Klau, schau, wem

Apple hat 2007 eine Technologie für das iPhone zum Patent angemeldet, die bereits drei Jahre vorher in einem indischen Handheld-Computer implementiert war.

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Von
  • Niels Boeing

Apple hat 2007 eine Technologie für das iPhone zum Patent angemeldet, die bereits drei Jahre vorher in einem indischen Handheld-Computer implementiert war.

Das Urteil gegen Samsung im Patentstreit mit Apple wirbelt die mobile IT-Welt kräftig durcheinander. Die Südkoreaner müssen eine Milliarde Dollar nach Cupertino überweisen und möglicherweise noch acht Smartphone-Modelle vom Markt nehmen, weil das Geschworenengericht befand, Samsung habe wesentliche Patente von Apple verletzt.

Zwiespältig ist daran nicht nur, dass es sich auch um triviale Erfindungen wie Designpatente handelt, etwa die Anordnung von App-Symbolen auf dem Bildschirm. Trivialpatente sind umstritten, weil es sich um Funktionen handelt, die noch in den 1970er Jahren von den Patentämtern wegen mangelnder Erfindungshöhe abgelehnt worden wären.Vor allem hat es Apple selbst mit der Übernahme fremder Konzepte nie so genau genommen. "Wir sind schamlos darin gewesen, großartige Ideen zu klauen", hatte Apple-Gründer Steve Jobs schon 1994 in einer Fernsehsendung zugegeben. Diese Praxis setzte das Unternehmen offenbar auch danach fort.

Ein Beispiel ist das Kippen des Bildes vom Hoch- ins Querformat, wenn man das iPhone mit einer schneller Handbewegung um 90 Grad kippt. Es war eine von mehreren Bedienfunktionen, die bei der Markteinführung des iPhone 2007 die Konsumenten elektrisierten – intuitiv verständlich und nützlich. Im vergangenen Jahr erteilte das US-Patentamt Apple schließlich zwei Patente auf diese "Portrait-Landscape Rotation".

Zeichnung aus der Patentschrift von Apple (2007).

(Bild: USPTO)

Nur: Diese Idee wurde nicht 2007 erstmals von Apple implementiert – sondern 2004 von einem indischen Konsortium im "Simputer". Dieses Gerät war seit 1999 von einer Entwicklergruppe, den "Bangalore Seven", eigens für den indischen Markt als kleiner Mobilcomputer konzipiert worden. Er sollte für die Bewohner des Subkontinents einigermaßen erschwinglich und dank einiger rein grafischer Anwendungen auch für Analphabeten nutzbar sein. Zudem lief das Gerät mit dem offenen Betriebssystem Linux. Das Konsortium lizenzierte die Herstellung des Simputer an die Firmen Amida und PicoPeta.

Eine echte Innovation des indischen Handheld-Computers war die "Flip-Flop-Technologie": Mit Hilfe eines eingebauten Beschleunigungssensors registrierte das Gerät Bewegungen. "Amida ist der erste und einzige Computer der Welt, der auf Ihre Gesten reagiert – Sie können zum Beispiel mit einer Drehung des Handgelenks Seiten umblättern", pries Amida das Konzept damals auf der Webseite an, die dank der Wayback Machine rekonstruierbar ist. Auf derselben Seite ist auch die heute vertraute Bildkipp-Funktion dargestellt.*

Darstellung der Flip-Flop-Technologie von Amida (2005).

(Bild: Internet Archive Wayback Machine)

Dem Simputer war leider kein kommerzieller Erfolg beschieden. Statt der geplanten 50.000 Stück wurden bis Ende 2005 nur 4000 verkauft, und beide Hersteller stellten 2006 die Vermarktung ein. PicoPeta war da bereits von der indischen Firma Geodesic Information Systems übernommen worden.

Welchen Weg die Flip-Flop-Technologie von Indien nach Cupertino nahm, lässt sich kaum rekonstruieren. Erfunden hat sie dort jedoch mitnichten Scott Forstall, Senior Vice President of iPhone Software, der für Apple 2007 die Patentschrift eingereicht hat.

*Anmerkung: Der Verweis auf die Bezeichnungen Landscape Mode und Portrait Mode wurde entfernt, weil sie tatsächlich allgemeingebräuchliche, also triviale Bezeichnungen sind. (nbo)