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Was war. Was wird.

Opfer sind gefragt, von jedem. Was ist schon ein bisschen Freiheit, wenn der starke Staat ruft! Als hätte es keine Vergangenheit gegeben, und als bräuchten wir keine Zukunft, wundert sich Hal Faber.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Hallo Leser, einsam heute Nacht? Nicht doch, nicht doch, unterhalten wir uns lieber gemütlich über die heimliche Online-Durchsuchung, ein wirklich aktuelles, hochspannendes Thema. Nein? Höre ich das entsetzte Kreischen der Ungläubigen, die technisch argumentieren und nicht verstehen wollen, dass mit der Online-Durchsuchung das produziert wird, was Kommunikationsforscher eine moral panic nennen. Ganz gleich, ob es sich gegen Mods, Rocker, Mugger, gegen marodierende Kinderbanden, Päderasten oder islamistische Terroristen richtet, die innerstaatliche Feinderklärung braucht keine gerichtsbeweisbaren Schlüsse. OK, ich bin fair und biete ein Opt-Out für das WWWW an. Es geht ganz einfach: Öffnen Sie einfach das nächste Glasfenster, halten Sie den Kopf raus und brüllen "Ich kann den Scheiß nicht mehr hören!", so laut Sie können. Ist Opt-Out nicht wunderbar? Ich bleibe derweil einfach beim Thema, das uns noch lange beschäftigen wird. Wenn's denn nicht passt, schließen Sie besser das Browser-Fenster, das ist sinnvoller und schont die Stimme.

*** Am Freitag haben um des Volkes Wohl bemühte Politiker beschlossen, die heimliche Online-Durchsuchung ihrer Festplatten am eigenen Leib^H^H^H, ähem, Laptop auszuprobieren. Besonders freut sich Dieter Wiefelspütz darauf, der innenpolitische Taschenzampano der SPD: "Dann nehme ich meinen Laptop mit und hoffe, er ist hinterher noch heil." Wie können wir eigentlich abseits stehen, wenn unsere mutigen Volksvertreter solche Risiken für ihre sündhaft teuren Laptops in Kauf nehmen? Müssen wir nicht alle ein kleines Opfer bringen, unser Scherflein dazu beitragen, dass BKA-Chaf Jörg Ziercke (ebenfalls SPD) kernelige Unikate auf die Reise schicken kann und die Grundrechte grosso modo verscherbelt werden können?

*** Müssen wir nicht alle tätig werden und ähnlich wie bei den Hinweisen für Suchmaschinen ein bka.txt ablegen? Eine saubere Datenparkerklärung, in der nicht die ohnehin schnell gesammelten Details zum Betriebssystem, Browser und der Steuer-Identifikationsnummer stehen, sondern die wirklich wichtigen Daten: Skype-ID und Passwort, die Messenger-Daten (natürlich mit Passwort) und all die Karmapunkte von eBay, SudiVZ, Xing und dem Online-Casinos ihres Vertrauens. Aber wir werden ja sehen: Wenn Wiefelspützens Laptop heile bleibt, dann Wird Alles Gut (tm). Wenn er kaputt geht und ein wilder Kampf (Flash) stattgefunden hat, wird diese Seite Trauer tragen

*** Dieser ganze Unsinn vom Kernbereich der privaten Lebensführung, vom Schutz der Wohnung ist im Zeitalter von StudiVZ, Xing und LinkedIn ohnehin nicht mehr vermittelbar. BRD 2.0 braucht die ePartizipation und eInclusion des Bürgers mit seinen Behörden. Halten wir ein paar Dinge fest: Die heimliche Online-Durchsuchung kommt. Sie muss ja nicht als Bundestrojaner auftreten, das weckt ja nur Misstrauen: Die Griechen und Holz, das kann einfach nicht gut gehen, wie wir gerade gesehen haben. "ePlatzwart des allgemeinen Bedrohungsraumes", so etwas leuchtet jedem Mitglied eines deutschen Vereins ein (Schuhe auf dem eRasen ausklopfen!), der Rest freut sich über Mails von Verwandten oder der Geliebten.

*** Noch fällt das Verfassungsgericht Urteile, als sei das informationelle Selbstbestimmungsrecht mehr als ein Jux, eingefügt in ein Gutachten zum phasenorientierten Datenschutz, der in den wilden 70er-Jahren geschrieben wurde, zu Zeiten der Big Raushole in einem Land, "als ein Horst Herold die Fahndungsarbeit mittels elektronischer Datenverarbeitung revolutioniert hatte. Rasterfahndung, beobachtende Fahndung, Verdeckte Fahndung, Vorrangfahndung, Zielfahndung, man konnte denken, es wüsste die Polizei schon von der Tat vor dem Täter. Alles schien Herolds elektronisches Superhirn zu wissen," schreibt die Süddeutsche Zeitung an diesem Wochenende, bislang nur auf zu bezahlendem ePaper.

*** In der ebenfalls nicht online verfügbaren August-Ausgabe der Zeitschrift Recht der Datenverarbeitung gesteht Wilhelm Steinmüller das folgenschwere Setzen einer Duftmarke: "Das Gutachten wurde nach meiner Erinnerung Freitag- oder Samstagnacht fertig, am Montag früh war es abzusenden. Sonntags las ich es zuhause noch einmal durch. Da ritt mich der Teufel: Ich wollte dem zentralen Ergebnis einen griffigen Namen geben. Er sollte 'widerständig' und zugleich einprägsam sein, gleichsam eine Duftmarke, womit Hunde ihre Anwesenheit markieren. So fügte ich an zwei ziemlich versteckten Stellen (Seit 88 und 93 ff.) ein Schlagwort ein. Es hieß 'informationelles Selbstbestimmungsrecht'." 13 Jahre dauerte es dann, bis die ganz besondere Duftmarke im Volkszählungsurteil von 1983 auftauchte. Die Karriere der Duftmarke geht nun mit dem Online-Trojaner zu Ende. Nicht mehr allzulange dürfte das Verfassungsgericht so liberal entscheiden, weil bald all die hinterlassenen Richter aus rotgrünen Regierungszeiten ausgewechselt werden. Das erklärte der schleswig-holsteinische Generalstaatsanwalt Erhard Rex auf der Datenschutz-Sommerakademie. Bald, ja bald, ist der Computer nicht mehr Teil der Privatsphäre, sondern durch seinen Online-Status immer schon da draußen im Netz, weil jeder Rechner Bestandteil eines Netzwerkes ist.

*** Weil die heimliche Online-Durchsuchung kommt, entstehen natürlich Arbeitsplätze, so oder so. Auch sollte man den berühmten Nebennutzen nicht vergessen, den die Schlapphüte beim BND längst für sich entdeckt haben. Wer sich als rechter BKA-Mann betrogen fühlt, schickt schnell ein Unikat zum Nebenbuhler, komplett mit einer Mail, in der besonders günstiges Viagra angeboten wird. Das natürlich Pfeffer, Blairs Reserve und Plaka-Farbe hergestellt wird.

*** Gleich drei aufschlussreiche Dokumente zur Online-Durchsuchung sind in den vergangenen Tagen aufgetaucht. Sie machen auch als befreite Dokumente bei Netzpolitik und dem CCC die Runde. Das Bundesinnenministerium hat der SPD und den Justizministeralen geantwortet und außerdem eine erste Fassung des BKA-Gesetzes in einem Berliner Bus liegen gelassen. Bei der Lektüre gehen dem Leser gleich mehrere strafverzollte Lichter auf. Technisch ist die Online-Durchsuchung eine Reaktion auf die Kämpfe der 90er-Jahre, als die Aktivisten der ersten Stunde gegen den Einbau von Backdoors auf Systemebene oder das Verbot von starker Kryptographie kämpften. Was in den 90ern nicht durchsetzbar war, ist heute vollends unmöglich. Für heutige Computernutzer ist Verschlüsselung positiv besetzt, kein blutbespritztes Werkzeug von Kriminellen. Also muss etwas anderes her: Die Telefoniererei über Skype ist da ein wunderbarer Aufhänger. Man kann, man wird das sonderbare Konstrukt einer Quellen-TKÜ einführen und in aller Ruhe darauf warten, dass Wiefelspütz und Genossen einknicken. Die SPD ist aus dem Schneider, wenn die Frage der Überwachung der Internet-Telefonie in den Vordergrund gestellt wird und eine umfassende Online-Durchsuchung so eigentlich niemals vorgesehen war. Das silberne Nadeln in Skype & Co stecken, geschenkt, geschenkt. Schon das Internet Phone, das Elon Ganor 1995 mit seiner Firma Vocaltec aus Israel auf den Markt brachte, verfügte über eine Abhör-Verzweigung für den Mossad.

*** Was die Terroristen anbelangt, so sprechen die Urteile in einem britischen Fall eine deutliche Sprache, Mit 37.000 gestohlenen Kreditkarten-Nummern samt detaillierten Informationen über die Inhaber der Karten konnten drei Islamisten ca. 4 Millionen Euro locker machen und das Geld über so tolle Adressen wie AbsolutePoker, NoblePoker und ParadisePoker waschen, ehe in Nachtsichtgläser, Waffen und Schlafsäcke investiert wurde. Wenn Aktionen dieser Sorte zum Ausbildungsplan der Al Quaida gehören, dann dürfte eine Online-Durchsuchung auf der Seite der Gefahrensraum-Erzeuger mitleidig belächelt werden, frei nach dem Motto: "Die Kriminalpolizei rät". Zusammen mit der Bundespolizei hat sie übrigens dieser Tage @rtus eingeführt, die ultimative Software zur Bearbeitung aller Fälle. Wer sich über den komischen Namen @rtus wundert, erfährt im Readme des Programmes: "Mit dem Begriff @rtus haben wir einen Namen kreiert, der sich an den einer anderen erfolgreichen Runde mit gleicher Anzahl von Teammitgliedern anlehnt." Ja waren denn die Ritter der Tafelrunde so bannig erfolgreich auf der Suche nach dem heiligen Gral? Und die Ritter der Kokosnuss? Fragen über Fragen ... "No tears from the creatures of the night", auch ein Kommentar, der zu all dem Elend passt, dieses Mal von Tuxedomoon.

Was wird.

Oh, ich habe grübelnd überzogen. Nicht nur die Online-Durchsuchung kommt als Muster ohne Wert auf uns zu, auch die elektronische Gesundheitskarte ist nicht viel besser aufgestellt. Das, was nach Auskunft des Bundesgesundheitsminsterium schon Mitte 2008 mitsamt den entsprechenden Lesegeräten ausgerollt werden soll, ist medizinisch gesprochen ein Placebo. Mit Ausnahme des Fotos, welches auf der Karte prangen soll, unterscheidet sich diese Gesundheitskarte nicht einen Deut von der herkömmlichen Krankheitskarte (KSK). Erst in unbestimmter Zukunft soll sie mit all den Funktionen ausgestattet werden, mit denen Millarden Euronen eingespart und Millionen Teutonen gerettet werden. Abseits der vielen nun anstehenden Beratschlagungen rund um die Online-Durchsuchung in den nächsten Tagen sei daher auch ein Hinweis auf die aktuellen Trends in der medizin-basierten IT gestattet. Das ist der Bereich, in dem der Sponsor T-Systems darauf drängt, endlich Geld für ein halbverrottetes Patent zu bekommen, dank dem die Foto-Karten und das Häufchen PIN-Ziffern in ein und demselben Umschlag geschickt werden können. (Hal Faber) / (jk)