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Was war. Was wird.

Netzmanagement vs. Netzneutralität? Profiling vs. Privatsphäre? Data-Mining vs. guter Geschmack? Und tausend Netz-Konferenzen? Ach. Funktioniert alles nicht, jammert Hal Faber. Vielleicht sollte man sich doch etwas mehr geschichtsbewusst zeigen.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Welt ist ungerecht. Während die Autocomplete-Funktion von Google schon bei der Eingabe von "Günther" mir Tickets für eine Talkshow andrehen will, während "Bett" ausreicht, um "Bettina Wulff escort" und andere unbürgerliche Berufe als Rotlicht-Gerüchte anzuzeigen, führt Hal bei mir zu "Hallo Pizza" und damit zu einem Gericht, dass nur in akuten Notzeiten als "Essen" durchgehen kann. Bestenfalls führt Google zu Hal 9000, immerhin dem halben Namensgeber. Die Bildersuchfunktion gibt kein einziges "unangemessenes Bild" aus, sondern zeigt korrekt das liebliche Rot der Computeraugen des mörderischen Computers, während bei Frau Wulff diverse Chateaus aus dem Rotlichtmilieu angezeigt werden. Ansonsten "digitale Demenz", wohin man auch sieht: Dass die Google-Suche seit der Wahl von Wulff zum Bundespräsidenten im Jahre 2010 so "assoziiert", ist seitdem kein Geheimnis, wurde aber hübsch auf kleiner Flamme gehalten. Erst jetzt, wo es nicht mehr um eine eigene Website und andere Initiativen von Bettina Wulff geht, gehen die Juristen in Stellung, schreiben Enthüllungsjournalisten ellenlang vom Notruf und lästern kräftig über das Internet, während dort Mutter Streisand übernimmt. Fehlt nur noch die Suche nach einem griffigen Hashtag für die allfällig durchzutreibende Twitterdorfsau. Ach ja, wo ist denn mal das Data Mining und die Profilbildung, wenn man sie mal braucht. Am Ende kommt doch nur Helene Fischer dabei raus. Oh Schreck. Oh Graus. Da helfen selbst sentimentale deutsche Versionen von Soulklassikern, den Ekel abzuschütteln.


*** Das rote Lichtauge von Hal 9000 war eine Idee des AI-Forschers Marvin Minsky, der am Set von 2001, Odysee im Weltraum den Regisseur Stanley Kubrick beriet. Die Idee dahinter: Rot sollte beruhigen und wie der rote Notausknopf wirken, den Maschinen seit vielen Jahrzehnten besitzen und damit dem Menschen die Idee der ultimativen Beherrschbarkeit vermitteln. Während diese Wochenschau online geht, findet in Bielefeld (kein Witz) die Flauschcon der Piratenpartei statt, eine Konferenz über die Frage, ob das Bällebad von Ikea das Idealbild einer herrschaftsfreien Gesellschaft abgeben kann. Nein, es ist nur ein halber Witz, denn der ganze Ernst beim "Flauschen" der Piraten, den kann man nur auf Twitter sehen. Da wurde in dieser Wochen die etwas schräge Pressemappe eines Mit-Piraten von ausgewiesenen Parteimitgliedern mit einer Häme abgewatscht, die überrascht. Offenbar steckt in vielen Piraten ein kleiner Troll, der allem Sichliebhaben zum Trotz ab und an Auslauf haben muss. Wie war das noch mit dem langen Weg zum Ziel? Muss ja nicht jeder seinen Murks verschicken "so lange genug von denen mitmachen, die interessiert und kompetent sind." Da hinkt sie heran, die alte Schachtel Aufklärung und der Gedanke von den Verständigen und Interessierten und kompetent zertifizierten Kompetenten. Ansonsten gilt offenbar: "In einer Welt, die zunehmend digitalisiert wird, ist es unabdingbar, lesen und schreiben zu können.". Vielleicht hat der Mensch den binär arbeitenden Computer (sieht man von russischen Exoten mit drei Zuständen ab) so erfunden, weil er selbst binär funktioniert. Das ist jedenfalls die Überzeugung von Ray Kurzweil, den Microsoft zum Ende der IFA für eine große Handvoll Dollar einfliegen ließ. Und wenn man sich diese Liste weltbewegender Menschheitsfragen durchliest, muss man womöglich Kurzweil recht geben.

*** Kurz vor seinem Tod wurde Jon Postel auf einem Treffen der Internet Society 1998 in Genf gefragt, wieviele sinnvolle Dokumente es denn in diesem Internet gebe. Zuvor hatte ein Referent über Flame Wars im Usenet berichtet. Warum sollten Flame Wars nicht sinnvoll sein, schließlich führten sie zu einer Akzeptanz der Netiquette, war Postels Gegenfrage. Dann rechnete er überschlägig alle FAQs und RFCs zusammen und kam auf 42^H^H 17.000 Dokumente, die er als Baupläne der Informationskathedrale bezeichnete. Von der EU gefördert, gibt es wieder Debatten über das europäische Internet, das soo viel besser war als diese barbarmerikanischen Vorläufer. Vergessen ist bereits der harte D-Mark-Millarden verballernde Wahnsinn namens EARN/OSInet, da wird uns jetzt die Geschichte von EIN als European Informatics Network angeboten. Während zahllose Gremien und Komissionen am de jure-Standard OSI feilten, nahmen ungeduldige und experimentierfreudige Infomatiker die RFCs und nutzten diese abschätzig "adhoc-Standard" genannten Baupläne, bis de facto auch bei uns das Internet ankam. Der Rest ist Geschichte.

*** Geschichte? Geschichte wird gemacht, wenn auch nicht mehr in Deutschland. Dieselbe EU-Kommissarin, die sich an Dönekens aus der Vergangenheit erfreut und Berlin für den wichtigsten Internet-Standort Europas hält, bastelt an einer Reform, wie die Netzneutralität durch ein Netzmanagement ausgehebelt werden kann, wenn etwa der Datenverkehr beim Musikstreaming erkannt und für Abonennten eines bestimmten Dienstes wie Spotify bei der Telekom nicht abgerechnet wird. Was auf den ersten Blick nett ist, auf den zweiten eine schleichende Aushöhlung der Netzneutralität. Der dezentralisierte Reigen der bundesweiten Freiheit-statt-Angst-Demos ist von Demos abgelöst worden, auf denen die Clubszene gegen die GEMA protestiert, während die Freiheit nunmehr zentral in Brüssel verteidigt wird. Ja, die Vorratsdatenentrüstung schwächt sich ab, und wer die Homepages von Fahndungsbehörden besucht, muss einfach Dreck am Stecken haben. So ist die Homepageüberwachung nach Auskunft des BKA erfolgreich und wer sich über Routinemaßnahmen wie die läppische Funkzellenabfrage beklagt, ist einfach kitzlig.

Was wird.

Wenn die ersten Blätter fallen, werden nach einer alten Bauernregel wissenschaftliche Paper ohne Ende auf uns niederregnen: Die Zeit der Kongresse ist gekommen. Da gibt es öffentliche, ganz geheime und nicht so geheime Versammlungen, die das Thema Netz und Politik in verschiedenen Tonarten abhandeln. Eigentlich beginnt die Show schon dieses Wochenende mit Daten, Netz und Politik in Österreich, dann folgt der schwer geheime Cyber Security Summit der Telekom mit einem neckischen Rahmenprogramm: Journalisten bekommen den Sicherheitsreport der Entscheider, eine Allensbach-Umfrage, präsentiert. Dann werden sie ein wenig durch Bonn gefahren, ehe ihnen René Obermann die Ergebnisse des Gipfels präsentiert. So halb geheim nach Chatham House Rules tagt ein Kongress zum Thema Internet und Menschenrechte, auf dem sich Guido Westerwelle als digitaler Humanist präsentiert. Die Grünen machen dann das, was sie am besten können, eine festliche netzpolitische Soirée. Die Linke darf nicht fehlen und präsentiert sich zur Konferenz Netz für alle mit besonders schicker Tastatur.

*** Etwas schweigsam sind nur die Netzpolitiker der Regierungskoalition. Der Schwachsinn namens Leistungsschutzrecht hat ihnen die Sprache verschlagen. Bei der FDP suchen sie noch den Webdesigner, der den Slogan Netzpolitik ist ... Verlegerpolitik anpassen kann. Bis dahin winkt die FDP-Politikerin SLS mit dem Zukunftsforum Urheberrecht und kleinen netzpolitischen Fähnchen.

So gesehen ist es ein Glücksfall, dass aktuell ein Bundesinnenminister amtiert, der an einer eigenen Netzpolitik desinteressiert ist. Es reicht, wenn wir eine "moderne und sichere IT-Infrastruktur sowie ein funktionierendes digitales Verwaltungshandeln" in Deutschland haben. Hey, "Wir haben tolle Lösungen, innovative Ansätze und herausragende Umsetzungen brillianter Ideen." Dass wir im Web-Index auf Platz 16 stehen und ein gestörtes Verhältnis zum Netz haben – geschenkt. Irgendwie sind wir ja doch High-Tech Standort, mit unserer unschlagbaren Automobilindustrie. Zur Not mit einem Lenkerschutzgesetz gesichert und jede Menge netzpolitischer Matinées, Soirées und Canapées drumherum. (jk)