wahrzunehmen sei. Und auch, warum der frühere Server&Tools-Chef Bob Muglia seinen Präsidentenposten verlor und kurze Zeit danach das Unternehmen verließ.

Auch wenn Barnes, sicherlich aus gewissen Selbstschutzgründen, darauf besteht, dass das alles nur "Geschwätz am Dorfbrunnen" sei, könnte doch das eine oder andere Körnchen Wahrheit darin stecken. Er befürchte, dass sich die Kundschaft aus Furcht vor Auswirkungen der internen Streitigkeiten auf Windows Phone und auch auf Windows als Betriebssystem auf die Suche nach Alternativen machen könnte. Da auch das Server-Geschäft zurückgehe, so Barnes, könne Microsoft über die Office-Produkte, den Desktop und die Xbox hinaus die Bedeutungslosigkeit drohen. Er wünsche sich stattdessen, dass Microsoft sich offenbaren und zur Stimmungslage unter den Entwicklern Stellung beziehen würde, etwa mit folgendem Statement:

"Seht, Ihr habt uns gedrängt, uns WPF und Silverlight vorzunehmen. Wir haben es getan und haben einen Weg eröffnet, der es möglich macht, für unsere Plattform auf dreierlei Weise zu entwickeln. Die erste Möglichkeit geht über C++, wenn Ihr einen tiefer reichenden Zugang zu Windows braucht – dazu haben wir die COM++-APIs so verpackt, wie er auch schon C#-Entwicklern gemundet hat.

Wenn Ihr nativen Code nicht mögt, könnt Ihr Anwendungen genau so bauen, wie Ihr es früher in Silverlight gekonnt habt, allerdings nur für Windows (Sorry!). Und wenn Ihr plattformübergreifende Anwendungen entwickeln wollt, haben wir HTML5 und Internet Explorer im Koffer."

Barnes ergänzt:

"Dazu noch ein paar Slides, die aufzeigen, wie sich einmal geschriebener Code sowohl für den Desktop als auch für Tablets und Mobile via XAML/HTML5 und C++/C# ausrollen lassen kann – das würde ein wenig Ruhe anstelle der Klagen 'Sie haben mir mein Spielzeug weggenommen!' bringen."

Jedenfalls, meint Barnes, könne er sich zunehmend an den Gedanken gewöhnen, dass der saubere Neustart von WPF und Silverlight etwas Gutes an sich haben könnte.

[Update 14:57 Uhr, 27. August 2012]

In einem aktuellen Blog-Beitrag entschuldigt sich Barnes geradezu förmlich bei Sinofsky, nachdem ihm dieser bei einer angeblichen neuerlichen E-Mail-Diskussion seine öffentlichen Anwürfe vorgehalten habe. Trotz aller Differenzen sähe er sich dennoch mit Sinofksy einer Meinung. So lässt Barnes es jedenfalls anklingen, dass eine stimmigere Kommunikationsstrategie Microsofts gegenüber der .NET-Community unabdingbar sei, nachdem sie erstmals in der Microsoft-Geschichte, wie Barnes meint, Anzeichen für Unstimmigkeiten zeigen würde. (ane)