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Was war. Was wird.

We're back, tönt es. Erschreckt blickt Hal Faber auf und tatsächlich: Die Bobos sind wieder da. Oder ist alles nur ein böser Traum? Aber wenn die Welt PR-Stunts von Microsoft beklatscht, dürfen auch die Bobos ihre erschröcklichen Häupter wieder erheben.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Nein, ich träume wirklich nicht in HTML (ich kenne aber Alpträume in HTML). Das ist ein Grund, warum es heute, am ersten weltweit begangenen Internet Free Day, wieder diese kleine Wochenschau im Netz auftaucht. Vielleicht gibt es ja Leser, die sich nicht an der Aktion beteiligen – und wer kann es sich heute leisten, seine Leser zu enttäuschen? Einfach die Kiste ausknippsen, mit dem Füllfederhalter weiter schreiben – wer hat noch eine Schreibmaschine –, einfach nichts online stellen? Das können eigentlich nur Blogger, und auch die sind im Wettbewerb um die unsinnigsten Titel permanent unter Druck.

*** Ein weiterer Grund ist natürlich die "Russenkälte". So kalt ist es geworden, dass die Hölle zugefroren ist! Jawohl! In deutschen Tageszeitungen konnte man nach dieser Nachricht lesen, dass Microsoft den Windows-Code quelloffen macht. Was schlicht und einfach darum falsch ist, weil die öffentliche Auslegung des Codes nicht die quelloffene Weitergabe desselben ist. Wer das glaubt, ist auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Andersrum ging es genauso sensationell zu, mit der auf DRM-fixierten GPL 3.

*** Kälte ist natürlich relativ. Auf dem Dach eines Bayerischen Luxushotels bei minus zwanzig Grad fröhlich über tolle neue Dot.com-Pläne zu sprechen, das kann nur heißen: Die Bobos sind wieder da, und Dotcomtod mit ihnen, ganz schick als BooCompany und eher kläglich als Pixel-Hype. Ja, kommt denn alles wieder? Wer in der norddeutschen Tiefebene lebt, muss schon nach München eilen, der Peilung wegen. Der Digital Lifestyle Day, ein umgepoltes Pluraletantum aus dem Hause Burda, lockte in das Land der Schuhplattler und Fußfessler. Nach dem Besuch dieser beiden Tage weiß wirklich jeder, was gerade trendy ist im Netz, beim binären Leben, beim Fingerfood und beim Gurgelwasser. Selbst Heise berichtete, natürlich völlig verzerrt: Der Pool auf dem Dach erlebte die im Auftrag von Nokia bloggende Anina sich furchtlos in die Fluten springend, weil der von ihr bewunderte Münchener Luxusschuhhändler sich nicht einmal Windows XP für seine drei Computer leisten kann, der arme Mensch.

*** Achja, Nokia. Nehmen wir nur das N90 dieser Firma, das der Veranstalter an seine Leute vom Organisationsteam und an die Alpha-Blogger verteilte, zur Koordination des Ganzen. Zum Flickrn und Vloggen und Studium der Betriebsanleitung. Das ist ein Gerät, das offenbar keinen Vibrationsalarm hat und darum pausenlos klingelte. Vibrationsalarm ist einfach sooo out, konzentriertes Nachdenken sowieso. Die Journalisten saßen an diesem Tisch der Möbelfirma Bene, der genau 16 schwer erreichbare Steckdosen in der Mitte hatte. Strom ist einfach out, Deutsch übrigens auch, das Mobiliar hatte eine "magic cultlike role" im Digital Lifestyle zu spielen, nicht einfach Tisch, sondern ein "emotionaler Hub" zu sein, und zur Front hin als "home base" mit den integrierten Riesen-LCD samt Leinwand für Powerpoint-Orgien ein "sanctuary piece" zu emulieren. Klapp-Altar klingt einfach nach sehr alter Old Economy. Als Home Base für die DLD-Stars Francis Fulton-Smith, Hardy Krüger Jr. und Maria Furtwängler auf ihrem Iconic Törn durch die Show musste der Raum auch noch herhalten. Erstaunlich, dass es zur Arbeit wenigsten das oldstyle Getränk Kaffee gab und nicht nur den Labertran Red Bull und etwas, das der welterfahrene Kollege von der Süddeutschen Zeitung geschmacklich als Sud aus altägyptischen Mumienwindeln identifizierte.

*** Inhalte? Ich muss schon bitten. Wer fragt denn bei einer Rheumadeckenverkaufsveranstaltung nach Inhalten? Welches Geburtstagskind will denn noch wissen, was vor 10 Jahren bei Burda los war? Also keine Inhalte: Hier wurde binärer Lebensstil von US-amerikanischen Durchreisenden auf dem Weg zu einer bescheidenen Hütte in Davos verkauft, ein kurzer Blick der Cyberlady Esther Dyson und des Google-Avatars Marissa Mayer auf das Next Big Thing und sonst gar nichts. Halt! Gegenüber dem Gestammel von Apple im Vorjahr präsentierte die Firma diesmal einen richtig guten Schlangenölverkäufer, der ordentlich in Shape! war. Wer diese Firma mag, wird auch diese Firma mögen,

*** Achja, Davos. In den verschneiten Schweizer Bergen eröffnete Angela Merkel ein Treffen, auf dem die Lenker und Wirtschaftsführer locker den Blackberry bedienen und höchstens amüsiert lächeln, wenn jemand wie vor 10 Jahren brüllt: "Ihr müden Giganten aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes!" Längst hat die Fleisch-Stahl-Fraktion sich ein ansehnliches Portfolio an Cyberspace-Beteiligungen zugelegt, und ist allerhöchstens durch bissige Sponti-Aktionen zu stören. denn erst im nächsten Jahr wird man die Regierungsmitglieder der Hamas einladen, natürlich nicht ohne die klassische Indianer-Belehrung: Benehmt euch, denn natürlich waren die Ureinwohner schon immer die Juden.

*** Die Chronistenpflicht ruft. Ich würde liebend gern über das heutige Geburtstagskind, den großartigen Thomas Paine ein paar Worte verlieren, aber wir haben ja nicht ewig Zeit für 100 Fragen. Es müssen ein paar innerdeutsche Entwicklungen in dieser Wochenschau erwähnt werden. Schließlich soll die Geschichte des fortlaufenden Schwachsinns nicht nur auf Klowänden notiert werden. Gerade weil an anderen Orten eine Geschichtsklitterung der übelsten Sorte betrieben wird, muss man wohl begrüßen, dass nach allen Vermittlungsbemühungen die Debatte um den Namen Boris Floricic in einer Hauptverhandlung geklärt wird. Sonst bleibt am Ende übrig: Der Hacker Tron war ein merkwürdiger Kerl, der niemandem in die Augen schaute und offenbar hochgradig gestört war.

*** Aber halt, es gibt doch "Lichtblicke". Nachdem die Grünen sich in der Debatte um einen BND-Untersuchungsausschuss gründlich demontiert haben, folgt ihnen die vereinigten Linke mit einem Statement, das an Blödheit eigentlich nur noch von einer "Geiz-ist-geil-Kampagne" unserer Deutschland-Werber übertroffen werden kann. Halten wir an dieser Stelle nur fest: Die deutsche Linke vergleicht einen Passus über das private Kopieren legal erworbener Güter mit einem Ladendiebstahl unter 20 Euro. Aibo ist tot, es lebe die devot leckende Luc Jochimsen. Wahrscheinlich kauft sie immer mehrere CD, für das Auto, Haus und das geliebte foobar – an dieser Stelle blenden wir uns aus. Niemanden interessiert es, welche Musike dröhnt, wenn der Spinnaker gehisst wird.

*** Und wo bleibt sie nun, die Musike? Ach, aus Protest gegen solchen Unsinn und aus Protest gegen dieses seltsame Mozartjahr, bei dem den Laudatoren der Schmalz so aus den Reden trieft, dass jede Mozartkugel als Diätlebensmittel durchgeht, bei dem Moderatorinnen seltsame Verrenkungen machen, dass auch noch der letzte B-Prominente und C-Humorist einen Auftritt abbekommt, fällt sie diese Woche aus.

Was wird.

Wird der Protest nutzen? Wird es besser werden? In diesem Fall habe ich leider meine Zweifel, obwohl ich sonst gar nicht so zum Pessimismus veranlagt bin. Am Dienstag lädt der Branchenverband Bitkom nach Berlin, der sich kindlich über die Speicherung nach Augenmaß freut. Dabei erleben wir derzeit die größte Datenenteignung der Geschichte. Mit seinem hart erfochtenen Urteil wird Holger Voss einen momentanen Sieg errungen haben, bis die Vorratsdatenspeicherung kommt. Freuen wir uns also mit der Deutschen Telekom, die ebenfalls in Berlin am Mittwoch zu ihrer internationalen Pressekonferenz ins T-Com-Haus einlädt. Ganz unscheinbar steht neben diesem Häuschen ein Schaltkästlein, das alle Verbindungsdaten aufzeichnet. Ach wie gut, dass alle wissen, dass ich Rumpelstilzchen bin, gesch ... (Hal Faber) / (jk)