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Was war. Was wird.

Auch John Zorn kann ganz sanft sein. Das beruhigt in dieser Nacht, in der "Du bist Deutschland", Bundestrojaner und Berichte über Hummer schlemmende Kommunistinnen das Hirn verkleistern, grummelt Hal Faber.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es dunkelt früh in der norddeutschen Tiefebene. John Zorns Mannen heben wieder einmal ganz ungewohnt leise und sanft mit einem swingenden Bass in Gevurah auf Bar Kokhba an. Die Nacht könnte schön werden. Und dunkel. Das ist auch gut so, denn damit bleibt es mir erspart, die Medienlawine heranrollen zu sehen, die Du bist Deutschland gerade losgetreten hat, komplett mit dem üblichen niedlichen Mädchen und dem Hundehaufen-Logo. Eine "positive Einstellung gegenüber Kindern vermitteln", jaja, das liest sich schön und lässt sich noch schöner bebildern. Ein kleines Mädchen zwischen Peter Maffay und Henry Maske, wie süüüüß. Wie wäre es mit dem simplen Vorschlag, Kinder einfach mal ernst zu nehmen, komplett mit ihrem blöden Getue und ihrer "erwachenden" Sexualität. Stattdessen wird eine Promi-Kampagne gebastelt, während gleichzeitig die Politik daran bastelt, dem gemeinsamen Kinobesuch von Jugendlichen ein Element der Prostitution unterzuschieben. Das neue Pettinggesetz ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Du bist Deutschland. Du machst mit bei unserer Kampagne für kinderfreundliche Parkplätze. Und über dein Religiositätsprofil werden wir noch ein Wörtchen zu reden haben, wenn die Burkaisierung der deutschen Jugend gelungen ist.

*** Dunkel ist's, und die Zeit der Jahresrückblicke gekommen: Im Überwachungsstaat Österreich hat er gewonnen, vor dem kinderfreundlichen "Gruscheln" (österreichisch interpretiert steht das wohl für Gruseln und Kuscheln) und der "Raucheroase": Der Bundestrojaner schaffte es im Almdudlerland auf Platz 1 bei der Wahl zum Wort des Jahres, komplett mit dem denkwürdigen Satz "The world in Vorarlberg is too small". Mit dem empfahl sich ein österreichischer Politiker für internationale Aufgaben in a greater world. In Deutschland reichte es nicht: In einer müden Wahl kam der Bundestrojaner nur auf Platz acht. Allerdings steht noch das Unwort des Jahres aus, bei dem der Bundestrojaner zurammen mit der "Herdprämie" und dem "klimaneutralen Fliegen" zu 650 eingereichten Vorschlägen gehört. Wenn "Du bist Deutschland" schon mit einem schwarzrotgoldenen Hundehaufen werben kann, passt das bunte Pferdchen bestens dazu, das im dräuenden Chaos seinen letzten Auftritt hat, bevor es ins Museum der deutschen Geschichte geht.

*** Als Wort der Woche schlage ich passenderweise die Definition des Kernbereichs der privaten Lebensführung durch den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes vor. Den "Immobilie gewordenen Menschenwürdekern" nennt Hans-Jürgen Papier den Bereich, der absolut geschützt bleiben muss und auch nicht durch die atemberaubende Konstruktion eines Richterbandes eingesehen werden darf. So wird Papier im Blatt der neuen Sachlichkeit zitiert, was leider nicht online gelesen werden kann: "In einem Staat, der keinen Rückzugsbereich der Privatheit übrig lasse, wolle er nicht leben. Der Menschenwürdekern enthüllt sich in dieser Beleuchtung als das postularische, kontrafaktische Moment aller Rechtsnormen."

*** Im Gegensatz zur begrenzenden Sachlichkeit des IT-Nachrichtentickers ist diese kleine Wochenschau dem begrunzenden Schweinejournalismus verpflichtet, in dem noch die dreckigste Phantasie in den Schatten gestellt wird. Man nehme nur den Dell-Laptop des Schweiner^H^H^H Schweriner Stadtpräsidenten, den er komplett mit USB-Stick als Pfand bei einer Prostituierten zurücklassen musste, weil er Liebesdienste im Werte von 4000 Euronen offenbar nicht bezahlen konnte. Fürsorglich änderte der Stadtpräsident extra das Passwort im Beisein der Dame, weil Versauen mit Vertrauen bezahlt werden muss oder so. Immerhin wurde so der Stadthaushalt und die Telefonnummern von Abgeordneten lesbar, eine gute Grundlage für expansive Geschäfte – wäre nicht der Stadt-Laptop bei einer Razzia der Polizei in die Hände gefallen. An dieser Stelle ist eine Gratulation an Dell für die findige Namensgebung des Vostro fällig, in leichter Abwandlung des alten Grundsatzes: form follows function.

*** Leider ist mir nicht bekannt, welcher Hersteller die Digitalkamera von Feleknas Uca gebaut hat, mit der sie einer dpa-Meldung zufolge Sahra Wagenknecht beim Hummerschlemmen fotografiert hatte. So bleibt nur die Tatsache zu berichten übrig, dass die parlamentarische Assistentin von Sahra Wagenknecht sich die Kamera auslieh und die aus erzproletarischer Schwarzbrot-Perspektive anstößigen Bilder von der Speisung anschließend gelöscht waren. Dass nun ausgerechnet eine Linke darüber klagt, dass "eine heimliche Durchsuchung meiner privaten Fotos auf meiner Kamera" stattgefunden habe, ist seltsam. Heimliches Durchsuchen sieht ganz anders aus. Übrig bleibt außerdem eine Sahra Wagenknecht, die hinken würde, setzte sie nur irgendjemand sie mit Rosa Luxemburg gleich. Die aß wiederum am liebsten Entensuppe und hätte auch vor einem Hummer nicht kapituliert. Freiheit ist immer die Freiheit des Anderes Essenden.

*** Ausgelöscht von einer Industrie, die nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte, ist Izear Luster Turner im Alter von 76 Jahren aus noch unbekannten Gründen gestorben. Sein Rocket 88 wird Jackie Brenston zugeschrieben, doch war ein schräges Piano mit von der Partie, wie später die schräge Gitarre. In den Nutbush City Limits fand er Ann Mae Bullock, die heute als Tina Turner die Geschichte schreibt, während Ike Turner für die Kultivierung liederlicher Lebensart zuständig war. Sein größtes Pech war der Sieg im Scheidungskrieg. Er hatte genug Geld für Oldsmobiles und allen Stoff. So bleibt als passendes Lied zum Fest nur übrig, Every Planet we Reach is Dead aufzulegen, als Hommage an Ike und gleichzeitig als Geburtstagsständchen für Arthur, der mich ins Leben holte. Darauf einen guten Schluck Schweizer Wodka.

Was wird.

Zum Jahresende kommen sie immer, die Zeitgeister und weitere super-überraschende Statistiken, die besagen, dass diese Welt nichts Wichtigeres kennt als Paris Hilton und Britney Spears, geschwängert von Mario Barth. Halt! Noch ist der Verstand nicht ganz verloren, denn ein kleines Dorf von IT-Verrückten wehrt sich standhaft gegen die Weisheit des Schwarms: Unter den Top100 Begriffen der Suche auf heise online finden sich weder Britney noch Paris noch der als Komiker herumgereichte Schweineexperte. Als erste Frau könnte die Suchanfrage "Alice" durchgehen, die es auf Platz 45 schaffte, als Mann hätte ich "Schäuble" auf Platz 53 zu bieten. Doch wer frohlockt, lockt zu früh: Platz 1 für das "iPhone" und Platz 2 für "Apple" zeigen, dass man getrost die Wunder von Jesus vergessen sollte, wenn alle an den Lippen von Jobs hängen. 2008 wird darum sicher das Jahr des iRacks und von iRan.

Die Weisheit der Massen hat in den USA dazu geführt, dass w00t zum Wort des Jahres gewählt wurde. Es erinnert ein bisschen an das whooshing, das Geräusch, das nach dem großen Douglas Adams die Deadlines machen, wenn sie vorüberstreichen. Beweisen wir nun die Weisheit der Heise-Leser. Gesucht wird das lautmalerischeste Wort des Jahres überhaupt, mithin das Geräusch, dass der Bundestrojaner macht, wenn er herannaht. Ist es ein einfaches "klatsch", getreu nach dem beliebten fischrüberreich im Forum? Ist es ein trolliges "crsss", ein kaum hörbares Zischen? Oder ein fettes "knacks" im Lautsprecher, wenn sich die Lauschhörer der Anderen zuschalten? Vielleicht ein lautes "Stopp! Plozilei!" Oder "Popp! Stolizei, äh ...". Fragen über Fragen – und das Dunkel, das Dunkel. (Hal Faber) / (jk)